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Corona

Weihnachten im Altenheim: Desinfektionsspray neben dem Tannenbaum




Vorweihnachtsstimmung im Ludwig-Eibach-Haus in Wiesbaden
epd-bild/Andrea Enderlein
Senioreneinrichtungen sind von der Corona-Pandemie in besonderem Maße betroffen. Ihre Bewohnerinnen und Bewohner sind extrem gefährdet, Heimleiter und Pflegekräfte überlastet. Sie bemühen sich dennoch, ein bisschen Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen.

Für Elisabeth Hirsch, Minna Wickel und Anita Konrad ist eigentlich alles wie immer im Advent. Die drei Seniorinnen sind fröhlich, Angst vor Corona haben die Bewohnerinnen des Altenpflegeheims Kronberg nicht. Das Foyer ist festlich geschmückt, ein Tannenbaum steht neben Nikolausfiguren. Hier, im hessischen Dietzhölztal, scheint die Welt noch in Ordnung. Nur der Desinfektionsspender und die Masken der Pflegekräfte erinnern daran, dass nichts in Ordnung ist. Bisher gab es in diesem Heim in Kronberg-Ewersbach, das zum Diakonischen Werk Bethanien gehört, keine Coronafälle.

Besuche sind nach Anmeldung möglich

Das überrascht angesichts der vergleichsweise großzügigen Regelungen im Heim. Denn hier wird möglich gemacht, was andernorts längst gestrichen ist: Singkreise, Andachten, selbst eine Nikolausfeier gab es – nur fand diese draußen statt, mit Feuerschale, Bläsern und Hütten, an denen es Bratwurst, Glühwein und Waffeln gab. Wer wann kommen durfte, war streng nach Wohnbereich unterteilt, genau wie bei den anderen Aktivitäten. "Das erfordert eine sehr gute Planung", sagt Ute Reeh, die den sozialen Dienst leitet.

Das gilt auch für die Besuche von Angehörigen, die nach telefonischer Vereinbarung möglich sind. Jeder Bewohner darf pro Woche drei Mal Besuch bekommen. Für Reeh und ihre Kolleginnen und Kollegen bedeutet die Pandemie einen erheblichen Mehraufwand. "Rund 5.000 Stunden Arbeitszeit hat es uns seit März gekostet, alles neu zu organisieren", erläutert sie. Und nun müssen sie auch noch die Schnelltests stemmen. "Die Pflegeeinrichtungen brauchen dringend Hilfe von außen, um Corona-Tests durchzuführen", erklärt Nora Roßner, Referentin für Alter und Pflege des Deutschen Caritasverbandes. "Denn die Personaldecke ist ohnehin schon dünn. Die 13.000 neuen Stellen, die Gesundheitsminister Spahn 2018 versprochen hatte, sind bis heute nicht besetzt, da einfach kein Personal zur Verfügung steht", erinnert sie. "Deshalb müssen jetzt für die Corona-Tests pensionierte Ärzte, die Bundeswehr oder Medizin-Studierende aushelfen, sonst packen die Heime das nicht."

"Wir sind hier ziemlich auf uns allein gestellt"

Was bleibt, ist der Papierkram: So muss jede Senioreneinrichtung beim Gesundheitsamt erst ein Testkonzept vorlegen, bevor es Corona-Antigen-Tests bestellen darf. Das hat auch Günther Schlott gemacht, Leiter des Ludwig-Eibach-Hauses, eines evangelischen Seniorenzentrums in Wiesbaden. Mehrere Wochen ist das schon her, sein Konzept wurde genehmigt – aber auf die Tests wartet er noch immer. "Tatsache ist: Die Corona-Tests sind personell und materiell nicht durchführbar", sagt Schlott ernüchtert. "Die Politik und das reale Geschehen vor Ort sind zwei verschiedene Welten. Wir sind hier ziemlich auf uns allein gestellt." Das ist kein Einzelfall, weiß Nora Roßner. Bundesweit sei "der Umsetzungsdruck für die Heimleitungen und deren Mitarbeiterinnen Wahnsinn".

Theorie und Praxis klaffen auch bei den geplanten Impfungen weit auseinander. "Bundesgesundheitsminister Spahn hat angekündigt, dass es nächste Woche losgeht mit dem Impfen", sagt Schlott. "Aber wie soll das funktionieren?" Priorität beim Impfen haben die Über-80-Jährigen; allein in Wiesbaden sind das 18.500 Menschen. Die Bewohner der Altenheime sind da noch nicht mitgezählt. "Das Impfzentrum Wiesbaden erwartet eine Dosis von 3.500 Impfungen – und für einen wirksamen Schutz muss pro Person doppelt geimpft werden", erklärt er. Hinzu kommt die Bürokratie: Die Heime müssen ihre Bewohner über die Impfungen informieren und Einwilligungserklärungen einholen, der Hausarzt muss die Impftauglichkeit bescheinigen, der Impfbedarf muss ans Impfzentrum weitergeleitet werden, dort muss dieser überprüft werden. "Ich vermute, vor Mitte Januar wird das nichts mit dem Impfen", sagt Schlott.

20 Minuten an Weihnachten für den Sohn

Für die Bewohnerinnen und Bewohner im Ludwig-Eibach-Haus läuft das Leben größtenteils weiter wie bisher. Es wird gebastelt und gebacken, Weihnachtsbäume werden geschmückt, Rätselrunden finden statt – nur eben getrennt nach Etagen. Was fehlt? "Mal in den Arm genommen zu werden", sagt Johannes Schnepp aus dem Heimbeirat. "Und dass ich meinen Sohn oder meine Tochter an Weihnachten bloß 20 Minuten sehen kann, das schmerzt", ergänzt Irmhild Rufli, ebenfalls aus dem Heimbeirat.

Für Angehörige gibt es hier ein Betretungsverbot, nur das Besuchercafé ist geöffnet. Einmal pro Woche darf jeder Heimbewohner dort eine Stunde einen Menschen von draußen treffen. An Weihnachten ist der Andrang zu groß, weshalb die Zeit auf 20 Minuten begrenzt wird. Zusätzlich sind aber "Fensterbesuche" möglich, und das Heim stellt Tablets zur Verfügung, damit die Bewohner über Videotelefonie mit ihren Familien sprechen können.

Heimleiter Schlott und sein Team geben sich große Mühe, das Weihnachtsfest so schön wie möglich zu gestalten. Auch einen Gottesdienst haben sie vorbereitet: Der wird an Heiligabend auf großen Fernsehbildschirmen im ganzen Haus ausgestrahlt werden. Doch die Verantwortung, die auf seinen Schultern lastet, ist enorm. "Ein unkontrolliertes Ausbruchsgeschehen bedeutet Todesfälle", sagt Schlott. "Wenn wir einen Fehler machen, tragen wir daran eine Mitschuld."

Elisa Rheinheimer-Chabbi