Berlin (epd). Die in der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) zusammengeschlossenen Verbände fordern, die Kinderarmut in Deutschland zielgenauer zu bekämpfen. Aus Anlass der Debatte über den 6. Armuts- und Reichtumsbericht am 25. Juni im Bundestag teilte die AGF mit, „die bisherige Politik reicht nicht aus, um Familienarmut zu verhindern und Aufstiegschancen für alle Kinder zu gewährleisten“. Der Bericht dokumentiere den Stillstand beim Abbau sozialer Ungleichheit und sozialer Benachteiligung von besonders belasteten Familien. Auch andere Sozialverbände gingen auf Distanz zu der Bilanz der Bundesregierung.
„Wir dürfen uns nicht an den hohen Anteil armer Kinder gewöhnen und daran, dass ihnen die gesellschaftliche Teilhabe und die Perspektive auf einen sozialen Aufstieg verweigert wird“, sagte Sidonie Fernau, Vorsitzende der AGF. Besonders hohe Armuts- und Teilhaberisiken trügen Alleinerziehende, Familien mit drei und mehr Kindern und Familien mit Migrationsgeschichte.
Der Armuts- und Reichtumsbericht hinterlasse einen ambivalenten Eindruck. Die analytischen Teile sind aus Sicht der Familienorganisationen weitgehend gelungen. Dem selbst gesetzten Anspruch, „eine mehrdimensionale Betrachtung sozialer Lagen“ im Zeitverlauf vorzunehmen, würde der Bericht im Wesentlichen gerecht und bilde damit eine wichtige Datenquelle auch für die familienpolitische Diskussion.
Jedoch sei der Eindruck zu den politischen Maßnahmen ein völlig anderer: Hier bleibe die Aufzählung der Initiativen der Bundesregierung ein Flickenteppich der Legitimation des Regierungshandelns. Impulse für eine effektive Armutsbekämpfung fänden sich hier nicht, was insbesondere angesichts der sozialen Folgen der Corona-Pandemie besonders bedauerlich sei.
Die Familienorganisationen fordern von der kommenden Bundesregierung wirksamere Maßnahmen der Familienentlastung und der Bekämpfung von Kinderarmut sowie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zentral seien neben einer familiengerechten Gestaltung der Arbeitswelt eine bessere Qualität der Kinderbetreuung und Bildung. Zudem müsse der Zugang zu Familienleistungen einfacher werden. Gebraucht werde ferner eine neue Debatte über die Entlastung von Familien sowie die Senkung der Mehrwertsteuer für Produkte für Kinder und Familien auf nur sieben Prozent.
„Dass das Wort Kinderarmut im Bericht selbst nur einmal, und dann in einer Fußnote vorkommt, steht stellvertretend für die fehlende tiefergehende Auseinandersetzung mit den kindspezifischen Auswirkungen und Sichtweisen auf Armut im Bericht“, rügte das Deutsche Kinderhilfswerk. Das sei angesichts der Kinderarmutszahlen in Deutschland mehr als ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. „Und das Wort Kindergrundsicherung sucht man tatsächlich komplett vergebens“, rügte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann.
Veränderungen an einzelnen Stellschrauben der sozialen Sicherungssysteme seien aber zu wenig, hieß es. Zwar hätten die Änderungen beim Unterhaltsvorschuss, beim Kinderzuschlag oder das ,Starke-Familien-Gesetz' einige Verbesserungen für armutsbetroffene Kinder und Jugendliche gebracht. „Zugleich fehlen aber nach wie vor eine umfassende Priorisierung der Förderung armer Familien und ihrer Kinder, unbürokratische Zugänge zu den Leistungen sowie weitere umfassende Maßnahmen, um der zunehmenden Verfestigung von Armut zu begegnen und Bildungsaufstiege zu befördern“, so der Geschäftsführer.
Caritas-Präsident Peter Neher sagte, es sei „sozialpolitisch hoch bedenklich, dass es vielen Menschen nicht gelingt, aus der Armutsspirale auszusteigen.“ Die Menschen bräuchten niedrigschwellige Angebote. Dringend müsse die soziale Daseinsvorsorge als Angebot der Armutsprävention ausgebaut werden, forderte Neher.