Hannover (epd). Mit Blick auf die nach wie vor unterdurchschnittliche Corona-Impfquote bei Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund fordert der Medizinsoziologe Ramazan Salman mehr niedrigschwellige und zielgruppengerechte Informations- und Präventionsangebote. „Obwohl wir in einer sozial, ethnisch und kulturell hochdiversen Gesellschaft leben, ist unser System nicht auf Diversität ausgerichtet“, kritisierte der Leiter des Ethno-Medizinischen Zentrums in Hannover im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Noch immer sein der herrschende Blick auf Menschen mit Wurzeln außerhalb Deutschlands zu „pauschal und gleichmachend“. So habe es viel zu lange gedauert, bis Informationen zu Corona „in allen relevanten Sprachen und auf allen relevanten Kanälen“ zur Verfügung gestanden hätten. Erst einige Monate nach Ausbruch der Pandemie habe das Bundesgesundheitsministerium wesentliche Informationen in zehn Sprachen verbreitet. „In der Zwischenzeit waren viele Menschen durch die sozialen Medien oder die Sender ihrer Herkunftsländer Falschinformationen auf den Leim gegangen“, sagte der Sozialwissenschaftler, der unter anderem die Bundesregierung sowie Städte und Kommunen berät.
Auch kulturelle Verschiedenheiten trügen dazu bei, dass Menschen sehr unterschiedlich mit der Corona-Situation umgingen. „Vor allem im afrikanischen und arabischen Raum ist Gesundheitsvorsorge für viele ein Fremdwort. Dort ist der Arzt für die Kranken da, aber nicht, um Krankheiten zu verhindern.“ Fehlendes Tempo und mangelnde kulturelle Sensibilität in der Informationspolitik rächten sich nun, etwa in Impfskepsis und einer unterdurchschnittlichen Impfquote in migrantisch geprägten Bevölkerungsgruppen.
Salman bezeichnete die Informationspolitik in der Corona-Pandemie als „Hausaufgabe für Politik und Gesundheitsbehörden“. So gelte es künftig nicht nur, Präventions- und Impfkampagnen in möglichst allen in Deutschland geläufigen Sprachen und verstärkt auch in den sozialen Medien zu kommunizieren. Die lokalen Gegebenheiten müssten ebenfalls stärker berücksichtigt werden. Als eine Möglichkeit, Vorbehalte gegen das Impfen abzubauen, nannte Salman unter anderem Impfaktionen in Moscheen.
Als vorbildlich bezeichnete der Medizinsoziologe das Corona-Management in den Asylunterkünften Münchens. Dort habe man eine erste Impfkampagne mit kaum mehr als 20 Prozent Beteiligung als Anlass für einen besser vorbereiteten zweiten Anlauf genommen. „Bevor die Impfteams anrücken, gehen dort erst einmal als Mediatoren geschulte Muttersprachler und Muttersprachlerinnen in die Einrichtungen, um im vertraulichen Rahmen aufzuklären und auf Ängste und Zweifel einzugehen“, erläuterte der Gesundheitswissenschaftler. Derzeit laufe die Kampagne noch, spätestens Ende August zeige sich, ob der Ansatz erfolgreich sei.