Celle (epd). Bei der Lebenshilfe im niedersächsischen Celle trifft sich die Prüfgruppe für verständliche Texte: Fünf Menschen mit Behinderungen haben jeweils einen Stapel Blätter vor sich. Darauf steht ein Text in kurzen, einfachen Sätzen, den die beiden Übersetzerinnen des „Büros für Leichte Sprache“ für die Webseite der Lebenshilfe angefertigt haben.
Reihum wird vorgelesen und diskutiert. Es geht in dem vorliegenden Text um die Arbeit in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. „Holz-Werkstatt“ ist klar, aber „Konfektionierung“? „Das sollte man weglassen oder erklären“, sagt Amaya Resow. Die 21-Jährige hat eine kognitive Beeinträchtigung und arbeitet im Wäscheservice der Lebenshilfe. Einmal in der Woche ist sie Textprüferin. „Wegen der neuen Website haben wir viel zu tun“, sagt Resow.
So wie in Celle wird an vielen Orten in Deutschland übersetzt, vereinfacht und geprüft. Denn Leichte Sprache hat Konjunktur. Bundestag und Bundesregierung, oberste Gerichte und öffentlich-rechtliche Sender, Städte wie München oder Fußballclubs wie der HSV - sie bieten auf ihren Webseiten leicht verständliche Texte an. Öffentliche Stellen des Bundes sind durch das Behindertengleichstellungsgesetz verpflichtet, Informationen „vermehrt in Leichter Sprache“ bereitzustellen. Die Verordnung zur barrierefreien Informationstechnik (BITV 2.0) präzisiert das für digitale Anwendungen.
Mit kurzen Sätzen und einfacher Grammatik soll Leichte Sprache Barrieren abbauen und Teilhabe fördern. Das zielt nicht nur auf Menschen mit Behinderung. Es hilft auch Menschen mit geringen Deutsch-Kenntnissen und der großen Gruppe der funktionalen Analphabeten, die grundsätzlich lesen und schreiben können, aber mit Texten dennoch Schwierigkeiten haben.
Das erste deutsche Büro für Leichte Sprache ging 2004 in Bremen an den Start - und hat derzeit mehr als genug zu tun. „Die Nachfrage nach Leichter Sprache ist in den Jahren immer weiter gestiegen“, sagt Mitarbeiter Christian Glade. „Wir müssen Wartelisten für unsere Schulungen führen und viele Übersetzungsanfragen aus Zeitgründen absagen.“
Träger des Bremer Büros ist die Lebenshilfe. Fünf Mitarbeitende übersetzen und schulen, zwei Mitarbeitende mit geistiger Behinderung sind als Prüfer tätig. Zusätzlich arbeitet das Büro mit externen Prüfgruppen zusammen. Das Angebot rechnet sich, die Einnahmen decken Personal- und Sachkosten. Glade: „Wir schaffen inzwischen die schwarze Null.“
Thematisch gibt es keine Grenzen: Das Bremer Büro übersetzt das Wahlprogramm einer Partei und ein Faltblatt über Rauchmelder ebenso wie Fußballregeln, biblische Geschichten oder eine Kriminalerzählung. Für die Bremer Bürgerschaftswahl entwickelte das Büro 2015 Unterlagen in Leichter Sprache. Worauf sich Bürger beschwerten, die sich durch die einfachen Formulierungen nicht ernst genommen fühlten. Bei der Wahl vier Jahre später seien solche Reaktionen aber ausgeblieben, berichtet Büro-Mitarbeiter Glade.
Verstärkt auf digitale Unterstützung bei der Vereinfachung von Texten setzt „capito“. Dahinter steht die österreichische „atempo“-Gruppe, die sich mit Angeboten zur Inklusion profiliert hat. Sie vergibt für „capito“ Franchise-Lizenzen. Die Träger vor Ort bieten dann standardisierte Leistungen an, in Deutschland an acht Standorten.
„Wir haben capito digital als Schreibassistenz für leicht verständliche Sprache entwickelt“, erklärt Mitarbeiterin Anja Fuchs. Die Software arbeite wie eine Rechtschreibprüfung: Sie suche nach komplizierten Textstellen und schlage Verbesserungen vor.
Die automatisierte Bearbeitung werde noch zunehmen, heißt es bei „capito“. Doch auch dort laufen die klassische Übersetzung und die Arbeit mit Prüfgruppen weiter. „Letztendlich weiß nur die Zielgruppe, was für sie verständlich ist und was nicht“, sagt Fuchs.
Bei der Lebenshilfe in Celle ist das Pensum unterdessen geschafft. „Kinder·tages·stätten“ waren verständlich, über den Begriff „Politik“ hat die Gruppe diskutiert. „Leichte Sprache ist selbstverständlicher geworden, die Bewusstseinsbildung trägt langsam Früchte“, sagt die Sprach- und Übersetzungswissenschaftlerin Laura Heidrich, die das Büro aufgebaut hat. Dennoch sei das erst ein Anfang. Gerade bei Behördentexten, Anträgen und Bescheiden, so Heidrich, „muss noch viel passieren“.