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Flüchtlinge

Afghanen aufnehmen und Nachbarstaaten humanitär unterstützen




Anlaufpunkt in Resettlement-Programmen: Grenzdurchgangslager Friedland (Archivbild)
epd-bild/Harald Wenzel
Die großen Sozialverbände erhöhen den Druck auf die Bundesregierung, den vor den Taliban in Afghanistan fliehenden Menschen beizustehen. Neben der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland müsse auch den Nachbarstaaten bei der Versorgung der Menschen geholfen werden - weil viele Experten mit einer langanhaltenden Flüchtlingswelle rechnen.

Berlin (epd). „Akut gilt es, die Nachbarländer Afghanistans mit den Folgen der Fluchtbewegungen nicht allein zu lassen, indem Aufnahmeprogramme für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge geschaffen und finanziell abgesichert werden“, sagte der Vorstandsvorsitzende des AWO Bundesverbandes, Jens M. Schubert, am 17. August in Berlin. Parallel müsse Deutschland Programme ins Leben rufen, die die dauerhafte Neuansiedlung der langfristig gefährdeten Menschen in sicheren Gebieten außerhalb Afghanistans ermöglichten. „Angesichts der deutschen Aktivitäten der letzten zwei Jahrzehnte in Afghanistan stehen wir hier in einer Verantwortung, der wir uns nicht entziehen dürfen.“

Bis zum frühen Morgen des 19. August hat die Bundeswehr 900 deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte aus Kabul nach Taschkent im benachbarten Usbekistan ausgeflogen.

Während sich mehrere Bundesländer bereits auf den Zuzug von Flüchtlingen aus Afghanistan vorbereiten, wollte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zunächst mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) über mögliche Hilfen austauschen. Bei einem Gespräch mit UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi am 17. August ging es auch um Unterstützung in der Region. „Bevor man über Kontingente spricht, muss man erstmal über sichere Möglichkeiten für Flüchtlinge in der Nachbarschaft von Afghanistan reden“, sagte Merkel. In einem zweiten Schritt könne man darüber nachdenken, „ob besonders betroffene Personen kontrolliert und auch unterstützt nach Europa und in die europäischen Länder kommen“.

Diakonie: Schon bestehende Not wird zunehmen

Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe, verwies auf die bereits seit Jahren prekären Verhältnisse in Afghanistan. „Schon vor der Machtübernahme der Taliban waren die Lebensumstände vieler Menschen in Afghanistan verzweifelt. Elf Millionen Menschen litten unter Hunger, mindestens 390.000 Menschen wurden seit Jahresbeginn vertrieben.“ Leider müsse man davon ausgehen, dass sich die Not jetzt weiter verschärfe. „Wir werden alles dafür tun, dass wir unsere humanitären Hilfsprojekte im Land fortführen können“, so Pruin.

Für die Diakonie sagte Präsident Ulrich Lilie, Anrainerstaaten wie die Türkei, Pakistan und der Iran brauchten Unterstützung, damit sie Menschen aufnehmen und mit dem Nötigsten versorgen könnten. „Perspektivisch müssen Resettlement-Programme zur Aufnahme in der gesamten EU und natürlich auch in Deutschland entstehen.“ Niemand müsse vor der neuen Aufnahme von Geflüchteten Befürchtungen haben. „Etliche erfolgreiche Projekte haben gezeigt: Die Integration von Geflüchteten gelingt, sie ist aber kein Selbstläufer. Dazu braucht es Geduld, Engagement und einen langen Atem - auch in der Politik.“

„Sichere Fluchtwege eröffnen“

„Für Bürokratie und deutsche Ordnungsliebe ist schlicht keine Zeit. Jetzt gilt es wirklich allen bedrohten Menschen ohne Ansehen des Status so schnell wie möglich, unbürokratisch und engagiert zu helfen“, forderte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Deniz Greschner, Sprecherin des Forums der MigrantInnen im Paritätischen, mahnte: "Aus 2015 zu lernen, heißt ausreichende, sichere Fluchtwege für die Geflüchteten zu eröffnen und die Grenzen in Europa für sie offen zu halten.” Der Verband mahnte, dass es auch bei steigenden Flüchtlingszahlen keine Grenzschließungen geben dürfe, um katastrophale humanitären Folgen zu vermeiden.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sprach sich dafür aus, in Afghanistan humanitäre Korridore zu schaffen und zu sichern. „Über diese Korridore muss die Versorgung der notleidenden Bevölkerung durch Hilfsorganisationen aufrechterhalten werden“, sagt Karin Kortmann, Vizepräsidentin des ZdK. „Diese Korridore werden unter Umständen bald auch der einzige Weg sein, das Land auf einigermaßen sicherem Wege zu verlassen.“

Petition im Internet

Eine Petition, mit der die Hilfsorganisation Sea Eye sichere Fluchtwege fordert, hatten bis zum 19. August knapp 242.000 Personen unterzeichnet. Anrainerstaaten wie Tadschikistan oder Iran hätten jetzt eine wichtige Rolle, heißt es dort. Um geflüchtete Menschen versorgen zu können, sei Hilfe nötig, die nicht zuletzt aus Deutschland geleistet werden könne und müsse: „Die Bundesregierung muss ihre Anstrengungen an diesem Punkt verstärken. Wir müssen Vereinbarungen mit diesen Anrainerstaaten treffen. Geflüchtete müssen auch dort mit deutscher Hilfe rechnen können.“

Die Unterzeichner fordern sichere Fluchtwege: „Wenn nicht, werden die Menschen auf eigene Faust fliehen müssen. Sie werden sich durch Wüsten und Internierungslager kämpfen müssen. Sie werden sich in seeuntaugliche Boote setzen müssen und viele - darunter Kinder und Familien - werden auf dieser Flucht sterben.“ Und weiter: Über 250 Kommunen und Städte hätten sich im Bündnis „Sichere Häfen“ dazu bereit erklärt, geflüchtete Menschen aufzunehmen. „Jetzt ist es allerhöchste Zeit, dieses Angebot anzunehmen.“

Dirk Baas