

Hannover (epd). Bernd Kühn raucht auf dem Gehsteig eben zwei Zigarillos, er hat noch ein paar Minuten Zeit. Gleich wird er Udo Rogge in seiner Wohnung abholen und zur Corona-Impfung auf das hannoversche Messegelände fahren. Kühn kennt die Abläufe genau, es ist seine zehnte Fahrt als Impfpate. "Herr Rogge ist mein Impfling. Das ist ein komischer Begriff, aber auch ein bisschen niedlich", sagt der 52-Jährige.
Ums Eck steht ein Kastenwagen der Hannoverschen Sportjugend. Mit ihm ist Bernd Kühn unterwegs, der Wagen gehört zum Fuhrpark des Impfpaten-Projekts des Stadtkirchenverbands und des Diakonischen Werks Hannover. Kühn arbeitet auch sonst als Fahrer bei einem Mobilitätsdienstleister, doch zurzeit ist er in Kurzarbeit - sein Arbeitgeber hat während der Pandemie sein Angebot vorübergehend eingestellt. Nun fährt er ehrenamtlich. Über soziale Medien hatte er von dem Impfpaten-Projekt erfahren: "Ich hatte Bock und Zeit. Und ich wollte was Gutes tun."
Die Impfpaten sind mehr als nur Chauffeure. Sie lotsen die über 80-Jährigen, die ihren Impftermin bekommen haben, durch die verschiedenen Stationen im Impfzentrum auf dem Messegelände. Das Zentrum dehnt sich über zwei Hallen aus. So können Stadt und Region Hannover die Kapazitäten und Abstände in ihrer zentralen Anlaufstelle erhöhen. Da liegt aus Sicht von Bernd Kühn allerdings auch der Haken: "Es ist ein bisschen unglücklich, dass man jetzt so lange Wege zurücklegen muss. Viele können ja nicht mehr gut laufen und das Sitzen tut ihnen auch weh."
Udo Rogge, 81, kommt bislang noch ohne Rollator aus. Er lebt allein in seiner Wohnung in einer gepflegten Reihenhaus-Siedlung. Früher hat er als Koch bei der Arbeiterwohlfahrt gearbeitet. Es fällt es ihm nicht schwer, sich selbst zu verpflegen. Alle Unterlagen, die er für die Impfung benötigt, hat er bereits beisammen, sie liegen griffbereit vor ihm auf dem Tisch. Ebenso der Zeitungsartikel, über den er auf das Impfpaten-Projekt aufmerksam geworden ist. Bernd Kühn hat auch schon Rogges 84-jährige Schwester zur Impfung gefahren, sie wohnt ebenfalls in Hannover. Jüngere Angehörige, die ihn zum Messegelände hätten fahren können, hat Udo Rogge nicht. "Ich habe selbst keine Kinder und meine Neffen wohnen in München und Nürnberg", erzählt der 81-Jährige.
Der Weg zum Impfzentrum auf dem Messegelände ist weiträumig ausgeschildert. Obwohl vor den Hallen 25 und 26 stetiges Treiben herrscht, gibt es keine Schlangenbildung. Auch die vielen Stühle in den mit Absperrgittern separierten "Wartezimmern" sind überwiegend leer. Den Rollstuhlverleih am Eingang nimmt Rogge dankend in Anspruch. "Den könnte man eigentlich auch mitnehmen. Merkt doch keiner", witzelt er. Am Einlass wird Fieber gemessen, dann werden Impfpate und Impfling zum Anmeldungsschalter mit der Nummer 16 geschickt. Dort wird überprüft, ob alle Unterlagen vollständig sind. "Endlich mal was richtig gemacht", sagt der 81-Jährige, als die freundliche Mitarbeiterin ihn durchwinkt. Beide verschwinden hinter einer der vielen Türen, auf denen "Arzt" steht. Ein Piks, 15 Minuten warten, falls es Komplikationen gibt, das war es schon. Bernd Kühn schiebt Udo Rogge wieder zum Ausgang.
Dort hat eine ältere Dame ein Problem. "Wo bekommt man die Taxi-Kosten erstattet?", fragt sie eine Mitarbeiterin. "Bei der Krankenkasse?", fragt diese unsicher zurück. Als Bernd Kühn seinen Impfling wieder zu Hause abliefert, weiß dieser den Service der Kirche zu würdigen: "Man kann nur dankbar sein." Und der 52-jährige Fahrer freut sich, dass er alten und mitunter sehr einsamen Menschen helfen kann. "Für manche bin ich das Jahreshighlight", sagt Kühn, "da entwickeln sich ganz intensive Gespräche".
Organisator Johannes Meyer, der die Impfpaten, Fahrzeugvergabe und Unterstützer koordiniert, ist überwältigt von der positiven Resonanz auf seine Initiative: "Stand heute haben sich 120 ehrenamtliche Impfpaten gemeldet." Selten habe ein Projekt derart viel Anklang gefunden wie dieses.