Aachen (epd). In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Aachen kritisierte Ulla Schmidt, die Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, dass "behinderte Menschen und ihre Unterstützung in der Organisation der verschiedenen Rettungsschirme zunächst einfach nicht bedacht" worden seien.
Dabei seien Menschen mit Behinderungen und ihre Familien von der Pandemie sozial und gesundheitlich besonders betroffen, sagte Schmidt. Auch an der Digitalisierung in Schule, Beruf und privater Kommunikation könnten viele behinderte Menschen nur mit Unterstützung teilnehmen und seien daher auch künftig häufig benachteiligt.
Familien erlebten während der Corona-Pandemie extreme Situationen im Zusammenleben mit ihren behinderten Angehörigen. Die Wohnstätten mit ihren Betreuungsangeboten seien so organisiert, dass die Bewohner tagsüber in den Werkstätten arbeiten. Seien die Werkstätten aber geschlossen, sei das nicht möglich. "Da sind viele erwachsene Menschen mit Behinderung wieder zu ihren Eltern gezogen, die mit der Betreuung rund um die Uhr überfordert waren."
Dass Eltern in dieser Situation unabhängig vom Alter ihrer Kinder seit wenigen Wochen durch das neue Konjunkturpaket einen Lohnausgleich für eine Zeit von bis zu 20 Wochen bekommen könnten, sei da immerhin ein Fortschritt. Schmidt begrüßte auch, dass die Patientenbeauftragte in NRW Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen gezielt berate. Dafür sei beim Düsseldorfer Sozialministerium eine Dialogstelle eingerichtet worden.
"Menschen mit Behinderung haben eine eingeschränkte Immunabwehr und leiden oft unter Herzerkrankungen. Daher sind sie besonders gefährdet sich anzustecken", sagte Schmidt. Frauen und Männer mit geistiger Behinderung seien aber besonders auf körperlichen Kontakt angewiesen und verstünden die Abstandsregeln nicht. Die Werkstätten seien wochenlang geschlossen gewesen und öffneten auch jetzt nur nach und nach. Um all diese Probleme hätten sich die Familien gekümmert, unabhängig davon, wie alt ihre Kinder sind.
Manche Familien konnten hingegen ihre behinderten Töchter, Söhne oder Geschwister wegen der Quarantäne-Vorschriften wochenlang nicht treffen. Gerade geistig Behinderte verstünden dann nicht, warum ihre Angehörigen bei einem Besuch Abstand hielten oder nur durch eine Plexiglaswand zu sehen seien. "Das geht an die Grenze dessen, was man Menschen zumuten kann", sagt die ehemalige Bundesgesundheitsministerin.