Berlin (epd). Die Palliativ- und Hospizversorgung in der Langzeitpflege muss nach Ansicht der AOK dringend verbessert werden. In vielen Heimen fehle noch immer eine Begleitkultur in der letzten Lebensphase der Bewohner, sagte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, am 5. Juli bei der Vorstellung des Pflegereports 2022 in Berlin. „Wir brauchen strukturelle und qualitative Veränderungen, vor allem einen sektorenübergreifenden Austausch der unterschiedlichen Professionen und Hospizdienste.“
Arbeitsverdichtung in den Einrichtungen und der Personalmangel stünden dem im Weg, erklärte Reimann. Deswegen sei es zentral, dass Hospiz- und Palliativpersonal in die Versorgung in den Langzeitpflegeeinrichtungen systematisch integriert werde, so die AOK-Chefin.
„In den Jahren 2018 und 2019 wurden rund 56 Prozent aller Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner innerhalb der zwölf Wochen vor ihrem Lebensende mindestens einmal in ein Krankenhaus verlegt“, sagte Reimann. Das sei eine im internationalen Vergleich hohe Verlegungsrate. Doch deutlich mehr als jede dritte dieser Klinikeinweisungen könne als potenziell vermeidbar klassifiziert werden. Hier nennt die AOK etwa Fälle von Herzinsuffizienz, Dehydration oder Harnwegsinfektionen.
Verlegungen in ein Krankenhaus bergen für die oft multimorbiden oder auch dementen Patientinnen und Patienten erhebliche Risiken: „Psychische Belastungen, kognitive Verschlechterungen, Infektionen sowie der weitere Verlust von Selbstständigkeit sind hier nur Beispiele“, sagte Antje Schwinger, Forschungsbereichsleiterin Pflege beim Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) und Mitherausgeberin des Pflege-Reports 2022: „Inwiefern die Krankenhauseinweisungen generell nicht dem Willen der Betroffenen entsprechen, kann über Routinedaten nicht erfasst werden.“
Wichtige Hinweise, wie sich die Heimversorgung am Lebensende darstellt, gibt eine Umfrage, an der rund 550 Pflegefach- und Assistenzpersonen teilnahmen. „Die Diskrepanz von Versorgungswunsch der Pflegebedürftigen und Wirklichkeit wird hier deutlich“, betonte Schwinger. So erlebt jeder Fünfte monatlich oder häufiger, dass Bewohner am Lebensende in ein Krankenhaus eingewiesen werden, obwohl das aus der Sicht der Befragten nicht im Interesse der Versterbenden ist. Zudem gab die Mehrheit der Befragten an, dass sich auf Druck der Angehörigen das Behandlungsteam für belastende beziehungsweise lebensverlängernde Maßnahmen entschied, obwohl die Patientenverfügung ein anderes Vorgehen nahegelegt hätte.
„Die als 'Patientenverfügung' verbreiteten Standardformulare geben oft nicht wider, was die betreffende Person tatsächlich zu dem Thema denkt und wünscht“, sagte Jürgen in der Schmitten, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Essen. Er warb für den Ansatz des „Advance Care Planning“ (Behandlung im Voraus planen„). Das sei ein bewährtes Instrument, um die letzte Lebensphase individuell vorausplanen zu können. Gesetzlich seit 2015 verankert, gebe es aber in der Umsetzung noch immer erhebliche Schwachstellen, so der Professor. “Deshalb brauchen wir eine Evaluation zu Umsetzungsbarrieren und Wirkungen dieser Leistungen", forderte Reimann. Insgesamt müsse bei der Versorgung am Lebensende genauer hingeschaut werden.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte für jede stationäre Pflegeeinrichtung ein hauptamtliches Hospizteam. Sterbende in Pflegeeinrichtungen bräuchten ebenso umfassende Begleitung wie Sterbende in Hospizen.
Die Diakonie Deutschland erklärte, die Finanzierung der Palliativversorgung und die Förderung einer hospizlichen Kultur in vollstationären Pflegeeinrichtungen sollte über die gesetzliche Krankenversicherung erfolgen. Die damit verbundenen Kosten dürften nicht über den Eigenanteil auf die Heimbewohnerinnen abgewälzt werden.