sozial-Politik

Personalmangel

"Wenn die Pflege wegfällt, bricht alles zusammen"




Streik an der Charité in Berlin für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege (Archivbild)
epd-bild/Christian Ditsch
Unter den Hashtags #Medizinbrennt, #Pflegebrennt und #Pflegenotstand berichten Pflegefachkräfte auf Twitter eindrücklich über ihre miesen Arbeitsbedingungen. Eine von ihnen ist die ehemalige Intensivpflegerin Lea R. Sie hat den Beruf aufgegeben. Schweren Herzens.

Berlin (epd). Wer sich ein reales Bild von der Stimmung in Kliniken und Heimen machen will, sollte das Internet nutzen. Unter den Hashtags #Medizinbrennt, #Pflegebrennt und #Pflegenotstand ist die alte Debatte über die Krise am Bett neu entfacht.

Wochenlang streikten die Beschäftigten in den sechs Universitätskliniken Nordrhein-Westfalens, um bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Der Intensivpfleger und Aktivist Ricardo Lange schreibt auf Twitter: „Der Personalmangel gefährdet nicht nur in NRW die Gesundheit und das Leben der Patienten, sondern jede Klinik und Pflegeeinrichtung ist davon betroffen.“ Aber, auch das sorgt für viel Frust: Grundlegende politische Reformen sind nicht in Sicht.

Die ehemalige Pflegerin Lea R. gab vor vier Jahren ihren Beruf auf. Leicht sei ihr das nicht gefallen, wie sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) schildert: „Dieser Job war meine absolute Leidenschaft. Es gibt nichts Schöneres, als einen Menschen beim Genesungsprozess zu begleiten. Zu sehen, wie er zum ersten Mal wieder eigenständig atmet oder sich im Krankenbett aufsetzt.“ Doch nach neun Jahren in der Pflege sah die 33-Jährige keine andere Möglichkeit, als aufzuhören. Die Arbeitsbelastung sei einfach zu hoch geworden.

Zu viele Schichten, zu wenig Personal

„Man arbeitet immer länger als geplant, springt ein bei Ausfall, will die Patienten so gut versorgen, wie es nur geht,“ sagt Lea R. „Ich kann in einer Schicht drei Patienten durchbringen, aber ich kann sie nicht umfassend betreuen.“ Sie fordert eine Eins-zu-eins-Betreuung auf Intensivstationen. Das bedeutet: Auf einen Pfleger kommt ein Patient.

Die hohe Arbeitsbelastung findet sich in erschreckenden Zahlen wieder: Mehr als 92 Millionen Überstunden haben sich in deutschen Kliniken allein in diesem Jahr angesammelt. Allein auf deutschen Intensivstationen fehlen rund 50.000 Pflegekräfte, wie eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie zeigt. Im gesamten Pflegebereich wächst die Versorgungslücke weiter. Prognosen des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge könnten in Deutschland im Jahr 2035 bis zu 500.000 Pflegekräfte fehlen.

Kernproblem: die Ökonomisierung des Gesundheitswesens

Als Wurzel des Problems sieht Lea R. die Profitorientierung des Gesundheitssystems. Die führe dazu, dass möglichst viele Patienten möglichst kostensparend versorgt werden. Sie warnt vor den Folgen, wenn viele Fachkräfte dem Job den Rücken kehren: „Wenn die Pflege wegfällt, bricht alles zusammen.“

Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, sagte dem epd: „Die Forderungen sind schon lange bekannt - bessere Arbeitsbedingungen durch angemessene Personalschlüssel und gute Gehälter, Mitspracherechte im Gesundheitssystem.“ Doch die Bedingungen würden eher schlechter. Problematisch seien auch die vielen Abbrecher in der Pflegeausbildung. Die Quote liege bei 30 Prozent.

Mehr Zugänge zum Beruf eröffnen

Grundsätzlich werden laut Vogler verschiedene Zugänge zu den Pflegeberufen gebraucht, die den Schulabgängern von Hauptschule bis Abitur entsprechende Ausbildungs- und Studiengänge anbieten, die bundesweit gültig sind und Laufbahnkarrieren ermöglichten. So werden Über- und Unterforderungen vermieden und viele verschiedene Zielgruppen angesprochen.

Lea R. wünscht sich eine Akademisierung der Pflege nach amerikanischem Vorbild. Und sie fordert die Aufweichung starrer Dienstpläne und eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden bei voller Bezahlung. Nur so könne dem Pflegenotstand in Deutschland mit Erfolg der Kampf angesagt werden.

Stefanie Unbehauen