Kassel (epd). Impfgegner sollten nach Einschätzung des obersten deutschen Sozialrichters nicht automatisch darauf vertrauen, dass das Gesundheitssystem stets für alle Gesundheitskosten einer Covid-19-Erkrankung aufkommt. Der Gesetzgeber könne für nicht gegen das Corona-Virus geimpfte Personen durchaus eine „angemessene Kostenbeteiligung“ bei einer Krankenbehandlung beschließen, sagte der Präsident des Bundessozialgerichts (BSG), Rainer Schlegel, am 8. Februar in Kassel: „Solidarität ist keine Einbahnstraße.“
„Zweifellos müssen auch nicht Geimpfte Anspruch auf eine volle Behandlung haben“, betonte der Jurist bei der Jahres-Pressekonferenz des BSG. Bei ausreichenden Einkommen oder Vermögen wäre es aber in einem solidarischen Gesundheitssystem zulässig, solche Versicherte an den Behandlungskosten zu beteiligen. Das gelte aber nicht für Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen könnten. Bislang sei solch eine Kostenbeteiligung etwa bei auftretenden Gesundheitsschäden infolge von Schönheitsoperationen oder Tätowierungen vorgesehen.
Der BSG-Präsident wies auf die hohen wirtschaftlichen Kosten einer Covid-Intensivbehandlung im Krankenhaus hin. So hätten 2021 insgesamt 3.245 Patienten beatmet werden müssen. Bei einem zehntägigen Klinikaufenthalt koste die Behandlung rund 60.000 Euro und bei 41 Tagen etwa 200.000 Euro. Ein Durchschnittsverdiener und Arbeitgeber müsse für 200.000 Euro 34 Jahre lang Krankenkassenbeiträge zahlen, rechnete Schlegel vor.
Die Corona-Pandemie habe aber beim BSG noch nicht zu mehr Verfahren geführt. So seien 2021 insgesamt 2.806 Verfahren neu beim BSG eingegangen, 2020 habe die Zahl bei 2.903 gelegen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer für Revisionen betrage 9,3 Monate bis zur Erledigung.
Schlegel sieht den Grund für den Rückgang unter anderem in den wegen der Corona-Pandemie erfolgten geänderten Hartz-IV-Regelungen. Es gebe nun einen vereinfachten Zugang zum Arbeitslosengeld II. Auch das Kurzarbeitergeld habe dazu geführt, dass insgesamt bei den Sozialgerichten weniger Hartz-IV-Klagen eingingen. Denn mit der Leistung sei das Abrutschen in die Grundsicherung und damit entstehende Streitigkeiten vermieden worden.
Allerdings rechnet der BSG-Präsident wieder mit einem baldigen Verfahrensanstieg. So habe die Bundesagentur für Arbeit damit begonnen, die Berechnungen des Kurzarbeitergeldes zu prüfen. Fast eine Million Betriebsprüfungen stünden noch aus, über die dann wohl auch gestritten werde. „In diesem Bereich wird es einen erheblichen Zuwachs an Klagen geben“, sagte Schlegel.
Die von der Regierungskoalition beabsichtigte Einführung des Bürgergeldes und die Kindergrundsicherung für arme Familien werde „erfahrungsgemäß“ ab 2023 ebenfalls zu zahlreichen Prozessen führen.