Ahrweiler (epd). Viele ehemalige Klienten, die im Pflegestützpunkt Ahrweiler im Flutgebiet Hilfe und Beratung suchten, sind schlicht nicht mehr da. Sie wurden evakuiert, leben in anderen Einrichtungen, wohnen bei Nachbarn oder Verwandten - mal im Nachkreis oder auch weit weg. Für die Leiterin Ute Remshagen hat das unterschiedliche Folgen. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Frau Remshagen, wie ist die Lage der Menschen, die auf ambulante Pflege angewiesen sind, sechs Wochen nach dem Hochwasser in Ihrer Region?
Ute Remshagen: Von Normalität wie vor der Flut sind wir in sämtlichen Lebensbereichen noch sehr weit entfernt. Aber man muss anerkennend sagen, dass es echt voran geht. Schlamm und Müll sind weitgehend weg. In vielen Gebäuden sind die ersten Handwerker aktiv, um den Putz von den Wänden zu schlagen und den Estrich zu entfernen, um die Häuser zu trocknen. Es gibt auch Häuser die schwer beschädigt sind und abgerissen werden müssen, dort sind keine Pflegebedürftigen mehr zu versorgen. Und Fakt ist auch, dass Mitarbeitende der Pflegedienste, Heime und Kliniken selbst schwer betroffen waren. Jetzt sind die großen Verwüstungen beseitigt dennoch ist die Lage immer noch schwierig.
epd: Sind die Pflegedienste denn wieder voll arbeitsfähig?
Remshagen: Ja. Ein Dienst hat zwar die Arbeit eingestellt, Anbieter, deren Büros überflutet waren, sind in andere Räume umgezogen. Die Betreuung der Klienten funktioniert also wieder. Das sind Menschen, die packen an und laufen los, auch wenn es in den ersten Tagen manchmal gefährlich war. Es ist wirklich unfassbar, welchen Einsatz sie zeigen. Das ist eine große Leistung, die viel Menschlichkeit zeigt. Aber die Bedingungen sind natürlich ganz anders als vor der Katastrophe. Brücken sind zerstört, das verlängert die Anfahrten, Strom gibt es auch noch nicht überall und Kontaktaufnahme geht oft nur über Handy. Der Aufwand ist groß, die Dienste müssen weiter fahren. Sie müssen ihre Logistik und Einsatzplanung völlig umstellen. Inzwischen wissen wir, viele Klientinnen und Klienten sind nicht mehr vor Ort, weil sie woanders unterkommen mussten.
epd: Wo sind sie jetzt untergebracht und wer kümmert sich um sie?
Remshagen: Das ist sehr unterschiedlich, denn das Ausmaß der Schäden hier im Ahrtal ist auch nicht überall gleich. Wir mit unserer Beratungsstelle hatten Glück, das Wasser erreichte uns nicht. Unzählige Menschen mussten aber evakuiert werden, leben jetzt bei Nachbarn, in Nachbarkreisen bei Verwandten oder in anderen Betreuungseinrichtungen, wo sie einen Platz finden konnten. Andere ambulante Dienste haben dort die Versorgung übernommen. Aber ob diese Situation eine Dauerlösung wird, ist völlig offen. Viele Betroffene leben derzeit doch sehr beengt bei Angehörigen Und dass die Seniorinnen und Senioren oft professionelle Pflege brauchen, macht die Sache im Zusammenleben auf wenig Platz nicht einfacher.
epd: Was bedeutet das für Ihre Beratungen?
Remshagen: Nach meinen Beobachtungen sind viele Menschen, darunter auch die Senioren, noch sehr verunsichert, wie es weitergeht. Möglicherweise hat noch nicht jeder realisiert, was hier im Ahrtal geschehen ist und welche gravierenden Folgen diese Flut hat. Viele der früheren Klienten sind gar nicht mehr vor Ort. Sie wurden noch in der Nacht des Hochwassers evakuiert und woanders untergebracht. Die Klienten werden auch dort möglicherweise erst mal bleiben. Die Menschen die vor Ort, in Häusern geblieben sind wo das Erdgeschoß überflutet wurde und sie in den oberen Geschossen leben, sind tagtäglich den Belastungen wie den Krach der Renovierungsarbeiten ausgesetzt.
epd: Also hat sich Ihre Arbeit schon verändert?
Remshagen: Ja. Ein Stück weit. Wir registrieren viele neue Klienten. Auch mit ganz unterschiedlichen Anliegen. Wir können meist schnell helfen, auch weil wir ein Netzwerk mit vielen guten Partnern haben. Etwa bei Flutopfern, die jetzt schnell psychologische Hilfe brauchen. Viele Betroffene rufen an, weil sie von einem entfernteren Pflegeheim wieder in eine Einrichtung vor Ort umziehen wollen, etwa, um näher bei der Familie zu sein. Doch das ist momentan schwierig. Einige Heime sind selbst beschädigt worden und werden erst saniert. Andere sind voll belegt. Auch Kurzzeitpflegeplätze werden gesucht. Die findet man schon, aber nicht hier im Landkreis. Es kommen jetzt auch erste Anrufe von Personen, die gerne zurückkommen wollen. Doch das ist noch schwierig. Viele haben das ganze Ausmaß der Verwüstung noch gar nicht mit eigenen Augen gesehen. Deshalb fehlt ihnen jegliche Vorstellung, wie die Situation vor Ort ist.
epd: Aber macht da eine Rückkehr überhaupt Sinn?
Remshagen: Das ist schwer zu beurteilen. Es kommt da sicher auf den Einzelfall an. Ich würde aber schon raten, sich persönlich ein Bild zu machen, wenn die Seniorinnen und Senioren dazu körperlich und psychisch in der Lage sind. Die Familien können da mithelfen. Die Leute müssen sehen, dass die Infrastruktur komplett zerstört ist, müssen sehen, dass ihre Nachbarn derzeit nicht mehr da sind. Da werden viele Betroffene, die auch mit Hilfe der Familie, Freunden, Pflegediensten im Alltag zurechtkamen, jetzt ohne jede Unterstützung dastehen, weil die Versorgungsstrukturen noch fehlen. Und sie werden dann sehen, dass eine Rückkehr schwierig ist.
epd: Wie wird es jetzt weitergehen?
Remshagen: Ich versuche positiv in die Zukunft zu schauen. Alles wieder aufzubauen, wird viel Zeit brauchen. Aber es gibt schon jetzt viele Hilfen, auch improvisierte Angebote zur Unterstützung etwa durch die Hilfsorganisationen, Vereine und Mitbürger. Betroffen sind auch Menschen, deren Wohnungen nicht direkt unter Wasser standen, weil sie im Obergeschoss gewohnt haben. Aber auch die können noch nicht zurückkehren, etwa weil der Strom und warmes Wasser noch nicht wieder fließt. Ich freue mich über jeden Menschen, der wieder zurückkommt. Aber das sollte überlegt sein. Einige Menschen zieht es zurück, sie sind hier verwurzelt, wollen wieder hier leben, auch wenn sie einen Teil ihrer Heimat verloren haben. Und das verstehe ich.