sozial-Branche

Strafvollzug

Das Projekt "Brückenbau" hilft inhaftierten Vätern




Der Häftling Milan (Name geändert) mit Holger Reiss (re.) von der Straffälligenhilfe "Schwarzes Kreuz"
epd-bild/Carsten Kalaschnikow
Wegen schwerer Körperverletzung wird Milan verurteilt. Von jetzt auf gleich ändert sich für ihn alles, zurück bleibt seine vierjährige Tochter. Die christliche Straffälligenhilfe "Schwarzes Kreuz" hilft dem Vater im Gefängnis, den Kontakt zu ihr zu halten.

Celle (epd). Dass er nicht ungestraft davonkommen würde, wusste er. Vielleicht würde er einen Brief bekommen und müsste sich bei der Polizei melden, so dachte Milan, der eigentlich anders heißt. Doch dann fuhren mehrere Beamte mit Streifenwagen am Arbeitsplatz des damaligen Lagerhelfers vor und führten ihn in Handschellen ab. Der heute 32-Jährige kam in U-Haft, zu Hause Bescheid zu sagen war nicht möglich. Was hätte er seiner vierjährigen Tochter auch erzählen sollen?

„Ich habe mich sehr geschämt“

Schwere Körperverletzung lautete der Vorwurf, fünf Jahre Freiheitsstrafe das Urteil des Richters. Für Erwachsene ist das schon eine lange Zeit, für Milans Tochter länger als ihr bisheriges Leben. „Ich bin dankbar für das Urteil“, sagt Milan heute. Wer weiß, wie es mit ihm weitergegangen wäre?

Nach der Schulzeit ist er acht Jahre Zeitsoldat, im Einsatz unter anderem in Afghanistan. Später schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. „Wenn man dann zurückkommt in sein Problemviertel und für den Größten gehalten wird, fühlt man sich auch selbst so.“ Das meiste werde dann halt körperlich geregelt.

Als seine Eltern ihn im Gefängnis besuchen, „hätte ich im Erdboden versinken können. Ich habe mich sehr geschämt.“ Die Kindsmutter trennt sich bald nach der Inhaftierung von ihm, das vierjährige Mädchen kommt in eine stationären Einrichtung. Aus der Haft schickt der Vater ihr einen Brief. Zuvor ringt er lange um die richtigen Worte, die ersten Versuche schickt er nicht ab.

Dafür steckt Milan einen Zettel mit einem Gesprächswunsch in den Gefängnisbriefkasten des Projekts „Brückenbau“ der christlichen Straffälligenhilfe „Schwarzes Kreuz“. Der gläubige Muslim lernt den evangelischen Diakon und Sozialarbeiter Holger Reiss kennen. Dass da einer kommt, der ihn nicht kennt und ihm trotzdem hilft, beeindruckt Milan. Der 54-jährige Diakon hilft ihm im Umgang mit der weltlichen Justiz. „Holger ist gerade und direkt, das habe ich gebraucht“, sagt der junge Mann. Milans dringlichster Wunsch: seine Tochter zu sehen.

Er will sein altes Umfeld hinter sich lassen

Nach anderthalb Jahren geht dieser Wunsch in Erfüllung: eine halbe Stunde in einem Raum mit sechs besetzten Vierertischen, die Tochter in Begleitung des Jugendamtes. Danach sieht er sein Kind wieder ein halbes Jahr nicht.

Milan macht in Haft eine Therapie, treibt viel Sport, arbeitet die Tat auf. Er liest den Koran und die Bibel komplett durch. Mit Holger Reiss’ Hilfe lernt er „gute Menschen“ kennen, wie er es formuliert. Und ihm ist klar, dass er nach der Haft in eine andere Stadt ziehen und sein altes Umfeld hinter sich lassen muss. Aus der JVA Celle heraus beginnt er eine Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau und schließt sie erfolgreich ab.

Im Hintergrund zieht Reiss die Fäden, damit der Vater in Begleitung zur Einschulung seiner Tochter fahren darf. „Vorher habe ich bei einem Freigang die Schultüte gebastelt“, sagt Milan. Er hat Angst vor dieser Begegnung. „Aber dann hat mich meine Tochter schon aus der Distanz gesehen und ‚Papa‘ gerufen. Als wäre ich nie weggewesen.“

Seit November 2019 ist Milan auf Bewährung draußen, zwei Wochen vorher ist die entscheidende Gerichtsverhandlung. Auch hier begleitet ihn der Diakon vom „Projekt Brückenbau“. „Da war kein Anwalt, niemand. Aber Holger“, sagt Milan. Unter mehreren Auflagen stimmt der Richter der Bewährung zu. Und das Beste: Die Chancen stehen gut, dass die Tochter nach dem Ende dieser Zeit zu ihrem Vater ziehen darf. Mit dem Wechsel in die fünfte Klasse stünde ohnehin ein Umbruch an.

Lothar Veith