Weiden (epd). Die kleine Lea (Name geändert) ist schwerstbehindert. Nachts braucht sie ein Gerät, damit sie Luft bekommt. Das vierjährige Mädchen sitzt im Rollstuhl. Und es sieht fast nichts. Für Noah (Name geändert), ihren siebenjährigen Bruder, ist es ganz normal, eine Schwester zu haben, die geistig und körperlich schwer behindert ist. „Doch seine Freunde erschrecken, wenn sie Lea sehen“, meinte Noahs Mama neulich zu Tanja Herzer. Die kümmert sich als Hospizbegleiterin um Kinder, die schwerstkranke Geschwister haben.
Tanja Herzer ist bei den Maltesern im oberpfälzischen Weiden im Einsatz. Dort baut die Krankenschwester gerade eine Gruppe für Geschwister von schwerstkranken Kindern auf: die „Löwengruppe“.
In Familien mit einem schwerstkranken Bruder oder einer lebensbedrohlich erkrankten Schwester dreht sich naturgemäß alles um das kranke Kind. Was auch verständlich ist. Die Geschwister müssen zurückstecken. Sie sehen, wie viel Mama und Papa mit dem kranken Kind zu tun haben. Wie sehr sie sich sorgen. „In der Löwengruppe wollen wir den Geschwisterkindern eine unbeschwerte Zeit bereiten“, sagt Herzer.
Gruppen, die sich ausschließlich an Geschwister schwerstkranker Kinder wenden, seien von großer Bedeutung, betont Sabine Kraft, Geschäftsführerin des Bundesverbands Kinderhospiz. Hier könnten diese Mädchen und Jungen Kind sein. In ihren Familien könnten sie ihre eigenen Bedürfnisse oft nicht richtig ausleben: „Häufig übernehmen sie sehr früh sehr viel Verantwortung.“ Sie unterstützen bei der Pflege. Sie helfen im Haushalt mit - was auch sehr belastend sein kann.
Etwa 50.000 Kinder und Jugendliche sind laut den Maltesern in Deutschland lebensverkürzend erkrankt. Ihre Familien bräuchten viel mehr Unterstützung. „Dass sie die bekommen, wäre mein großer Wunsch“, sagt Elke Lauterbach, die für den Ambulanten Hospizdienst der Malteser im Raum Weiden verantwortlich ist. Besonders prekär sei die Situation in ärmeren Familien, die in kleinen Mietwohnungen lebten. Das kranke, zum Teil von Geräten abhängige Kind braucht oft ein Zimmer für sich. Die Geschwister rücken zusammen, „Eltern müssen manchmal im Wohnzimmer schlafen“.
Auch hat nicht jedes Geschwisterkind wie Noah das Glück, mit dem kranken Schwesterchen oder Brüderchen aufzuwachsen. Das liegt am Pflegenotstand, sagt Lauterbach. Behinderte Kinder, die rund um die Uhr Pflege benötigen, finden inzwischen kaum mehr einen ambulanten Kinderintensivpflegedienst, der für eine 24-Stunden-Pflege sorgen könnte. Irgendwann bleibe nichts anderes übrig, als das Kind in eine Einrichtung zu geben.
Dass der Fachkräftemangel in der ambulanten Pflege schwerstkranker Jungen und Mädchen ein riesiges Problem darstellt, konstatiert auch Katrin Beerwerth vom ambulanten Hospizdienst „Königskinder“ aus Münster. Das Gros der von den „Königskindern“ betreuten Familien werde nicht ausreichend intensivpflegerisch unterstützt. Beerwerth sagt, dass viele der betroffenen Eltern keine Nacht mehr durchschlafen können: „Zum Beispiel, weil das Kind oft umgelagert werden muss.“
Stationäre Kinderhospize suchen laut Sabine Kraft „händeringend und oft erfolglos“ nach qualifizierten Mitarbeiterinnen: „Immer wieder werden daher unheilbar kranke Kinder abgewiesen.“ Einzelne Kinderhospize mussten inzwischen sogar schließen, berichtet Rüdiger Barth, Leiter des Kinder- und Jugendhospizes Balthasar in Olpe.
Barth, der mit „Balthasar“ Deutschlands ältestes, vor 23 Jahren gegründetes stationäres Kinder- und Jugendhospiz leitet, kennt Väter, die ihre Arbeit aufgegeben haben, damit sie sich um ihr Kind kümmern können. „Mit allen wirtschaftlichen Konsequenzen“, sagt der Fachkinderkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin.
Ehrenamtliche Kinderhospizbegleiterinnen kümmern sich auch um die Familien, wenn das schwerkranke Kind gestorben ist. Wie sich ein Kind verhält, das ein Familienmitglied verloren hat, ist völlig unterschiedlich. Barbara Reichl von den Maltesern in Weiden erinnert sich an Schwestern eines kleinen Mädchens, das sehr schwer krank war und schließlich starb. „Es war ein langsames Sterben.“ Die Mädchen konnten erstaunlich gut über das Geschehene sprechen. Was vermutlich daran lag, dass die Familie intensiv von einer ehrenamtlichen Kinderhospizbegleiterin unterstützt worden war. In den meisten Fällen dauere es lange, bis Kinder mit Worten ausdrücken können, wie es ihnen seit dem Tod des Schwesterchens, des Bruders oder der Mama geht, sagt Reichl.