Bielefeld (epd). Mehr Deutsche stimmen einer neuen Studie zufolge einer Willkommenskultur gegenüber Einwanderern zu, äußern jedoch zunehmend Vorbehalte gegenüber einer Beibehaltung kultureller Eigenheiten der Migranten. Eine grundsätzliche Offenheit gegenüber Einwanderung bedinge nicht mehr zwingend eine positive Integrationseinstellung, erklärte der Konfliktforscher Andreas Zick am 16. August in Bielefeld bei der Vorstellung der Untersuchung „Zugleich - Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit“. Sichtbare Zeichen kultureller Differenz wie etwa Moscheen oder Koranschulen dürften zwar in Deutschland sein, sollten aber nicht auffallen, meinen demnach fast zwei Drittel der Befragten.
Laut der von einem Forschungsteam der Universität Bielefeld realisierten Befragung stimmt mit 55 Prozent erstmals über die Hälfte der Befragten der Willkommenskultur zu - zwischen 2014 und 2018 hatte der Wert jeweils bei oder unter 40 Prozent gelegen. Andererseits sagen immer weniger Menschen in Deutschland Ja zur Integration von Einwanderern: Waren es 2014 noch 60 Prozent, äußerten dies 2020 nur noch 48 Prozent.
Ein knappes Drittel der Bevölkerung verlangt demnach von den Migranten eine Assimilation unter Aufgabe kultureller Besonderheiten. Zugleich plädieren über 70 Prozent für eine gesellschaftliche Teilhabe der Neuankömmlinge. Laut der Studie ist der Wunsch von Migranten, kulturelle Eigenarten beizubehalten, kein Zeichen von Abschottung: Nur fünf Prozent der Befragten mit Einwanderungsgeschichte identifizierten sich alleine nach ihrer Herkunft, 72 Prozent verstünden sich als deutsch, eher deutsch oder hätten zwei Identitäten, hieß es weiter.
Studienleiter Zick plädierte dafür, kulturelle Vielfalt sichtbarer zu machen und deren Akzeptanz durch Migrationsbildung, Einbürgerungen und die Stärkung von Migrantenorganisationen zu fördern. „Die Frage der Akzeptanz kultureller Eigenheiten und Identitäten ist für die Integration genauso entscheidend wie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch Arbeit und Bildung“, sagte der Hochschullehrer. In Deutschland müsse so etwas wie eine „Ankommenskultur“ entstehen.
Als Kriterien für eine Zugehörigkeit von Einwanderern zu Deutschland nannten die Befragten der Studie zufolge vor allem das Beherrschen der deutschen Sprache (94 Prozent), gefolgt von der Achtung der politischen Institutionen und Werte (93 Prozent) und eine Erwerbstätigkeit (86 Prozent). Weniger bedeutsam waren Eigenschaften wie „Christ sein“ mit 27 Prozent oder in Deutschland geboren zu sein mit 26 Prozent. Im Vergleich zu 2014 legten die Bürger die Messlatte für die Integration insgesamt höher, betonte Zick. Befragte, die seit mehr als fünf Jahren in Deutschland leben, hätten ähnliche oder gar „härtere“ Kriterien als Menschen ohne Migrationsgeschichte.
In Deutschland herrsche nach wie vor eine „sehr konservative Vorstellung“ von Einwanderung, erklärte der Sozialpsychologe Zick. Immigration werde immer noch als Angleichung an die Normen der Alteingesessenen verstanden - anders als in klassischen Einwanderungsländern wie etwa Kanada. Die Zukunft der Migration müsse dauerhaft „oben auf der Agenda der Politik bleiben“, forderte der Forscher: „Wir brauchen Antworten, aber leider ist Migration im Bundestagswahlkampf kein Thema.“
Für die Studie wurden den Angaben zufolge zwischen November 2020 und Januar 2021 insgesamt 2.005 Menschen telefonisch befragt. 71 Prozent davon seien in Deutschland geboren, 32 Prozent (646 Personen) hätten selbst eine Einwanderungsgeschichte, hieß es. Für die von der Essener Stiftung Mercator geförderte Langzeitstudie werden seit 2014 alle zwei Jahre neue Daten erhoben.