Nürnberg (epd). Zum Zeitpunkt der Eröffnung der Fachmesse ConSozial 2021 am 10. November in Nürnberg stand die Bayerische Krankenhausampel bereits auf Rot, die Inzidenz in der fränkischen Metropole lag bei 320, Tendenz steil steigend. Doch die zweitägige Messe unter dem Motto „Den Menschen im Blick mehr denn je!“ fand statt, aller Widrigkeiten zum Trotz, wenn auch unter erheblichen Einschränkungen.
Bei der Auftaktveranstaltung berichtete Markus Gruber, Amtschef im Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, dass der Planungsstab noch kurz zuvor ernsthaft überlegt habe, die ConSozial wie im Vorjahr erneut abzusagen. „Doch wir waren und sind überzeugt, dass es verantwortbar ist, sich zu treffen, und es ist machbar“. Und so fand das „Familientreffen“ live statt, doch, wenn der Augenschein nicht täuschte, haben viele Sippenmitglieder die Einladung nicht angenommen.
Sozialministerin Carolina Trautner (CSU) sprach am Ende der Fachmesse zwar von einem einen erfolgreichen Re-Start „zur großen Freude aller endlich wieder mit persönlichen Begegnungen“. Doch Besucherzahlen nannte ihr Ministerium nicht.
Politiker und Fachleute riefen bei dem Branchentreff unter dem Motto „dazu aufgerufen, die Arbeitsbedingungen in sozialen Berufen zu verbessern. Andernfalls werde es immer schwerer, genügend Fachkräfte für Kitas, Pflegeheime oder Krankenhäuser zu finden, sagte Markus Gruber. “Wir brauchen sie Tag für Tag, denn sie stiften mit ihrer Arbeit Sinn." Nie sei das so deutlich geworden wie in der Corona-Pandemie.
Gruber verwies exemplarisch auf die stark belasteten Intensivstationen, in denen wegen fehlenden Pflegepersonals viele Intensivbetten nicht mehr belegt werden könnten. „Wichtig waren soziale Berufe schon vor der Pandemie“, sagte der Amtschef. Doch durch Corona sei deutlich geworden, „dass nichts mehr geht, wenn sie nicht da sind“. Man brauche mehr Menschen, die für Menschen sorgen. Es sei Aufgabe der ganzen Gesellschaft, das tägliche Engagement in den sozialen Berufen „mit Kopf und Herz“ mehr zu würdigen. Dann, so Gruber, würden diese Berufe auch wieder attraktiver für den Nachwuchs.
Gerhard Timm, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW), sagte mit Blick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen in Berlin, die Pflege gehöre ganz nach oben auf die politische Agenda. „Wir brauchen dringend einen Systemwechsel.“ Der demografische Wandel spitze die Lage weiter zu. Die neue Bundesregierung müsse sich auch an dem Motto der ConSozial messen lassen, so Timm: „Fördert sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Teilhabe aller Bürger?“ Das Sondierungsergebnis mache Hoffnung, so Timm. Doch es bleibe abzuwarten, ob am Ende eine nachhaltige und kohärente Politik stehe.
Corona habe das soziale Sicherungssystem hierzulande „einem nie da gewesenen Stresstest unterzogen“, sagte Timm. Doch die Branche habe sich bewährt, urteilte er und verwies exemplarisch auf den „tollen Einsatz, den Pflegekräfte geleistet haben und noch immer leisten“. Das soziale Hilfesystem müsse jedoch weiter krisenfest gemacht werden, etwa durch schnelle Fortschritte bei der Digitalisierung und zum Beispiel der Entwicklung hybrider Beratungsformate.
Der Nürnberger Oberbürgermeister Marcus König (CSU) würdigte die Leistungen der Pflegebranche in der Pandemie. Er betonte, die Pandemie habe den Druck auf viele Berufe im Sozialwesen deutlich erhöht. Die Zahl der unbesetzten Stellen sei in Nürnberg „eindrucksvoll hoch“, so König. Hier müsse man dringend gegensteuern. Wie das geschehen solle, könne auch ein Thema der Experten auf der Messe sein: „Hier sind viele Fragen zu klären.“ Fest stehe seit Corona: Die Sozialbranche sei systemrelevant, die „Beschäftigten eine Stütze der Gesellschaft“.
Die ehemalige Bundesfamilienministerin und Professorin Ursula Lehr (91) wurde mit dem mit 4.000 Euro dotierten ConSozial-Wissenschaftspreis 2021 für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Die CDU-Politikerin habe sich zahlreiche Verdienste erworben, besonders auf dem Feld der Psychologie des Alterns und bei der Gleichberechtigung von Frauen, sagte Markus Gruber bei der Preisverleihung auf der Messe.
Ursula Lehr gilt vielen als „Gerontologin der ersten Stunde“ in Deutschland. Von 1988 bis 1991 war sie Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit im Kabinett von Helmut Kohl (CDU). In dieser Zeit entstand unter ihrer Leitung der erste Altenbericht der Bundesregierung samt Bundesaltenplan.
Lehr rief die Gesellschaft auf, die gewaltigen Herausforderungen des Alterns anzunehmen. Die Seniorinnen und Senioren sollten versuchen, geistig und körperlich aktiv zu bleiben, „was durch Corona ja leider sehr in den Hintergrund getreten ist“. An die Adresse der Fachkräfte sagte sie: „Ältere Menschen sollte man nicht nur betreuen, sondern immer auch anhalten, selbst etwas zu tun.“
Der Wissenschaftspreis in der Kategorie Nachwuchs ging an Enikö Schradi. Sie erhält 4.000 Euro Preisgeld für ihre Masterarbeit an der Hochschule Landshut mit dem Titel „Miteinander reden und voneinander lernen - Evaluation des Borderline-Trialogs in Landshut“. Mit ihren Forschungsergebnissen liefere die junge Forscherin einen wertvollen Beitrag für die Praxis der psychiatrischen Arbeit, heißt es in der Laudatio.