sozial-Politik

Diskriminierung

Forderung nach Reform des Gleichbehandlungsgesetzes




Ferda Ataman
epd-bild/Christian Ditsch
Tägliche Diskriminierungen: Ein Rollstuhlfahrer wird im Bus nicht mitgenommen, eine Familie mit nicht-deutsch klingendem Namen wird erst gar nicht zur Wohnungsbesichtigung eingeladen. Die neue Beauftragte Ataman erklärt, was sie dagegen tun will. Sozialverbände fordern eine schnelle Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

Berlin (epd). Diskriminierung aus rassistischen Motiven ist nach wie vor der häufigste Grund für Anfragen bei der Antidiskriminierungsstelle (ADS). Das geht aus dem Jahresbericht 2021 hervor, den die neue Beauftragte, Ferda Ataman, am 16. August in Berlin vorstellte. Benachteiligungen wegen Rassismus führen mit 37 Prozent aller Meldungen die Liste der bekannt gewordenen Fälle an. An zweiter Stelle folgen mit 32 Prozent Benachteiligungen wegen einer Behinderung oder chronischen Krankheit. Die Lebenshilfe und der VdK sprachen sich für schnelle gesetzliche Maßnahmen aus, die die Benachteiligungen verhindern sollen.

Ataman sagte, die Zahl der Diskriminierungen sei alarmierend hoch. Die Beschwerden zeigten aber auch, dass sich viele Menschen nicht mehr damit abfinden, benachteiligt worden zu sein. Die Zahlen des Berichts seien jedoch nicht repräsentativ. Über das tatsächliche Ausmaß von Benachteiligungen wisse man aus Umfragen, dass 16 Prozent der Bürgerinnen und Bürger angeben, in den vergangenen fünf Jahren Diskriminierung erlebt zu haben. Das seien 13 Millionen Menschen, sagte Ataman.

Im Vorjahr über 5.600 Anfragen

Der Jahresbericht 2021 ist noch unter Atamans Vorgänger, Bernhard Franke, erarbeitet worden, der die Antidiskriminierungsstelle vier Jahre lang kommissarisch geleitet hatte.

Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts machen dem Bericht zufolge 20 Prozent der Anfragen aus, aufgrund des Alters zehn Prozent. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr mehr als 5.600 Anfragen. Das ist Ataman zufolge der zweithöchste Wert seit Gründung der Antidiskriminierungsstelle 2006. Nur 2020 lag die Zahl mit gut 6.300 Fällen höher, was auf Anfragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zurückzuführen war.

Viele Beschwerden aus dem Arbeitsleben

An die Antidiskriminierungsstelle können sich Menschen wenden, die benachteiligt wurden. Die Stelle klärt, ob das auch rechtlich gesehen der Fall ist und eine Klage infrage kommt. Die Stelle ist aber nicht für alle Formen von Diskriminierung zuständig, sondern nur für die, die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufgeführt sind. Dazu zählen neben Rassismus, Behinderung, Geschlecht oder Alter auch Benachteiligungen wegen der Religion und sexueller Identität. Am häufigsten kommt Diskriminierung dem Bericht zufolge im Arbeitsleben vor und im Alltag, also etwa bei der Wohnungssuche oder in Geschäften.

Nicht zuständig ist die Antidiskriminierungsstelle für Benachteiligungen durch staatliches Handeln, also in Behörden, durch Polizei oder Justiz, sowie im Bildungswesen oder in den Medien. Ataman sagte mit Blick auf die von der Ampel-Koalition angekündigte Reform des Gleichbehandlungsgesetzes, sie werde sich für eine Ausweitung ihrer Zuständigkeit starkmachen und nannte als Beispiel Benachteiligungen wegen des sozialen Status, wie sie etwa Hartz-IV-Empfänger erlebten. Die Frist für Beschwerden nach einer Diskriminierung, die nur acht Wochen beträgt, müsse verlängert werden, forderte Ataman. Weil es zudem für Einzelne sehr schwierig sei, vor Gericht zu ziehen, müssten auch Verbände gegen Diskriminierung klagen können.

VdK hofft auf schnelle Gesetzesreform

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, verlangte, den Ankündigungen müssten nun schnell Gesetze folgen, die nicht nur öffentliche Einrichtungen, sondern auch die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit verpflichteten. „Es überrascht nicht, dass sich vor allem auch Menschen mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung an die Antidiskriminierungsstelle gewandt haben“, so Bentele.

Die gesetzliche Stellung der ADS müsse gestärkt werden. „Der Zugang zum Recht für Betroffene muss grundsätzlich erleichtert werden. Dazu braucht es nicht immer ein Gericht. Eine Möglichkeit wäre die Aufnahme eines verpflichtenden vorgeschalteten Schlichtungsverfahrens ins Gesetz. Das funktioniert in anderen europäischen Staaten auch“, sagte Bentele.

Schmidt: Behinderte Menschen müssen mitreden können

Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und frühere Gesundheitsministerin, sagte, „dass Menschen mit Behinderung weiter sehr häufig Opfer von Diskriminierung werden, darf unsere Gesellschaft nicht hinnehmen“. Die vorgelegten Zahlen belegten, dass Menschen mit Behinderung immer noch zu wenig im Alltag sichtbar sind und zu wenig an politischen Prozessen beteiligt würden. „Nur wer gleichberechtigt mitreden und mitentscheiden kann, wird auch von den anderen ernst genommen und akzeptiert“, sagte Schmidt.

Um hier voranzukommen, müsse das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz reformiert werden. Schmidt: „Nicht nur öffentliche Einrichtungen, auch die Privatwirtschaft muss zur Barrierefreiheit und damit zur Gleichbehandlung verpflichtet werden. Und: Menschen mit Behinderung und ihre Verbände müssen dieses Recht einklagen können.“

Der Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, erklärte, der Bericht mache klar, wie wichtig es sei, Betroffene dabei zu unterstützen, ihre Rechte durchzusetzen. Die Koalition werde das Antidiskriminierungsrecht reformieren, versicherte Nouripour.