sozial-Recht

Landesarbeitsgericht

Betriebliches Eingliederungsmanagement nicht ohne Datenschutz




Das Landesarbeitsgericht Stuttgart hat den Datenschutz im betrieblichen Eingliederungsmanagement gestärkt.
epd-bild/Heike Lyding
Wegen häufiger Kurzerkrankungen kann einem Arbeitnehmer die Kündigung drohen. Bevor der Arbeitgeber aber den Mitarbeiter entlässt, muss er regelmäßig ein betriebliches Eingliederungsmanagement anbieten und dabei auch den erforderlichen Datenschutz beachten, urteilte das Landesarbeitsgericht Stuttgart.

Stuttgart (epd). Vor einer ordentlichen Kündigung wegen häufiger kurzer Erkrankungen muss ein Arbeitgeber dem Beschäftigten ein reguläres betriebliches Eingliederungsmanagement ermöglichen. Dabei muss der betroffenen Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer auch mitgeteilt werden, welche Gesundheitsdaten erhoben und gespeichert werden und wer diese einsehen kann, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg in einem am 14. Dezember veröffentlichten Urteil. Andernfalls liege kein ordnungsgemäß eingeleitetes Verfahren zur möglichen Rückkehr an den Arbeitsplatz vor, was wiederum die Unwirksamkeit einer ausgesprochenen krankheitsbedingten Kündigung begründen könne, befanden die Stuttgarter Richter.

Ein seit 2014 als Sachbearbeiter angestellter Mann war vor Gericht gezogen. Zwischen 2016 und 2019 war er häufig kurz erkrankt, so dass der Arbeitgeber jedes Mal Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten musste. Die Fehlzeiten beliefen sich auf jährlich zwischen 31,7 und 51 Arbeitstage.

Unwirksame Kündigung

Als der Mitarbeiter Anfang 2020 erneut arbeitsunfähig wurde, lud der Arbeitgeber ihn zu einem gesetzlich vorgeschriebenen, betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) zur Rückkehr an den Arbeitsplatz ein. Hier sollte ausgelotet werden, wie die wiederholte Arbeitsunfähigkeit überwunden und der Arbeitsplatz für den erkrankten Arbeitnehmer erhalten werden kann. Das bEM ist vorgeschrieben, wenn Arbeitnehmer innerhalb von zwölf Monaten mehr als sechs Wochen krank sind.

Doch in diesem Fall hatte der Mitarbeiter auf das vorgeschlagene bEM ebenso wie schon auf vergangene Einladungen nicht reagiert. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin dem Mann ordentlich.

Das LAG stufte die Kündigung allerdings als „nicht sozial gerechtfertigt“ und damit unwirksam ein. Eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen sei unter bestimmten Voraussetzungen aber durchaus zulässig, so das Gericht. Hierfür müsse eine negative Gesundheitsprognose vorliegen. Es müsse also begründet davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer auch künftig immer wieder krank ist. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit könnten hierfür ein Indiz sein. Eine negative Gesundheitsprognose liege bei dem Kläger vor.

Kostenbelastung nachweisen

Für die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung müsse der Arbeitgeber auch belegen, dass die Fehlzeiten des Mitarbeiters zu „erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen“ führen. Dies sei hier ebenfalls der Fall gewesen, weil der Arbeitgeber weiterhin mit deutlichen Kosten bei der Entgeltfortzahlung rechnen müsse.

Bevor der Arbeitgeber dann krankheitsbedingt kündigt, müsse er schließlich regelmäßig ein ordnungsgemäßes bEM-Verfahren einleiten, um den Arbeitsplatz des Beschäftigten erhalten zu können. Nur wenn das bEM „objektiv nutzlos“ ist, könne darauf verzichtet werden. Das müsse der Arbeitgeber aber beweisen. Sei dagegen denkbar, dass ein bEM zum Abbau der Fehlzeiten führen kann, wäre eine zuvor ausgesprochene Kündigung „vorschnell“.

Im jetzt entschiedenen Fall sei das bEM nicht korrekt eingeleitet worden, rügte das LAG. Denn der Arbeitnehmer müsse nicht nur über die Ziele, sondern auch über Art und Umfang der dabei erhobenen Daten informiert werden. Dazu gehörten insbesondere auch Angaben über Krankheitsdaten, deren Speicherung und inwieweit diese für welche Zwecke dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Der Arbeitgeber dürfe nur solche Daten ohne Zustimmung des Beschäftigten erhalten, die er zur Genehmigung des bEM benötigt. Ein Anspruch auf Diagnosen und ähnlich sensible Daten bestehe dagegen ausdrücklich nicht.

Zu weitgehende Forderung nach Daten

Im Streitfall habe der Arbeitgeber jedoch in der vorgelegten Datenschutzerklärung die Preisgabe aller Gesundheitsdaten verlangt, und zwar auch gegenüber der Standortleitung - also dem Vertreter des Arbeitgebers. Ein Hinweis, dass der Arbeitgeber Diagnosen oder ähnlich sensible Daten nur auf freiwilliger Basis erhalten kann, habe gefehlt.

Die Folge: Wegen der fehlerhaften Angaben zur Datenverwendung sei das bEM nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden. Bei Einhaltung der Datenschutzhinweise wäre es nicht ausgeschlossen gewesen, dass der Kläger sich doch noch zu einem bEM entschließt. Die ordentliche Kündigung sei damit unwirksam.

Engagierte Mitwirkung nötig

Findet aber bei häufigen Erkrankungen ein bEM ordnungsgemäß statt, muss der Arbeitnehmer sich zum Erhalt seines Arbeitsplatzes auch selbst „engagiert einbringen“, urteilte bereits das LAG Köln am 20. November 2013. Sei das nicht der Fall, dürfe der Arbeitgeber bei einem gescheiterten Eingliederungsmanagement kündigen.

Hier hatte sich die Klägerin gar nicht mit der Art ihrer häufigen psychosomatischen Beschwerden auseinandergesetzt. Ihre Fehlzeiten blieben trotz eines bEM sehr hoch. Die zu erwartenden Lohnfortzahlungskosten würden daher „zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung“ für den Arbeitgeber, urteilte das LAG.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte am 22. März 2016, dass der Betriebsrat bei einem bEM nur eingeschränkt mitreden darf. Die Mitbestimmung bei der Wiedereingliederung kranker und behinderter Menschen sei nur auf allgemeine Regeln beschränkt, wie in solchen Fällen vorzugehen ist. Regelungen, die im Ergebnis zu einer Mitbestimmung in jedem Einzelfall führen, gingen dagegen zu weit und seien daher unwirksam, so die Erfurter Richter.

Az.: 4 Sa 70/20 (LAG Stuttgart)

Az.: 11 Sa 462/13 (LAG Köln)

Az.: 1 ABR 14/14 (Bundesarbeitsgericht)

Frank Leth