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Familie

Als Eltern fair zueinander sein




Familie Drechsler in ihrer Wohnküche in Hamburg
epd-bild/Philipp Reiss
Der Vater arbeitet in Vollzeit, die Mutter in Teilzeit. So sieht der Alltag in den meisten Familien mit Kindern in Deutschland aus. Hanna und Martin Drechsler haben sich gegen dieses Modell und für eine gleichberechtigte Elternschaft entschieden.

Hamburg (epd). Hanna Drechsler war früh klar, dass sie zwar irgendwann Kinder haben, aber nicht Mutter in Vollzeit sein möchte. Der Gedanke, nicht erwerbstätig und „nur noch Mutter“ zu sein, löste bei der heute 36-Jährigen ein ungutes Gefühl aus. „Ich war dazu nicht bereit“, sagt sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Heute hat Drechsler zwei Söhne und teilt sich mit ihrem Mann Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung hälftig - also zu gleichen Anteilen - auf. Das heißt: Sowohl Hanna als auch Martin Drechsler arbeiten in Teilzeit. Arbeitet Hanna, kümmert sich Martin um die Kinder. Arbeitet Martin, kümmert sich Hanna um die Kinder. Die Familie lebt das sogenannte 50/50-Familienmodell, bei dem die Eltern sowohl Job als auch Sorgearbeit gleichberechtigt unter sich aufteilen.

Im Hause Drechsler auf St. Pauli in Hamburg gehören zum Modell feste „Verantwortungszeiten“ für die Kinderbetreuung: Da die Söhne - zwei und fünf Jahre alt - morgens im Kindergarten sind, teilen Hanna und Martin werktags die Nachmittage unter sich auf. Jeder übernimmt zwei Nachmittage, den dritten teilen sie nochmal stundenweise auf. Zusätzlich besprechen sie bei ihrem wöchentlichen „Eltern-Team-Meeting“, welche Arbeiten im Haushalt und für die Kinder anfallen. Allgemein gilt bei ihnen: Martin kümmert sich um die Kita-Organisation und die täglichen Brotdosen der Kinder. Hanna macht die Wäsche der Familie. Was strikt klingt, wirft der Alltag auch mal durcheinander, fügt Hanna hinzu. „Es kommt auch mal vor, dass Martin die Wäsche aufhängt, aber uns ist dann auch klar, dass er eigentlich nicht dafür zuständig ist.“

Die Frau als „Zuverdienerin“

Nur wenige Eltern in Deutschland teilen sich - so wie die Drechslers - Sorge- und Erwerbsarbeit zu gleichen Anteilen auf. In den meisten Familien mit Kleinkindern dominiert das sogenannte „Zuverdiener“-Modell: Der Mann arbeitet in Vollzeit und die Frau in Teilzeit. 2019 waren rund 93 Prozent der erwerbstätigen Väter in Vollzeit tätig, nur knapp sieben Prozent in Teilzeit, wie aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervorgeht. Bei den Müttern war es umgekehrt: Es gingen nur rund 27 Prozent einer Vollzeit-, aber 73 Prozent einer Teilzeit-Beschäftigung nach.

Die Corona-Krise mit Schul- und Kita-Schließungen hat die Lage vermutlich verschärft: In einer Befragung der Hans-Böckler-Stiftung gab gut ein Viertel der Frauen mit Kindern unter 14 Jahren an, ihre Arbeitszeit reduziert zu haben, um die weggebrochene Kinderbetreuung aufzufangen. Bei den Vätern war es nur ein Sechstel.

Es ist nach wie vor meist die Mutter für die unbezahlte Sorgearbeit zuständig, also für Kinderbetreuung und für Arbeiten im Haushalt wie Kochen, Putzen und Wäschewaschen. Dem Bündnis „Sorgearbeit fair teilen“ zufolge wenden Mütter pro Tag im Durchschnitt 83 Prozent mehr Zeit für diese Arbeiten auf als Väter.

Geburt eines Kindes wirft Frau in traditionelle Rolle zurück

Eine gleichberechtigte Elternschaft scheitert nicht immer am fehlenden Willen der Paare. Prinzipiell wünschten sich viele werdende Eltern, Erwerbs- und Sorgearbeit fair unter sich aufzuteilen, sagt Bettina Rainer vom Bündnis „Sorgearbeit fair teilen“, dem unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Deutsche Frauenrat angehören. Es gelinge allerdings nur wenigen Paaren, diesen Wunsch auch umzusetzen. „Mit der Geburt des ersten Kindes findet vielfach eine deutliche Traditionalisierung der Aufgabenteilung statt, die sich über den Lebensverlauf meist nicht mehr ändert“, sagt Rainer. Obwohl mehr als zwei Drittel der heterosexuellen Paare vor der Geburt des ersten Kindes ein Doppelverdienst-Modell lebten, täten dies nach der Geburt eines Kindes nur noch etwa 15 Prozent.

Auch Ruth Abramowski, die an der Universität Bremen zu Arbeitsteilungs-Arrangements von Paaren forscht, sieht in der Geburt des ersten Kindes eine „Traditionalisierungs-Falle“. Oft sei es ausschließlich die Mutter, die nach der Geburt ihre Arbeitszeit verkürze oder ihren Job aufgebe. Die Gründe dafür seien vielfältig: Sorgearbeit werde noch häufig als eine Aufgabe der Frau angesehen, die Frau habe aufgrund der geschlechtsspezifischen Lohnlücke ein niedrigeres Einkommen und fehlende Kita-Plätze verhinderten, dass beide Eltern erwerbstätig sind, sagt Abramowski.

Es gibt kein perfektes Arbeitsteilungsmodell

In dem 50/50-Familienmodell sieht Abramowski eine gute Lösung. Sie warnt aber davor, dies zu idealisieren: „Es gibt nicht das eine perfekte Arbeitsteilungsmodell.“ Auch sei es nicht für jedes Paar sinnvoll, in jeder Lebensphase nach einer hälftigen Arbeitsteilung zu streben. Viel wichtiger ist es nach ihrer Einschätzung, dass „Chancen und Risiken“ unbezahlter Sorgearbeit im Lebensverlauf gleich zwischen den Elternteilen verteilt sind. Die Übernahme von unbezahlter Sorgearbeit dürfe für die sorgetragende Person langfristig nicht zu Nachteilen oder Einbußen wie etwa bei der Rente führen, mahnt Abramowksi.

Das „Bündnis Sorgearbeit fair teilen“ kritisiert, dass staatliche Strukturen das „Zuverdiener“-Modell förderten, etwa durch das steuerliche Ehegatten-Splitting, die kostenfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung oder durch Minijobs. Das Bündnis fordert die nächste Bundesregierung auf, unter anderem eine Individual-Besteuerung einzuführen und flexiblere Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen.

Hanna Drechsler rät allen Paaren, sich „wirklich frühzeitig und möglichst vor der Schwangerschaft“ mit ihren jeweiligen Vorstellungen des Eltern-Seins auseinanderzusetzen und eine gemeinsame „Vision des Familienlebens“ zu kreieren. „Viele Paare haben eine romantische Vorstellung von Schwangerschaft und Co“, sagt sie. Für ein gleichberechtigtes Familienlieben sei es aber wichtig, „gleich zu Beginn ein paar Weichen zu stellen“.

Patricia Averesch


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