Bad Münstereifel (epd). „Die Zeiten sind schwer, die Zeiten sind schlecht. Leg jeder mit Hand an, dann wird’s wieder recht.“ Die Inschrift steht auf der Wand von Haus Nr. 53 in der Werther Straße, in der Bad Münstereifler Altstadt. Das Haus ist aus dem Jahr 1932, die Inschrift könnte aber ebenso gut aus dem Jahr 2021 sein. Im Erdgeschoss des Hauses befindet sich ein leeres Ladenlokal, vor dem Haus fehlt auf der ganzen Straße das Kopfsteinpflaster.
Wenige Schritte entfernt fließt die Erft - der Fluss, der am 14. Juli sein Bett verließ und die Altstadt zerstört hat. Das Wasser hat die 1.000 Jahre alte Mauer, die das Flussbett einfasste, weggespült. In Nordrhein-Westfalen kamen bei der Jahrhundertflut 49 Menschen ums Leben, knapp 180 Städte und Gemeinden sind von der Zerstörung betroffen. In Rheinland-Pfalz, wo auch das benachbarte Ahrtal liegt, starben mehr als 130 Menschen.
Eine Familie geht langsam an den leeren Ladenlokalen vorbei. Es ist ein trüber Nachmittag im Advent. Das Lindt-Outlet ist mit Spanplatten verbarrikadiert. Durch ein bodentiefes Fenster, dem die Scheibe fehlt, kann man in eine ehemalige Pizzeria blicken. Dahinter tut sich ein schwarzes Loch auf. Außer rohen Wänden und ein paar Kabeln und Leitungen kann man in der Dunkelheit nichts erkennen.
„Traurig ist das“, sagt ein junger Mann mit Basecap, „Das ist mehr wie traurig“, entgegnet ein älterer Mann leise. Als nächstes gehen sie an einem Fachwerkhäuschen vorbei, in dem sich ein Geschäft für Wohndekorationen befindet. Die Fenster im ersten Stock sind gekippt, Lautsprecher übertragen Weihnachtsmusik. Es läuft „Thank God It’s Christmas“.
Bad Münstereifel, die mittelalterliche Pilgerstadt, Stadt der Wollwerker, Gerber und Bierbrauer - ist als Heimatort des Schlagersängers Heino bekannt. Vor einigen Jahren zog außerdem das City Outlet in die leerstehenden Ladenlokale in der Altstadt. In der Advents- und Weihnachtszeit gab es dort sonst einen großen Weihnachtsmarkt, der viele Touristen aus der ganzen Region anzog. 8.000 Quadratmeter Kopfsteinpflaster müssen neu verlegt werden. Bis zum 30. Juni 2022 sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein, damit die Läden wieder öffnen können.
Die Ladenbesitzer und Gewerbetreibenden aus Bad Münstereifel haben sich für die Weihnachtszeit etwas einfallen lassen. Rund um die Stiftskirche, zu der man von der Werther Straße durch enge Gassen in wenigen Hundert Metern gelangt, gibt es einen kleinen Weihnachtsmarkt, auf dem nur ortsansässige Einzelhändler ihre Waren verkaufen.
Andrea Berkmüller betreibt das „Trachtenstüberl“. Sie und ihr Mann Theo Broere haben auch einen kleinen Marktstand. „Natürlich ist das kein Ersatz. Hier kann man nichts anprobieren“, sagt Berkmüller. Aber sie sei trotzdem froh, dass sie hier etwas verkaufen könne. Heute am vierten Adventssonntag sei auch mehr los.
Weihnachtsstimmung wolle aber nicht wirklich aufkommen, sagt sie. Berkmüller und Broere haben ihr Trachtengeschäft samt Warenlager durch die Flut verloren. Der Schaden gehe in die Hunderttausende. Ihre Wohnung liegt direkt über dem Geschäft. Der Telefon- und Internetanschluss ist noch nicht wieder neu verlegt, Leitungswasser kochen sie immer noch ab wegen der Keimbelastung. Seit kurzem haben sie einen kleinen Verkauf in einem benachbarten Geschäft eröffnet, die Ladenfläche teilen sie sich mit dem Nachbar. Wann sie in ihren eigenen Laden zurückkönnen, wissen sie nicht.
Auch die Stiftskirche wurde vom Wasser beschädigt. An der Holztür im Kirchenportal sieht man genau, wie hoch die Flut stand. Bernhard Ohlert ist vom Erzbistum Köln als Flutkoordinator eingesetzt worden. Der gelernte Schreiner und Restaurator sitzt im Kirchenvorstand und als CDU-Mitglied im Stadtrat.
Wie hoch der Schaden ist, kann er noch nicht beziffern. Die Stiftskirche braucht eine neue Heizung, eine neue Lichtanlage, auch der Computer, der die Glocken steuert, muss repariert werden. Außerdem braucht die Orgel mit ihren 2.138 Pfeifen eine Reinigung, und der Kirchraum muss neu gestrichen werden. Aber die Kunstschätze, darunter eine Madonna und eine Pietà aus dem 15. Jahrhundert, sowie die Reliquien der heiligen Schutzpatrone Chrysanthus und Daria haben sie gerettet, erzählt Ohlert stolz.
Pastor Christian Herrmanns wohnt auf der anderen Seite des Kirchplatzes. Er hat die Stiftskirche und den kleinen Weihnachtsmarkt im Blick, wenn er aus den Fenstern seines Pfarrhauses schaut. Im Pfarrgarten hält er Hühner. Es gebe etliche Münstereifler, die zu Weihnachten nicht in ihre Wohnungen und Häuser zurückkönnten, erzählt er.
Herrmanns ist Notfallseelsorger und hat mit seinen evangelischen Kollegen ein psychosoziales Hilfezentrum geöffnet. In der Münstereifler Altstadt seien viele Geschäftsräume betroffen, doch in den Ortschaften vor und hinter Münstereifel seien es hauptsächlich Privathäuser. „Viele gucken jetzt langsam nach vorne“, sagt Herrmanns. Häufig höre von Menschen, für die nichts sei wie zuvor, den Satz: „Anderen geht es noch schlimmer.“ „Das macht mich sprachlos“, sagt der Pastor.
Günter Porz lebt seit 48 Jahren in Bad Münstereifel. „Ich will hier nie mehr weg“, sagt er, während er seine Kunden auf dem Weihnachtsmarkt mit Lebkuchen versorgt. Porz ist der Inhaber des „Printenhauses“, das auch saniert werden muss. Auf dem Weihnachtsmarkt hat er seine Hütte gleich rechts neben dem Eingangsportal der Stiftskirche. Für ihn sei es dieses Jahr eigentlich der schönste Weihnachtsmarkt. Die Leute kämen von überall her, sogar aus Mainz oder Frankfurt. Er findet, die Flut sei auch eine Chance. „Die alte Erftmauer hat 1.000 Jahre gehalten, die neue wird bestimmt 2.000 Jahre halten“, sagt er und lacht.