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Inflation

Energiearmut: "Da kommt eine große Not auf"




Strompreiserhöhungen treiben Arme in die Schuldenfalle.
epd-bild/Heike Lyding
Die sozialen Folgen hoher Energiepreise sehen Sascha Lutz und Carmen Kille jede Woche. Für die Diakonie beraten sie Menschen mit wenig Geld. "Viele wohnen in alten Buden", sagt Lutz.

Göppingen/Calw (epd). Sascha Lutz, Geschäftsführer im Diakonischen Werk Göppingen, macht zu etwa einem Drittel seiner Arbeitszeit Sozialberatung. Jede Woche sitzen bei ihm Menschen, die an den steigenden Energiepreisen verzweifeln. „Es werden immer mehr, da kommt eine Not auf“, sagt er zur wachsenden Energiearmut.

Erschrocken über Nachzahlung

Der aktuelle Hartz-IV-Regelsatz von monatlich 449 Euro enthält 36,41 Euro für Haushaltsstrom. „Ich kenne keinen Menschen in der Beratung, der damit auskommt“, sagt Lutz. Bei vielen stiegen die Vorauszahlungen, realistisch seien etwa 55 Euro. Für andere komme der Schrecken erst mit der Nachzahlung. Manche Energieversorger sperrten sich bei Verhandlungen, auch mit der Diakonie als Vermittler. „Dann muss man gut begründen, warum es zu keiner Sperrung kommen darf, etwa wegen kleiner Kinder im Haushalt.“

Für die diakonische Erlacher Höhe berät die Diplom-Pädagogin Carmen Kille in Calw und anderen Orten. Sie kennt viele Wohnungen ihrer Klienten. „Das sind in der Regel schlecht isolierte Altbauten, häufig mit Stromheizungen.“ Einer ihrer Klienten müsse sich nach Aufforderung des Jobcenters eine neue Wohnung suchen, denn die Kosten für die Stromheizung seien zu hoch. Im bundesweiten Heizspiegel fehle ein Wert für Strom, die Jobcenter dürften diesen Heizspiegel bei Strom nicht für die Angemessenheit heranziehen, dazu gebe es Gerichtsurteile. „Sie tun es trotzdem.“

Ein Mann Mitte 50 sei, als er in Hartz IV fiel, in eine kleine Dachgeschosswohnung umgezogen, berichtet Kille, allerdings mit Stromheizung. „Sein Abschlag ist sehr hoch, ihm bleiben vom Regelsatz 280 Euro zum Leben.“ Bei einer anderen Klientin stehe die Wohnung darunter seit Langem leer, auch das mache Heizen teuer. Und: Wer immer zu Hause sei, verbrauche mehr als ein Berufstätiger. „Viele, die zu uns kommen, wohnen in alten Buden“, sagt Lutz sehr deutlich, manche heizten quasi für die Nachbarn mit.

Keine Lösung

Menschen mit wenig Geld könnten sich energiesparende Geräte nicht leisten, sagt Lutz. „Ich habe versucht, mit einem Alleinstehenden mit den 187 Euro zur Erstausstattung eine Kühl-Gefrier-Kombination zu kaufen. Das billigste Gerät lag bei 199 Euro.“

Der vom Bundestag beschlossene einmalige Energiezuschlag von 200 Euro für Beziehende der Grundsicherung sei zwar schön, sagt Lutz, aber keine dauerhafte Lösung. „Die Sätze sind insgesamt zu niedrig, das Gesamtsystem wurde über Jahre nicht verändert.“ Mit den 200 Euro kämen die Menschen nicht weit, sagt auch Kille.

Die sozialen Folgen haben die Berater ständig vor Augen. „Ich finde es erschreckend, was das mit Menschen macht“, sagt Kille. Eine Rentnerin mit geringfügiger Beschäftigung lebe im Winter bei 16 Grad und spare sich aus Angst vor hohen Heiz- und Stromkosten jeden Cent vom Mund ab. „Ich habe ihr gesagt, dass sie auch noch leben soll.“

Peter Dietrich


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