sozial-Recht

Landessozialgericht

Cannabis-Therapie muss alternativlos sein




Cannabis-Medikament aus der Apotheke
epd-bild/Jürgen Blume
Eine Cannabis-Therapie kann bei schweren Erkrankungen ein Rettungsanker sein - aber nur der letzte. Denn wurden nicht alle medizinischen Alternativen ausgeschöpft, muss die Krankenkasse nach einem Gerichtsurteil eine solche Therapie nicht bezahlen.

Stuttgart (epd). Für manche Patientinnen und Patienten ist es ein Allheilmittel gegen teils jahrelange Schmerzen: eine Cannabis-Therapie. Doch damit ausnahmsweise die Krankenkasse die ärztlich verordnete Behandlung mit dem sogenannten Medizinal-Hanf bezahlt, reicht allein ein chronisches Schmerzsyndrom ohne Ausschöpfung bestehender Behandlungsalternativen nicht aus, stellte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 5. Juni veröffentlichten Urteil klar. Der Gesetzgeber habe nur in „eng begrenzten Ausnahmefällen“ die Versorgung mit Cannabis-Arzneimitteln vorsehen wollen, erklärten die Stuttgarter Richter auch in einem weiteren Fall. Konkret wollte ein Versicherter wegen eines Reizdarmsyndroms Cannabisblüten auf Krankenkassenkosten erhalten.

Linderung für eine schwerwiegende Erkrankung

Seit März 2017 können Ärzte, das Suchtmittel auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen verordnen. Voraussetzung ist laut Gesetz, dass die Cannabis-Therapie zumindest Linderung für eine „schwerwiegende Erkrankung“ verspricht. Zudem darf es keine schulmedizinischen Alternativen geben oder diese dürfen dem Patienten nach Einschätzung des Arztes nicht zumutbar sein, etwa wegen starker Nebenwirkungen.

Doch mit diesen Voraussetzungen fangen die juristischen Probleme. Denn der Gesetzgeber hat nicht definiert, was denn überhaupt eine „schwerwiegende Erkrankung“ ist, stellte das LSG fest. Gerichte müssten daher in jedem Einzelfall klären, ob eine Cannabis-Verordnung medizinisch erforderlich sei. Bei der Versorgung mit Cannabis dürften auch nur medizinische Gründe eine Rolle spielen.

Lehne, wie im Streitfall, ein Versicherter schulmedizinische Behandlungen aus Angst vor beruflichen Nachteilen ab, könne dies keine Cannabis-Therapie begründen. Die Stuttgarter Richter wiesen damit den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit Cannabisblüten und die Erstattung von 2.086 Euro für selbst beschaffte Cannabis-Arzneimittel auf Grundlage eines ärztlichen Privatrezeptes ab.

Cannabis verträglicher

Der Patient leidet infolge von Bandscheibenbeschwerden an einem chronischen Schmerzsyndrom. Er verlangte von seiner Krankenkasse, dass diese ihn zur Schmerzlinderung mit Cannabis-Blüten versorgt. Seine bisherigen Schmerzmittel hätten gravierende Nebenwirkungen wie Übelkeit, Bauchschmerzen oder Durchfälle. Sie würden zudem seine bestehende Neurodermitis verschlimmern. Cannabis sei dagegen viel verträglicher. Eine stationäre Schmerztherapie lehnte er ab, da er seine berufliche Stellung als leitender Security nicht gefährden wollte.

Doch der Kläger hat weder Anspruch auf Versorgung mit den Cannabis-Blüten noch auf Erstattung der bislang angefallenen Kosten, entschied das LSG. Ob das chronische Schmerzsyndrom als „schwerwiegende Erkrankung“ gilt, könne offenbleiben. Es bestehe schon deshalb kein Anspruch, weil der Kläger seine Behandlungsalternativen nicht ausgeschöpft habe. Ihm sei durchaus eine stationäre Schmerztherapie zuzumuten. Dass diese ihm aus zeitlichen und beruflichen Gründen nicht möglich gewesen sei, könne keine Versorgung mit Cannabis auf Krankenkassenkosten begründen.

Auch im zweiten Fall kann der an einem Reizdarmsyndrom leidende Kläger künftig keine Cannabis-Therapie auf Kosten der Krankenkasse verlangen. Denn hier handele es sich nicht um eine „schwerwiegende Erkrankung“, urteilte das LSG. Es müsse sich „um eine Erkrankung handeln, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt und die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt“. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.

Gewichtszunahme durch Cannabis-Behandlung

Das Bundesverfassungsgericht wies am 26. Juni 2018 den Eilantrag eines Kopfschmerz-Patienten zurück, der mit Medizinalcannabis seine Schmerzen behandeln wollte. Es sei nicht klar belegt, dass eine Cannabis-Therapie ausreichend gegen die beim Kläger auftretenden sogenannten Clusterkopfschmerzen wirke, entschieden die Verfassungsrichter.

Am 18. Juli 2019 sprach das Hessische LSG einem Versicherten mit massivem lebensbedrohlichen Untergewicht dagegen die Kostenübernahme für eine Cannabis-Behandlung zu. Bei solch einer Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit könne ausnahmsweise ein Anspruch bestehen, entschieden die Darmstädter Richter.

Hier habe der Mann einen Body-Mass-Index (BMI) von nur 13,6 gehabt. Normal sei ein BMI zwischen 20 und 25. Die bisher auf Privatrezept durchgeführte Cannabis-Behandlung habe zu einer Gewichtszunahme des Versicherten geführt. Daher sei ein Behandlungsversuch über einen längeren Zeitraum angebracht, um die Wirkung der Therapie besser beurteilen zu können, so das LSG.

Az.: L 11 KR 2148/20 (LSG Stuttgart, Rückenschmerzen)

Az.: L 11 KR 3455/20 (LSG Stuttgart, Reizdarmsyndrom)

Az.: 1 BvR 733/18 (Bundesverfassungsgericht)

Az.: L 1 KR 256/19 B ER (LSG Darmstadt, Untergewicht)

Frank Leth