Berlin (epd). Angesichts der großen Anzahl von Ukraine-Flüchtlingen braucht es nach Ansicht der Politik und von Migrationsexperten eine solidarische und flexibel gestaltete Verteilung der Menschen in der EU, um die Erstaufnahmestaaten zu entlasten. Das könnte durch die Nutzung verschiedener Instrumente wie Mindestkontingente und Matching-Verfahren erfolgen, die die derzeit freie Wahl des Ziellandes ergänzen, heißt es in einer Mitteilung des Sachverständigenrates für Integration und Migration (SVR) vom 28. März. Die EU will laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) einen sogenannten Index zur freiwilligen Aufnahme von Flüchtlingen nutzen.
Der SVR lobte die Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie als „eine historische Entscheidung im Sinne des Flüchtlingsschutzes. Wegen der hohen Zahlen an Neuankömmlingen “steht aber die Verteilungsfrage erneut auf der politischen Agenda", sagte SVR-Vorsitzende Petra Bendel.
Rund 3,9 Millionen Menschen sind laut UNHCR aus der Ukraine geflohen. Die meisten von ihnen haben bislang Schutz in der europäischen Nachbarschaft gefunden: in Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, Slowakei, Rumänien sowie der Republik Moldau.
„Wir brauchen einen solidarischen Ausgleich, um Erstaufnahmestaaten in Mittel- und Osteuropa zu entlasten und über eine Verteilung eine möglichst gute Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine mit Zugang zu Gesundheitsleistungen, Bildung und Arbeit zu gewährleisten. Eine dauerhafte Überforderung in wenigen Staaten muss vermieden werden“, betonte Bendel.
„Je länger der Krieg dauert und je mehr Flüchtlinge kommen, die nicht über persönliche Netzwerke verfügen, desto mehr wird die Verteilungsfrage an Relevanz gewinnen“, sagte SVR-Vize Daniel Thym. Die EU-Kommission will über eine sogenannte Solidaritätsplattform die freiwilligen Maßnahmen wie finanzielle und logistische Hilfe oder die Zusage zur Aufnahme von Flüchtlingen koordinieren.
Mitgliedstaaten, die noch vergleichsweise wenige Flüchtlinge aufgenommen haben, könnten entsprechend ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten Mindestkontingente für eine Flüchtlingsaufnahme beziffern oder sonstige, zum Beispiel logistische, Hilfe bei der Verteilung und Aufnahme leisten. Perspektivisch könnten auch bedarfsgerechte Matching-Verfahren sinnvoll sein, um aufnahmewillige Mitgliedstaaten und die dortigen Kommunen mit den Flüchtlingen zusammenzubringen, die dort hinwollen. Denkbar wäre laut SVR eine Art Vermittlungsplattform, auf der potenzielle Aufnahmegemeinden Schutzberechtigte über dortige Möglichkeiten in Bezug auf Arbeit, Bildung oder Wohnraum informieren können.
Thym: „Aufnahmeländer, die besonders vielen Flüchtlingen aus der Ukraine Schutz gewähren, müssen zudem logistisch und finanziell von der EU unterstützt werden. Dies gilt auch für Nicht-EU-Staaten wie die Republik Moldau.“
An dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Index könne man sehen, welches Land wie viele Geflüchtete aufgenommen habe, sagte Faeser nach einem Treffen mit ihren EU-Amtskollegen am 28. März in Brüssel. „Danach soll eine etwas gerechtere Verteilung erfolgen.“
Es handele sich um eine freiwillige Verteilung. Zugleich wolle die EU-Kommission aber stärker steuern und gezielt Mitgliedsstaaten ansprechen „Ihr habt noch nicht so viele, nehmt bitte auf“, erklärte Faeser. Der Index sei als als gute Basis gesehen worden. Es wäre aber gut, „mehr Verbindlichkeit zu haben“, betonte die Innenministerin.
Bereits vor der Sitzung hatte die deutsche Ressortchefin festgestellt, dass sie derzeit keine festen Aufnahmequoten für Flüchtlinge anstrebe. „Wir wollen ja jetzt nicht Staaten verschrecken“, das sei der Grund, „warum man nicht jetzt starr an Quoten festhält“, erklärte die Ministerin.