sozial-Recht

Bundessozialgericht

Leichte ambulante häusliche Krankenpflege Sache der Krankenkasse




Der Streit über die Kostenübernahme der Medikamentengabe wurde vom BSG entschieden.
epd-bild/Tim Wegner
Krankenkassen dürfen leichte Tätigkeiten der ambulanten häuslichen Krankenpflege nicht einfach auf die Eingliederungshilfe übertragen. Nur im vollstationären Bereich kann verlangt werden, dass das Personal der Eingliederungshilfe die leichten Aufgaben mit übernimmt, urteilte das Bundessozialgericht.

Kassel (epd). Nur im vollstationären Bereich können gesetzliche Krankenkassen regelmäßig einfache Tätigkeiten der häuslichen Krankenpflege auf Mitarbeitende der Eingliederungshilfe abwälzen. Erbringen dagegen Betreuungsdienste Leistungen der Eingliederungshilfe in den eigenen vier Wänden des Kranken, dann sind sie nicht verpflichtet, auch leichte ambulante Krankenpflege „nebenbei“ und ohne Beteiligung der Krankenkassen zu erbringen, urteilte am 17. Februar das Bundessozialgericht (BSG) im Streit um die Kostenübernahme für das wöchentliche Herrichten einer Medikamentenbox.

Mit der ärztlich verschriebenen häuslichen Krankenpflege sollen stationäre Klinikaufenthalte vermieden und das Ziel einer ärztlichen Behandlung gesichert werden. Zu solch einer Behandlungspflege gehört etwa die erforderliche Grundpflege oder auch die Sicherung der korrekten Medikamenteneinnahme.

Zahlung bis zu vier Wochen je Fall

Die häusliche Krankenpflege wird bis zu vier Wochen pro Krankheitsfall auf Kosten der Krankenkasse erbracht. Das kann entweder im Haushalt der betroffenen Person, in Werkstätten für behinderte Menschen oder an einem „sonst geeigneten Ort“ erfolgen. Der Anspruch besteht aber nur, „soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann“.

Im Streitfall ging es um eine heute 31-jährige Frau aus dem Landkreis Havelland, die an einer Persönlichkeits- und Verhaltensstörung sowie Bluthochdruck leidet. Nach einem Aufenthalt in einem Heim der Eingliederungshilfe bewohnte sie seit Oktober 2016 als Mieterin eine von ihr allein bewohnte Wohnung der AWO Betreuungsdienste gGmbH.

Kasse wollte 8,40 Euro wöchentlich nicht bezahlen

Der Landkreis Havelland gewährte der Frau Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten im Umfang von monatlich 18 Stunden. Die AWO-Betreuungsdienste unterstützten die Frau beim Umgang mit Geld und bot Begleitung auf unbekannten Wegstrecken an. Zusätzlich zu dieser Eingliederungshilfe hatte der Hausarzt ihr im Rahmen der Behandlungspflege das Herrichten der wöchentlichen Medikamentenbox verschrieben. Diese Aufgaben übernahm jeden Montagmorgen der zusätzlich beauftragte AWO-Pflegedienst.

Die AOK Nordost lehnte es ab, die hierfür anfallenden Kosten in Höhe von wöchentlich 8,40 Euro zu übernehmen. Die Frau erhalte bereits Eingliederungshilfe durch die AWO-Betreuung. Diese und nicht der AWO-Pflegedienst könne „nebenbei“ die Medikamentenbox bestücken. Die Krankenkasse verwies dabei auf ein Urteil des BSG vom 25. Februar 2015.

Urteil aus dem Jahr 2015 nicht übertragbar

Die obersten Sozialrichter hatten damals nach dem bis Ende 2019 geltenden Eingliederungshilferecht entschieden, dass Krankenkassen zwar regelmäßig auch in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe für die häusliche Krankenpflege in Form einer medizinischen Behandlungspflege aufkommen müssen, etwa bei der Wundversorgung oder Injektionen. Für leichte Tätigkeiten, die von Laien „nebenbei“ bewältigt werden können, sei aber die stationäre Einrichtung zuständig, so das Gericht.

Diese Grundsätze seien auf die ambulante Betreuung zu übertragen, meinte die AOK Nordost zur Begründung. Es sei wirtschaftlich, wenn im Rahmen der Eingliederungshilfe auch die Medikamentenbox hergerichtet werde. Die Frau meinte dagegen, dass die Krankenkasse zahlen muss. Der AWO-Pflegedienst erbrachte zwischenzeitlich die häusliche Krankenpflege und stundete die angefallenen Kosten.

Gericht sieht rechtswidriges Verhalten

Das BSG hielt das Vorgehen der Krankenkasse für rechtswidrig. Zwar halte der Senat an der Rechtsprechung fest, dass stationäre Einrichtungen leichte Tätigkeiten der häuslichen Krankenpflege im Rahmen der Eingliederungshilfe selbst übernehmen können. Denn die Einrichtung übe die Gesamtverantwortung über die zu betreuende Person aus, so das Gericht.

Auf die ambulante häusliche Krankenpflege in der eigenen Wohnung sei diese Rechtsprechung aber nicht zu übertragen. Die Kasse könne die Bezahlung für Maßnahmen der einfachsten Behandlungspflege nur dann verweigern, wenn eine im Haushalt des Versicherten lebende Person erklärt, sie ausführen zu wollen oder eine anderweitige rechtliche Verpflichtung dazu besteht.

Nur wenn die Eingliederungshilfe mit der erforderlichen ambulanten Behandlungspflege im Einzelfall als „deckungsgleich“ angesehen werden könne, könne die Krankenkasse die leichten Behandlungspflege-Tätigkeiten auf die Eingliederungshilfe übertragen. Das sei hier aber nicht der Fall. So müsse die Medikamentenbox montagmorgens bereitgestellt werden. An diesem Tag komme aber kein Helfer der Eingliederungshilfe. Das Eingliederungsziel sei zudem die Hilfestellung beim Umgang mit Geld. Zu Recht beanspruche daher die Klägerin, dass die Krankenkasse für die Kosten der Herrichtung der Medikamentenbox aufkommt.

Einzelfallentscheidung ist nötig

Die Grundsätze dieser Entscheidung können auch auf das seit 2020 geltende Eingliederungshilferecht übertragen werden. Seitdem gibt es häufig keine klare Trennung von „ambulant“ und „stationär“, sondern unterschiedliche, teilstationäre betreute Wohnformen.

Wer leichte Tätigkeiten der häuslichen Krankenpflege dann übernehmen kann, hängt nun davon ab, wer die Gesamtverantwortung trägt und dazu rechtlich verpflichtet ist. Im vollstationären Bereich sind das die Einrichtungen, im ambulanten Bereich ist es nach dem aktuellen BSG-Urteil regelmäßig die Krankenkasse. Bei teilstationären Einrichtungen kommt es auf den jeweiligen Einzelfall an.

Az.: B 3 KR 17/20 R (häusliche Krankenpflege eigene Wohnung)

Az.: B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R (häusliche Krankenpflege stationäre Einrichtung)

Frank Leth