sozial-Branche

Kinder

Öffentlicher Druck soll Programm "Sprach-Kita" retten




Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres 2018 in der Sprach-Kita "Abenteuerland"
epd-bild/Christian Ditsch
Die Entscheidung der Bundesregierung, das Förderprogramm "Sprach-Kita: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist" Ende des Jahres auslaufen zu lassen, stößt auf deutliche Kritik von Verbänden und Kita-Trägern.

Berlin (epd). Unterschriftensammlung und Petition im Bundestag: Sozial- und Fachverbände wollen das Aus des aus ihrer Sicht sehr erfolgreichen Programmes, das über 500.000 Kinder fördern half, nicht klaglos hinnehmen. Auch die Caritas und der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) - Bundesverband setzen sich mit Nachdruck für den Erhalt der Fördergelder ein, heißt es in einer Mitteilung vom 17. August.

Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa sagte, das seit 2016 laufende Bundesprogramm Sprach-Kitas habe auf eine besondere Herausforderung der Kitas mit gezielter Förderung reagiert: „Viele Kinder lernen zu Hause nicht ausreichend Deutsch. Für sie ist eine individuelle sprachliche Förderung der Schlüssel zur Entwicklung. Das gilt nicht zuletzt auch für die Kinder aus der Ukraine, deren Betreuung und Begleitung die Kitas in diesem Jahr zusätzlich beansprucht.“

Caritas: Widerspruch zum Koalitionsvertrag

Die Streichung des Programms widerspreche dem Koalitionsvertrag. Ein Programm werde geopfert, „das erwiesenermaßen für viele Familien und Kinder eine große Hilfe ist“, so Welskop-Deffaa weiter. Diese Entscheidung müsse rasch rückgängig gemacht werden. Erreicht wurden damit über 500.000 Kinder.

Der Bund unterstützt seit elf Jahren mit Modellprogrammen die Sprachförderung bei Kindergartenkindern. Das Bundesfamilienministerium hatte den Kita-Trägern Mitte Juli mitgeteilt, dass im Haushaltsentwurf für 2023 keine Mittel für die Fortsetzung des Sprach-Kita-Programms mehr vorgesehen sind und die Sprachförderung als Daueraufgabe in die Zuständigkeit der Bundesländer falle. Nach Angaben des Ministeriums reichten die bisher gewährten Bundesmittel für 7.500 Halbtagsstellen für zusätzliche Fachkräfte zur Sprachförderung in 6.900 Kitas, womit rund eine halbe Million Kinder erreicht worden seien.

Bund gibt Geld, aber die Länder entscheiden über die Verwendung

Zuletzt hatte der Bund jährlich rund 200 Millionen Euro für die Sprach-Kitas zur Verfügung gestellt. Für die Jahre 2023 und 2024 sind seitens des Bundes jeweils zwei Milliarden Euro für die Förderung der frühkindlichen Bildung und Qualitätsentwicklung in den Kitas vorgesehen. Die Entscheidungen über die Verwendung der Mittel treffen aber die Länder.

Die Caritas erwarte eine Fortsetzung der Förderung an den bisherigen Standorten. „Wenn das Programm begrenzt bis Ende 2024 fortgeführt wird, können die Bundesländer in dieser Zeit dafür sorgen, die Sprach-Fachkräfte dauerhaft zu halten“, so die Präsidentin.

Sprach-Fachkräfte müssen keine Erzieherinnen sein

Ein wesentlicher Vorteil des Programmes sei es, auch Personen als Sprach-Fachkraft einzustellen, die nicht als Erzieherinnen ausgebildet sind. „Das hat zu Entlastungen geführt. Besonders vor dem Hintergrund des Zuzugs vieler geflüchteter Kinder aus der Ukraine ist das Sprach-Kita-Programm heute wichtiger denn je.“

Es sei kurzsichtig, inmitten eines seit Jahren anhaltenden Fachkräftemangels staatliche Mittel aus der Kindertagesbetreuung abzuziehen. „Und es ist ein fatales Signal, dass die Rechte von Kindern und die ihrer Familien politisch nicht zählen“, erklärte Clemens Bieber, Vorsitzender des KTK-Bundesverbandes. Das Programm für bildungsbenachteiligte und geflüchtete Kinder sei unerlässlich.

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) verwies auf den Start einer bundesweiten Kampagne zum Erhalt der Förderung unter dem Motto „Sprach-Kitas retten“. Brigitte Döcker, Vorstandsvorsitzende des AWO-Bundesverbandes, sagte, die die frühkindliche Bildung müsse gefördert werden, „damit Chancengerechtigkeit nicht nur ein leeres Versprechen auf dem Papier bleibt. Hier wird am falschen Ende gespart“.

Unterschriftensammlung läuft bundesweit

Andernfalls würden aufgebaute Strukturen wegfallen, Mitarbeiterinnen das Arbeitsfeld verlassen, die Beteiligung mit Eltern reduziert und Hunderttausende in ihrer Sprachentwicklung nicht mehr so gefördert werden können, wie es durch das Bundesprogramm möglich war.

Der Bremer Vorstandschef der Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, Carsten Schlepper, sagte, das Programm müsse erhalten bleiben. Dafür kämpfe auch sein Verband. Die Sprach-Fachkräfte seien „eine wesentliche Säule in der Kindertagesbetreuung, um Kindern und Familien in den Kitas ein fachlich fundiertes frühkindliches Bildungsangebot zu machen“. Es sei gut, dass es dieses flächendeckende Netz gebe, „denn 40 Prozent der Kinder in unseren Kindertageseinrichtungen haben einen Migrationshintergrund. Hinzu kommen Kinder aus der Ukraine, die in Deutschland Zuflucht finden wollen“.

Die Kampagne „Sprach-Kitas retten“ unterstütze eine beim Bundestag eingereichte Petition von Wenke Stadach, Kita-Leiterin einer Sprach-Kita aus Neubrandenburg. Die Petition werde in den nächsten Tagen zur Online-Unterstützung durch die Bundestagsverwaltung freigeschaltet. Bereits jetzt sammelten im Rahmen der Kampagne in ganz Deutschland engagierte Fachkräfte, Eltern, Träger und Organisationen handschriftliche Unterschriften für die Petition. Erreicht sie vor Ablauf der Zeichnungsfrist von vier Wochen das Quorum von 50.000 Unterschriften, muss eine öffentliche Anhörung im Petitionsausschuss durchgeführt werden, bei der die zuständigen Fachministerien Rede und Antwort stehen werden.

Dirk Baas