Berlin (epd). Die künftige Bundesregierung muss sich auf hohe Erwartungen aus der Pflegebranche einstellen. Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogel, forderte zum Auftakt des Deutschen Pflegetags am 13. Oktober in Berlin höhere Löhne und mehr Personal. Die nächste Regierung müsse die Pflege zu einem ihrer zentralen Themen machen, verlangte sie. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unterstützte die Forderungen, erklärte aber, die Pflegekräfte müssten selbst für mehr Geld kämpfen.
Spahn würdigte die Leistungen in der Pflege, insbesondere während der Pandemie. Deutschland habe sich auf die Pflegekräfte verlassen können. Zur Forderung des Pflegerats nach 4.000 Euro für Fachkräfte sagte Spahn: „Da kann ich mitgehen.“ Auch eine weitere Erhöhung des derzeit bei 2.700 Euro monatlich liegenden Mindestlohns (Fachkräfte) gehe in die richtige Richtung.
Der CDU-Politiker machte zugleich deutlich, dass die Pflegenden selbst für mehr Geld und mehr Personal kämpfen müssten und rief sie auf, sich zusammenzutun. Überall würden Pflegekräfte gesucht, angesichts des Personalmangels in der Branche säßen sie am längeren Hebel, sagte Spahn: „Sie müssen Ihre Interessen durchsetzen.“
Die große Koalition habe die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass jede neu eingestellte Pflegekraft in Krankenhäusern und Altenheimen refinanziert werde, erklärte der Minister. Es sei gelungen, die Abwärtsspirale zu stoppen. Die gesetzlichen Verbesserungen seien im Alltag der Pflegekräfte aber noch nicht angekommen, räumte Spahn ein.
Pflegeratpräsidentin Vogler forderte, Pflegekräfte müssten 4.000 Euro im Monat verdienen, um bezahlt zu werden wie in Berufen mit vergleichbarer Verantwortung. Sie erreichten diesen Lohn aber häufig auch nach langjähriger Berufstätigkeit nicht. Die Einstiegsgehälter lägen bei 2.400 Euro. Vogler zog eine kritische Bilanz der vergangenen Legislaturperiode und warf der Politik vor, zu langsam auf die allseits bekannten Probleme und insbesondere den Personalmangel zu reagieren.
Eine der Kernfragen sei, wie die steigenden Ausgaben für immer mehr pflegebedürftige Menschen finanziert werden sollten. „Mit dem heutigen Gesundheitssystem werden wir diese Herausforderungen nicht bewältigen können“, sagte Vogler. Die Mittel aus den Sozialversicherungen reichten nicht aus. Deshalb müsse über Steuerzuschüsse nachgedacht werden. Sie verwies auf Prognosen, wonach die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 um eine Million auf 5,1 Millionen Menschen steigen wird. Wenn nicht gehandelt werde, fehlten dann 500.000 Pflegekräfte in der Altenpflege und in den Kliniken. Heute seien es bereits 200.000, warnte sie.
Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, sagte, die kommende Bundesregierung müsse das Thema der bedarfsgerechten Personalausstattung zügig und konsequent angehen: „Es müssen endlich verbindliche und wirksame Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, um die Beschäftigten zu entlasten und dauerhaft mehr Personal in die Einrichtungen zu bekommen.“ Auch in der Altenpflege seien bedarfsgerechte und bundesweit verbindliche Personalvorgaben nötig; außerdem müsse das Problem der vielerorts völlig unzureichenden Bezahlung in der stationären und ambulanten Pflege angegangen werden.
Bühler betonte, bessere Arbeitsbedingungen durch bedarfsgerechte Personalvorgaben seien ein wichtiges Mittel, die Flucht aus den Berufen zu stoppen. „Genug Personal, flächendeckend angemessene Bezahlung und eine auskömmliche Finanzierung, das sind die zentralen Aufgaben der Gesundheitspolitik. Daran messen wir die künftige Bundesregierung.“
Für die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sagte Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß, die Corona-Pandemie habe jedem Politiker deutlich gemacht, „dass ohne Personal keine Versorgung möglich ist und der Personalmangel die größte Herausforderung ist“. Aber auch die Krankenhäuser selber müssten ihren Anteil leisten, um die Arbeitsbedingungen bestmöglich zu gestalten. „Wir müssen verlässliche gute Arbeitgeber sein, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherstellen und auch gut bezahlen. Dazu brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen, eine deutliche Entbürokratisierung des Berufes und verlässliche Finanzierungsgrundlagen und Strukturen“, sagte Gaß.
Der Paritätische sprach von großem Handlungsdruck. „Wir brauchen eine echte Pflegereform, die den Namen verdient und unbedingt mehr Geld im System”, forderte Lisa Schmidt, Leiterin der Abteilung Gesundheit, Teilhabe, Pflege im Paritätischen Gesamtverband. Um die bestehenden Herausforderungen anzugehen, müsse die Pflegefinanzierung vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Mehrere Milliarden Euro zusätzlich seien jedes Jahr nötig. “Diese Kosten dürfen auf keinen Fall zusätzlich zu Lasten der Pflegebedürftigen gehen. Pflege darf nicht arm machen, wie es derzeit leider immer häufiger der Fall ist”, mahnt Schmidt. Dagegen helfe nur die Einführung einer einheitlichen solidarischen Bürgerversicherung als Pflegevollversicherung.
Der Deutsche Pflegerat ist der Dachverband der Berufsverbände in der Pflege. Auf dem Deutschen Pflegetag kommen Vertreterinnen und Vertreter aus allen Teilen der Branche einmal im Jahr zusammen. Das zweitägige Treffen fand online und mit 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Berlin statt.