Die Inflation trifft viele Bezieher kleiner Einkommen hart, doch für Alleinerziehende ist die Situation besonders heikel. Schon vor dem Anziehen der Preissteigerung seien 43 Prozent von ihnen von Armut bedroht gewesen. Für sie gebe es keine finanziellen Puffer für Ungeplantes, so der Verband, der verschiedene soziale Reformen anmahnt.
Obwohl viele Alleinerziehende einer Erwerbstätigkeit nachgehen, reicht der Arbeitslohn häufig nicht, um das Existenzminimum für sich und ihre Kinder zu sichern:
Bei 71 Prozent der Haushalte von Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern ist die Erwerbstätigkeit des Elternteils 2020 die Haupteinkommensquelle. Dabei müssen jedoch 57 Prozent der Alleinerziehenden mit einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 1.400 Euro auskommen. (...) 2020 mussten 33,5 Prozent der alleinerziehenden Haushalte mit minderjährigen Kindern SGB II-Leistungen in Anspruch nehmen. Von allen Familienhaushalten mit Kindern im SGB II-Bezug waren 2021 mehr als die Hälfte (51,9 Prozent) Haushalte von Alleinerziehenden. 40 Prozent von ihnen stockten damit Erwerbseinkommen auf, (...) um das Existenzminimum für sich und die Kinder zu sichern. Unter allen Haushaltsformen weisen alleinerziehende Familien das höchste Risiko auf, ihr Arbeitseinkommen aufstocken zu müssen. Mehr als jeder sechste erwerbstätige Alleinerziehende bezieht zusätzlich SGB II-Leistungen.
Höchste Belastung bei Wohnen, Energie und Nahrung:
Eine Berechnung auf Grundlage der EVS (Einkommens- und Verbrauchsstichprobe) 2018, zeigt, dass Alleinerziehende mit einem Kind und einem durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen in Höhe von 2.356 Euro und durchschnittlich 710 Euro (35 Prozent der Konsumausgaben) für ihr im Haushalt lebendes Kind ausgaben, wobei sich allein die Ausgaben für dessen Wohnbedarf auf circa 200 Euro beliefen. (...) Im Referenzjahr 2018 lagen das sächliche Kinderexistenzminimum und der Mindestunterhalt bei 399 Euro im Monat. Die größten Anteile des Warenkorbs der Konsumausgaben, die auf das Kind entfielen, betrafen mit 19,7 Prozent Ausgaben für Nahrung und Getränke sowie mit 30,3 Prozent Ausgaben im Zusammenhang mit Wohnen und Energie. Dies sind jedoch gleichzeitig die Ausgabenarten, die am meisten von der Inflation betroffen sind. (...)
Wohnungsnotfälle vorprogrammiert:
Vor der Inflation hatten Alleinerziehende mit niedrigen Einkommen mit knapp 50 Prozent des Haushaltsbudgets bereits eine viel zu hohe Wohnkostenbelastung. Diese Situation wird sich weiter verschärfen, wenn es durch die Inflation zu deutlichen Mieterhöhungen kommt (...). Während die Wohnungsmiete und Heizkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft (KdU) übernommen werden, müssen Stromkosten (...) aus dem Regelsatz beglichen werden. Der Anteil für Strom in den aktuell geltenden Regelbedarfen (...) spiegelt in keiner Weise die derzeitigen Preisentwicklungen wider. (...)
Die soziale Schere geht weiter auseinander:
Die haushaltsspezifischen Inflationsraten zeigen, dass Haushalte mit geringeren Einkommen und Kindern durch den Preisanstieg bei Haushaltsenergie überproportional belastet sind und sich auch die Verteuerung der Nahrungsmittel stärker niederschlägt. (...) Wie eine Kurzexpertise von Prognos zeigt, reicht die absolute Mehrbelastung der Haushalte Alleinerziehender im Juni 2022 von durchschnittlich 156 Euro pro Monat im ersten Einkommensquartil bis zu 354 Euro pro Monat im vierten Einkommensquartil. Setzt man die absolute Mehrbelastung ins Verhältnis zur Höhe der durchschnittlichen Haushaltseinkommen im jeweiligen Quartil, so wird deutlich, dass die aktuellen Preissteigerungen umso stärker belasten, je geringer die Einkommen sind. (...) Dort wo jeder Euro für die grundlegenden Lebenserhaltungskosten ausgegeben werden muss, besteht auch keine Möglichkeit mehr, sich weiter einzuschränken.
Am Ende der Leistungsfähigkeit steigt die Preisspirale weiter:
Unterschiedliche Kostenschätzungen zu steigenden Energiepreisen gehen von Erhöhungen im vierstelligen Bereich pro Haushalt im Jahr aus. So geht die Verbraucherzentrale Brandenburg aktuell von einer Verdopplung der Gaspreise und einem weiteren Anstieg der Lebensmittelkosten um 20 Prozent sowie der Stromkosten um 15 Prozent aus. Hinzu kommen Preissteigerungen in Höhe von voraussichtlich 35 Prozent für Kraftstoffe19 und (...) Mieterhöhungen (...). Für Alleinerziehende mit kleinem Einkommen könnte das schnell ein Monatsgehalt oder mehr sein.
Einmalzahlungen helfen nur begrenzt:
Laut Hans-Böckler-Stiftung können Alleinerziehende mit zwei Kindern und einem durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen (...) von 2.000 bis 2.600 Euro durch die Entlastungspakete der Bundesregierung zu 48 Prozent bei den Mehrkosten entlastet werden. Im Vergleich dazu können Paare mit zwei Kindern und gleichem Haushaltsnettoeinkommen zu 64 Prozent entlastet werden. Entscheidend dabei ist, dass von der Energiepreispauschale vor allem Erwerbstätige profitieren können. Deshalb stehen Paare mit zwei Kindern, in denen beide Eltern arbeiten gehen, besser da als Alleinerziehende oder eine Familie, in der nur eine Person berufstätig ist. Insgesamt stellt sich die Frage, inwieweit eine einmalige Unterstützung geeignet ist, eine dauerhafte Belastung durch Preissteigerungen und Geldentwertung aufzufangen. Es braucht in der Krise sowohl kurz- und mittelfristige Hilfen als auch eine langfristige Perspektive und nicht nur Einmalzahlungen (...).
Um gezielt Familien mit kleinen Einkommen zu unterstützen, sollte der Sofortzuschlag für Kinder mindestens 78 plus Inflationsausgleich statt 20 Euro betragen. (...) Um ein menschenwürdiges Existenzminimum sicherzustellen, müssten zudem die Regelsätze mindestens entsprechend der Inflation angehoben werden. Ebenso notwendig wäre eine Erhöhung der Einkommensgrenze für den Bezug des Wohngeldes sowie die Höhe des Wohngeldes (...) entsprechend den Preisentwicklungen zu erhöhen. Außerdem sollte der Freibetrag für Alleinerziehende beim Wohngeld realitätsgerecht erhöht werden. In der Grundsicherung und bei Wohngeldempfängern sollten (...) Energiekosten (inklusive Stromkosten) komplett übernommen werden. Darüber hinaus müssen Wohnungsnotfälle (...) vermieden werden: Strom- und Gassperren sollten verhindert und Mieterhöhungen stärker reglementiert werden.
Insgesamt ist jedoch ein umfassender Politikansatz notwendig, um (...) das Armutsrisiko von Alleinerziehenden und ihren Kindern zu senken. (...) Alleinerziehende wollen eine Arbeit, von der sie leben können, eine gute Kinderbetreuung, die zu ihren Arbeitszeiten passt beziehungsweise Arbeitszeiten, die zur vorhandenen Kinderbetreuung passen, eine bezahlbare Wohnung, ein Steuersystem, das sie nicht benachteiligt und familienpolitische Leistungen, bei denen sie nicht länger durchs Raster fallen. Um Kinder aus der Armut zu holen, braucht es eine Kindergrundsicherung, die ihren Namen auch verdient. Die Basis für die eigenständige Leistung für jedes Kind ist ein (...) realistisch berechnetes kindliches Existenzminimum. (...) An der Schnittstelle zum Unterhaltsrecht muss eine Kindergrundsicherung so ausgestaltet werden, dass am Lebensmittelpunkt eines Kindes (...) genug Geld ankommt, um die Bedarfe des Kindes zu decken. (...)