Freiberg (epd). Christine Hänig ist erleichtert. Sie darf in ihrem Job bleiben - zumindest vorerst. Die Pflegerin aus dem mittelsächsischen Freiberg ist nicht gegen das Coronavirus geimpft. Doch der Landkreis Mittelsachsen spricht trotz gesetzlicher einrichtungsbezogener Impfpflicht keine Betretungsverbote aus. Die mehr als 3.000 ungeimpften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen zur Versorgungssicherheit weiter beschäftigt werden, heißt es.
Das war so nicht abzusehen. Hänig, die im „Haus Elisabeth“ in Freiberg arbeitet, hatte sich daher Anfang des Jahres als Verkäuferin in einer Bäckerei beworben. Mit der Regelung in Mittelsachsen muss sie nun erst einmal keine Konsequenzen fürchten.
Die seit März geltende Impfpflicht für Pflegende ist bis Ende des Jahres befristet. Was danach kommt, ist nicht abzusehen. Derzeit müssen Arbeitgeber den Gesundheitsämtern ungeimpfte Mitarbeiter melden. Die Behörden können Betretungsverbote und Bußgelder aussprechen.
Laut Sozialministerium haben in Sachsen derzeit knapp 27.000 Pflegende keinen vollständigen Impfnachweis erbracht. Es seien aber keine Betretungs- oder Tätigkeitsverbote ausgesprochen worden. Die Behörden hätten einen Ermessensspielraum. Denn in der Verantwortung der Gesundheitsämter liege es auch, die Versorgung aufrechtzuerhalten.
Belastbare Zahlen darüber, wie hoch der Anteil Ungeimpfter in der Pflege bundesweit ist, gibt es nicht. Nach Informationen des Bundesgesundheitsministeriums werden Daten der von der Impfpflicht betroffenen Einrichtungen nicht gesondert erfasst.
Nicht nur für die Pflegenden fehlen Zahlen, sondern auch für den Schutzstatus der Heimbewohnerinnen und -bewohner. Die Bundesregierung unternehme nichts, um den Immunstatus der Pflegebedürftigen untersuchen zu lassen, kritisiert Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz.
Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) weiß um die prekäre Situation in der Pflege in ihrem Bundesland: „Wir haben immer gesagt, dort, wo die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet werden kann, kann kein Betretungsverbot ausgesprochen werden“, betont sie. Alle zwei Monate haben die Landkreise und Städte eine Berichtspflicht. Die Behörden dokumentieren, wie sie zu ihren Entscheidungen gekommen sind.
Hänig hat nicht vor, sich überhaupt gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Vor der Covid-19-Erkrankung habe sie keine Angst, sagt sie, vor der Impfung schon. Schon fast 20 Jahre ist die Freibergerin in der Pflege tätig. „Ich liebe meine Arbeit“, sagt sie. Bei einer Impfpflicht würde sie die Pflege aber verlassen.
Ähnlich sieht das ihre Kollegin im „Haus Elisabeth“, einer Pflegeeinrichtung in städtischer und diakonischer Trägerschaft. Anja Morgenstern ist Pflegefachkraft und Ergotherapeutin und derzeit als Betreuerin tätig. „Ich kann mir nichts anderes vorstellen“, sagt sie. Die Ungewissheit, ob sie bleiben darf oder nicht, habe sie in den vergangenen Wochen sehr belastet.
Derweil steigen die Corona-Zahlen in Sachsen ebenso wie im gesamten Land. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnt vor einem schwierigen Herbst und mahnt zu guten Vorbereitungen. Dazu gehört seiner Ansicht nach auch das Impfen.
Morgenstern hat kein Vertrauen in den Corona-Impfstoff. Sie fragt sich, ob er tatsächlich wirkt, fürchtet Nebenwirkungen. Sie sei kerngesund und will sich nicht „irgendwelche Chemie injizieren“ lassen. „Meine Arbeit ist mir wichtig, aber meine Gesundheit noch wichtiger“, sagt sie.
Ihr Chef, der Freiberger Pflegeheimleiter Gerrit Kober, betont: „Ich könnte nicht auf ein Viertel der Mitarbeiter verzichten.“ Falls er wegen einer Impfpflicht dazu gezwungen wäre, könnte er frei gewordene Pflegeplätze nicht neu belegen. Im Moment hat sein Haus mit 130 Pflegenden und Betreuenden für 144 Bewohnerinnen und Bewohner gute Bedingungen.
Auch Sachsens Diakoniechef Dietrich Bauer hat Zweifel: „Wir hoffen, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht ausläuft“, sagt er. Und weiter: „Sie schafft mehr Probleme, als sie löst.“ Wenn die allgemeine Impfpflicht nicht durchgesetzt werden könne, dann sei auch nicht zu empfehlen, einzelne Gruppen herauszunehmen.
Das sehen seine Kolleginnen von der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz anders: Die Impfpflicht bleibe ein „wichtiger Schritt auf dem Weg aus der Pandemie“, sagt Diakonie-Direktorin Ursula Schoen. Mit dieser Maßnahme sei die Impfquote in den Einrichtungen nochmals gestiegen, in ihrem diakonischen Bereich auf mehr als 90 Prozent der Mitarbeitenden.
Die Berliner Diakonie-Vorständin Andrea Asch kritisiert jedoch die Umsetzung des Beschäftigungsverbots als „reinsten Flickenteppich“. Da brauche es ein einheitlicheres Vorgehen.