sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

Kurzzeitpflegeplätze sind erschreckend knapp in Deutschland. Viele pflegebedürftige Senioren finden nach einem Krankenhausaufenthalt keinen Platz für eine Übergangszeit. Außerdem: Familienmitglieder, die sich für wenige Wochen von der häuslichen Pflege erholen wollen, können dies nicht, weil sie für ihre Angehörigen keinen Kurzzeitpflegeplatz finden, wie unsere Autorin Claudia Rometsch recherchiert hat. Union und SPD im Bundestag sprechen von einem "Engpass" - und bereiten ein neues Gesetz vor.

Jugendliche und Twens versuchen im Vergleich zu anderen Altersgruppen überdurchschnittlich oft, sich das Leben zu nehmen. Verzweifelte finden Hilfe in einem Projekt, in dem ihnen gezielt Gleichaltrige als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Über die Internetseite von "U25" können sich Suizidgefährdete mit E-Mails an Menschen wenden, die ihre Sprache sprechen und ihre existenziellen Sorgen nachvollziehen können. "Das ist so intim wie eine Brieffreundschaft", sagt eine der ehrenamtlichen Helferinnen. Und: "Man bekommt so viel Dank zurück."

Das Bundessozialgericht muss über besonders traurige Fälle eine Grundsatzentscheidung treffen: Wer trägt bei mittellosen Eltern, die ihr Kind durch eine Fehlgeburt im Krankenhaus verloren haben, die Bestattungskosten? Sind die Sozialämter oder die Kliniken zuständig? Ein Rechtsstreit in Nordrhein-Westfalen förderte zutage: Von klaren, einheitlichen Regelungen ist Deutschland weit entfernt.

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Markus Jantzer




sozial-Politik

Senioren

Länger im Krankenhaus wegen fehlender Kurzzeitpflege




Gehversuche nach ärztlicher Behandlung
epd-bild/Werner Krüper
Kurzzeitpflege soll Angehörige entlasten oder die Versorgung von Patienten nach einem Krankenhausaufenthalt sicherstellen. Doch es gibt nicht genügend Plätze in Pflegeeinrichtungen.

Elisabeth K. freute sich auf den Tag, an dem sie aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte. Bislang war die 94-Jährige mit Unterstützung eines Pflegedienstes und einer Nachbarin zu Hause noch gut allein zurechtgekommen. Doch als die Ärzte grünes Licht für die Entlassung gaben, war klar, dass die 94-Jährige mehr Hilfe braucht als bislang. Für den Übergang musste ein Kurzzeitpflegeplatz her. Aber der Sozialdienst des St. Joseph-Stifts in Dresden suchte zunächst vergeblich. Neun Tage lang wartete die alte Dame auf einen Pflegeplatz, bevor sie endlich entlassen werden konnte.

Am Telefon nur Absagen

Ein Fall, wie ihn Jan Bieganski oft erlebt. "Wir telefonieren praktisch jeden Tag auf der Suche nach Kurzzeitpflegeplätzen die Einrichtungen ab", sagt der Leiter des Sozialdienstes im St.-Joseph-Stift. Dass er und seine Kollegen dabei nur Absagen bekommen und Patienten deshalb länger im Krankenhaus bleiben müssen als notwendig, komme regelmäßig vor. Dabei hat das St.-Joseph-Stift sogar eine eigene Kurzzeitpflege-Einrichtung mit 23 Plätzen. Doch auch die kann den Bedarf bei weitem nicht decken. Der Grund: "Die Zahl der Kurzzeitpflegeplätze im Raum Dresden hat in den letzten Jahren dramatisch abgenommen", berichtet Bieganski. Vor zehn Jahren habe es noch etwa 20 Kurzzeitpflege-Einrichtungen gegeben. Nun seien es nur noch sieben.

Für die Krankenhäuser, nicht nur in Dresden, sondern bundesweit hat der Mangel an Kurzzeitpflegeplätzen finanzielle Folgen. Denn wenn ein Patient länger bleiben muss, weil seine Anschlussversorgung nicht sichergestellt ist, bleiben die Kliniken meist auf den Kosten sitzen. "Bei der Abrechnung verweigern die Kassen die Zahlung mit der Begründung 'sekundäre Fehlbelegung'", erklärt Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

Es spricht nichts dafür, dass sich diese Situation in absehbarer Zeit entspannt. "Wir beobachten mit großer Sorge, dass es sogar immer weniger Kurzzeitpflegeplätze in Deutschland gibt", sagt Manfred Carrier von der Diakonie Deutschland. Grit Braeseke vom Sozialforschungsinstitut IGES in Berlin kann das bestätigen: "2017 gab es einen Knick nach unten bei der Zahl der Kurzzeitpflegeplätze insgesamt." Im Vergleich zu 2015 sank die Zahl der gemeldeten Plätze um 13 Prozent auf knapp 41.700. Wie viele Plätze tatsächlich zur Verfügung stünden, lasse sich aber kaum ermitteln, sagt Braeseke. Denn aufgrund der hohen Nachfrage belegten manche Seniorenheime ihre Kurzzeitpflegeplätze lieber mit langfristigen Bewohnern.

"Versorgung nicht mehr zu gewährleisten"

Heikel ist die Lage auch in Bayern. In nahezu allen Regionen Bayerns gibt es keine ausreichende Zahl an Kurzzeitpflege-Angeboten, betont die Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB). Wer einen Kurzzeitpflegeplatz suche, "sieht sich mit einer dramatisch niedrigen generellen Verfügbarkeit von Angeboten und zahlreichen administrativen Hürden konfrontiert". "Die pflegerische Versorgung ist in manchen Bereichen nicht mehr zu gewährleisten", erklärte Georg Sigl-Lehner, Präsident der VdPB.

Über die Ursachen des Engpasses bei der Kurzzeitpflege sind sich die Wohlfahrtsverbände einig: "Es gibt zu wenig solitäre Kurzzeiteinrichtungen, da sich diese unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht wirtschaftlich tragen", erklärt Anja Stoiser vom Deutschen Caritasverband. Das Problem sei der "hohe Aufwand aufgrund häufiger Aufnahme- und Entlassprozesse", den die Kurzzeitpflege verursache, ergänzt Claudia Pohl vom AWO-Bundesverband. Sozialdienst-Leiter Jan Bieganski erklärt es so: "Die Aufnahme eines Kurzzeitpatienten bedeutet für eine Einrichtung den gleichen Aufwand wie die Aufnahme eines Langzeitbewohners. Und das bei schlechterer Vergütung."

Die Möglichkeit der Kurzzeitpflege war ursprünglich vor allem geschaffen worden, um pflegende Angehörige zu entlasten. Die Pflegekasse zahlt pro Jahr bis zu 1.612 Euro für Kurzzeitpflege, wenn pflegende Angehörige selbst einmal gesundheitsbedingt ausfallen oder Urlaub brauchen. Mittlerweile kommen aber laut IGES rund 60 Prozent der Kurzzeitbewohner nach einem Krankenhausaufenthalt in Pflegeeinrichtungen. Und diese Bewohner machen in der Regel mehr Arbeit als die Menschen, die statt der häuslichen Pflege vorübergehend einen Kurzzeitpflegeplatz brauchen, weil ihre Angehörigen gerade verhindert sind. Sie sind oft auch betreuungsintensiver als Langzeitbewohner.

Kurzzeitpflegeplätze rechnen sich nicht

"Die Einrichtungen sind mit der Nachsorge von entlassenen Patienten in der Regel personell überfordert", beobachtet Carrier. Meist würden die Patienten bei Entlassung mit Pflegegrad 2 eingestuft, obwohl ihre Versorgung wesentlich aufwendiger sei. Für Pflegeheime rechne es sich daher nicht, Kurzzeitpflegeplätze anzubieten – zumal sie oft ohnehin Wartelisten für Langzeitbewohner hätten. Reine Kurzzeitpflege-Einrichtungen kämen oft finanziell gar nicht über die Runden. "Wir setzen uns deshalb für eine verbindliche Einstufung in Pflegegrad 4 ein," sagt Carrier.

Nach Ansicht der Wohlfahrtsverbände kann der Abbau von Kurzzeitpflegeplätzen nur durch eine bessere Finanzierung gestoppt werden. Die BAGFW schlägt deshalb vor, die Vergütung durch gesetzliche Änderungen neu zu strukturieren. Danach soll unter anderem die Kurzzeitpflege im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt besser bezahlt werden als eine Verhinderungspflege.

Claudia Rometsch


Senioren

Union und SPD dringen auf mehr Kurzzeitpflegeplätze



Kurzzeitpflegeplätze sind eine wichtige Übergangslösung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Es gibt aber nicht genug davon. Union und SPD haben vereinbart, für mehr Plätze zu sorgen. Jetzt werden die Bundestagsfraktionen ungeduldig.

Angesichts bundesweiter Engpässe dringen Union und SPD auf mehr Kurzzeitpflegeplätze. Einen Rechtsanspruch auf einen solchen Platz soll es aber nicht geben, wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Lothar Riebsamen dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin sagte. Das könne nur auf lange Sicht ins Auge gefasst werden, wenn sich die Situation nicht verbessere. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz stellte fest, Kurzzeitpflegeplätze seien in Deutschland Mangelware.

Riebsamen ist einer der Initiatoren eines gemeinsamen Antrags der Koalitionsfraktionen, der nach seinen Angaben noch in diesem Jahr in den Bundestag eingebracht werden soll. In dem Antrag, der dem epd vorliegt, bemängeln SPD und Union, dass die Schaffung von Plätzen stagniere, obwohl der Bedarf weiter zunehme. Bundesweit gebe es einen "Engpass an Kurzzeitpflegeplätzen".

Schwierigkeiten bei der Finanzierung

Die Bundesregierung müsse jetzt dafür sorgen, dass die Länder und die Pflegekassen in die Pflicht genommen würden, sagte Riebsamen dem epd. Sie seien gesetzlich verpflichtet, die Versorgung mit einer ausreichenden Anzahl an Kurzzeitpflegeplätzen sicherzustellen. Der CDU-Abgeordnete will den Antrag am 13. Dezember in Berlin öffentlich vorstellen, gemeinsam mit der Pflegebeauftragten der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens.

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag eine bessere Finanzierung der Kurzzeitpflege vereinbart. In dem Antrag der Fraktionen heißt es, bei der Vergütung der Kurzzeitpflege müsse der im Vergleich zu Dauer-Heimplätzen höhere organisatorische und pflegerische Aufwand berücksichtigt werden. Die Betreiber klagten über Schwierigkeiten bei der Finanzierung, auch bestehende Angebote seien gefährdet.

Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte, die Neuregelung der Kurzzeitpflege werde im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Reform der Pflegeversicherung erfolgen, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für 2020 angekündigt hat. Kurzzeitpflege sei wichtig, um Pflegebedürftigen passende Angebote machen zu können. Damit das funktioniere, müssten diese Angebote tragfähig vergütet werden.

Entlastung von Angehörigen

Kurzzeitpflegeplätze und die sogenannte Verhinderungspflege sind wichtige Übergangslösungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Sie haben darauf einen Anspruch, können ihn aber nicht realisieren, wenn sie keinen Platz finden.

Eine Kurzzeitpflege im Heim kann zum Beispiel helfen, die Zeit nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bis zu einer endgültigen Lösung für die Pflege zu überbrücken. Darauf haben Pflegebedürftige bis zu acht Wochen im Jahr einen Rechtsanspruch und erhalten dafür einen Zuschuss von der Pflegeversicherung. Einen Zuschuss gibt es auch, wenn pflegende Angehörige etwa Urlaub machen wollen oder selbst ins Krankenhaus müssen, damit sie ihren Pflegebedürftigen bis zu sechs Wochen anderweitig unterbringen können.

Der Geschäftsführende Vorstand des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), Helmut Kneppe, sagte, es müsse etwas getan werden, um den Bedarf zu decken. Er sprach sich für praktikable Lösungen aus. Freie Heimplätze könnten als Kurzzeitplätze belegt werden. Deutlich aufwendiger sei es, spezielle Kurzeitpflegeplätze in eigenen Einrichtungen zu schaffen.

Die Stiftung Patientenschutz rechnete vor, dass auf 2,6 Millionen ambulant versorgte Pflegebedürftige derzeit 10.800 Kurzzeitpflegeplätze kommen. Vorstand Eugen Brysch kritisierte, die Einrichtungen führen die Angebote sogar zurück, weil sie sich nicht rentierten.

Bettina Markmeyer


Bundesregierung

Giffey kündigt Reform der Kinder- und Jugendhilfe für 2020 an




Eine Erzieherin tobt mit Kita-Kindern.
epd-bild/Klaus Kohn
Eine Modernisierung des Kinder- und Jugendhilferechts steht schon seit Jahren auf der politischen Agenda. In der vorigen Wahlperiode war sie gescheitert. Verbände fordern die Gleichbehandlung aller Kinder, unabhängig von einer Behinderung.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat den Startschuss zur Reform des Kinder- und Jugendhilferecht gegeben. Giffey erklärte am 10. Dezember in Berlin, sie wolle ihren Gesetzentwurf im kommenden Frühjahr vorlegen. Der Staat habe die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass jedes Kind seinen Weg mache und müsse es so gut fördern wie möglich, sagte sie. Die gegenwärtigen Regelungen seien nicht immer zum Besten der Kinder.

Verbesserungen für behinderte Kinder

Zu den Kernelementen der geplanten Reform zählen Verbesserungen für rund 250.000 geistig und körperlich behinderte Kinder und Jugendliche, die zwischen der Behindertenhilfe und der Jugendhilfe hin- und hergereicht werden. Außerdem soll der Kinder- und Jugendschutz verbessert werden. Damit soll auch sexueller Gewalt besser vorgebeugt werden. Auch die Heimaufsicht soll gestärkt werden. Jugendlichen, die im Heim oder eine Pflegefamilie aufwachsen, wird in Aussicht gestellt, dass sie künftig mehr von einem eigenen Einkommen behalten dürfen. Mit Beschwerden sollen sich Eltern und Betroffene künftig an unabhängige Ombudsstellen wenden können.

Giffey nahm am 10. Dezember den Abschlussbericht von Kinder- und Jugendhilfe-Experten entgegen, die sich ein Jahr lang mit der anstehenden Reform auseinandergesetzt und zahlreiche Empfehlungen ausgesprochen hatten. Die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses würden in die Gesetzgebung einfließen, sagte sie.

Die Diakonie Deutschland warnte, die Reform dürfe keine Enttäuschung werden. Sozialvorstand Maria Loheide erklärte, es sei ein Skandal, dass zehn Jahre nach der UN-Behindertenrechtskonvention Kinder immer noch in unterschiedliche Hilfesysteme aufgeteilt würden: "Für Kinder mit einem IQ von 69 ist die Behindertenhilfe, ab einem IQ von 70 die Jugendhilfe zuständig", sagte sie. Die Eltern würden zwischen den Behörden hin- und hergeschoben, das dürfe künftig nicht mehr sein. Die Kinder- und Jugendhilfe müsse dem Inklusionsgrundsatz folgen.

Ein Recht für alle Minderjährigen

Ähnlich äußerten sich die privaten Pflegeanbieter. Kinder seien Kinder, ob mit oder ohne Behinderung, sagte der Präsident des Bundesverbandes der privaten Anbieter (bpa), Bernd Meurer. Die Fachleute aus dem Beteiligungsprozess zur Vorbereitung der Gesetzgebung hätten sich klar dafür ausgesprochen, alle Kinder künftig in das Kinder- und Jugendhilferecht einzubeziehen.

Nach Angaben des Familienministeriums sind von knapp 22 Millionen Kindern und Jugendlichen rund 1,5 Millionen auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die Modernisierung der Kinder- und Jugendhilfe war in der vergangenen Legislaturperiode gescheitert. Sie soll nun in dieser Wahlperiode umgesetzt werden. Das Kinder- und Jugendhilferecht regelt unter anderem die Kinderbetreuung, die Jugendhilfe und -arbeit, die Heimerziehung und -aufsicht sowie staatliche Eingriffe bei einer Gefährdung des Kindeswohls. Es ist im Sozialgesetzbuch VIII zusammengefasst und gilt für Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 27 Jahren.



Behinderung

Inklusive Bildung: "Mit uns kann man ganz normal Spaß haben"




Menschen mit Behinderungen sollen Studenten unterrichten.
epd-bild/Claudia Rometsch
In Nordrhein-Westfalen unterrichten erstmals Menschen mit geistiger Behinderung Studierende in Sachen Inklusion. Ein Lehrgang bereitet die künftigen Bildungsfachkräfte auf eine dauerhafte Tätigkeit an Hochschulen vor.

"Am Anfang hatten wir ein Problem", berichtet Florian Lintz. "Die Studierenden saßen auf der einen Seite, wir auf der anderen." Das war die Ausgangssituation, als die sieben Teilnehmer des Ausbildungslehrgangs "Inklusive Bildung" Anfang November ihren ersten Einsatz als Dozenten an der Technischen Hochschule Köln hatten. Doch das Eis zwischen den Studierenden und den sieben angehenden Inklusions-Fachkräften, die geistige und zum Teil auch körperliche Behinderungen haben, war schnell gebrochen.

"Jetzt läuft es", sagt Amandj Hosenyi. Mit Lintz, Hosenyi und ihren fünf Kolleginnen und Kollegen unterrichten erstmals in Nordrhein-Westfalen Menschen mit geistiger Behinderung an einer Hochschule.

Vermittler in Sachen Inklusion

Im April begannen sie ihre dreijährige Ausbildung. Aber schon im Rahmen des Lehrgangs sind die angehenden Bildungsfachkräfte als Vermittler in Sachen Inklusion aktiv. Bereits an 15 Veranstaltungen und Seminaren mit rund 300 Studierenden haben sich die Lehrgangsteilnehmer nach Angaben des Instituts für Inklusive Bildung NRW beteiligt. Unter anderem starteten sie ihr eigenes Pilot-Seminar für Studierende des Studiengangs "Pädagogik der Kindheit und Familienbildung" an der Technischen Hochschule Köln.

Das Seminar zum Thema "Meine Lebenswelt" sei von den Studierenden sehr gut angenommen worden, sagt Andrea Platte, Prodekanin an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften. "In dem Seminar geht es darum zu erklären, wie es ist, mit einer Behinderung zu leben", erklärt Florian Lintz. "Zuerst hatten die, glaube ich, Angst vor uns", meint Amandj Hosenyi. Doch das habe sich mittlerweile gelegt, betont Lintz. "Die Studierenden sind sehr offen und suchen das Gespräch mit uns."

Ausbildung dauert drei Jahre

Bei der Veranstaltung handelt es sich um das erste Praxis-Modul des Lehrgangs. Während der dreijährigen Ausbildung lernen die künftigen Inklusionsexperten, Studierenden und Lehrkräften an nordrhein-westfälischen Hochschulen die speziellen Bedarfe und Kompetenzen von Menschen mit Behinderungen zu vermitteln.

Nach Abschluss des Lehrgangs sollen die Bildungsfachkräfte Seminare, Workshops oder Gruppenveranstaltungen an Hochschulen abhalten. Dabei werden sie von einer pädagogischen Assistenz oder einer hauptamtlichen Lehrkraft unterstützt. Themen werden zum Beispiel Barrierefreiheit oder die Anforderungen an einen inklusionsorientierten Arbeitsplatz sein.

Florian Lintz zum Beispiel möchte bei den Studierenden Verständnis dafür wecken, wie es ist, mit einer Lernbehinderung und einer Spastik zu leben. "Woher sollen sie das auch wissen?", fragt der 29-Jährige. "Wenn wir nicht das Eis brechen, können wir das auch nicht von anderen verlangen." In den ersten Seminarsitzungen sei es vor allem darum gegangen, die Lebenswelten der sieben behinderten Lehrgangsteilnehmer mit der der Studierenden zu vergleichen.

Berührungsängste sollen abgebaut werden

Ein Hauptunterschied ist für Lintz: "Sie können sich Schule, Studium oder Job aussuchen. Wir nicht." Die Studierenden hätten schnell festgestellt, dass Menschen mit Behinderungen es in vieler Hinsicht schwerer hätten. "Zum Beispiel auch bei den Hobbys. Ich wollte immer gerne schwimmen, habe aber keinen Verein gefunden, in den ich passe," berichtet Lintz.

Letztlich gehe es auch darum, einfach Berührungsängste abzubauen, sagt Lehrgangsteilnehmer Fabian Hesterberg. "Mit uns kann man ganz normal Spaß haben. Und das ist für mich Inklusion."

Nach Abschluss ihrer Ausbildung soll den Bildungsfachkräften eine reguläre Anstellung im ersten Arbeitsmarkt angeboten werden. Dazu ist die Gründung eines Inklusionsunternehmens vorgesehen. Außerdem soll es Kooperationen mit weiteren nordrhein-westfälischen Hochschulen geben.

Neben der TH Köln sind nach Angaben des Instituts für inklusive Bildung unter anderem bereits Kontakte zur Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum, zur Technischen Universität Dortmund, zur Universität Köln und zur Universität Bielefeld geknüpft.

Gefördert wird das Projekt vom Landschaftsverband Rheinland (LVR), der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW und der Kämpgen-Stiftung. In Schleswig-Holstein wurde ein vergleichbarer Ausbildungsgang bereits erfolgreich abgeschlossen. Derzeit laufen ähnliche Lehrgänge auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg.

Claudia Rometsch


Arbeit

Interview

Linke: Jobverlust darf nicht zum Sozialabsturz führen




Susanne Ferschl
epd-bild/Ben Gross
Die Linksfraktion im Bundestag hat ein Konzept vorlegt, das sozialen Absturz nach einem Jobverlust vermeiden soll. Im Kern geht es um Veränderungen beim Arbeitslosengeld I, wie die Vizevorsitzende der Fraktion, Susanne Ferschl, im Interview erklärt.

Soziale Sicherheit ist nach dem Standpunkt der Linken kein Almosen, sondern ein Rechtsanspruch. Vor diesem Hintergrund hat die Bundestagsfraktion ein neues Modell zum Bezug von Arbeitslosengeld I vorgelegt. Um der Armutsfalle nach einem Jobverlust zu entgehen, müsse das ALG I "höher sein, früher greifen und länger gezahlt werden. Im Anschluss daran wird das neue ALG Plus gewährt - in Anlehnung an die frühere Arbeitslosenhilfe", sagt Susanne Ferschl dem Evangelischen Pressedienst. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Frau Ferschl, Ihre Partei setzt auf Reformen bei Hartz IV. Aber ganz abschaffen wollen Sie das System nicht?

Susanne Ferschl: Diel Linke will Hartz IV nach wie vor überwinden und wirbt für eine sanktionsfreie Mindestsicherung. Hartz IV bedeutet Armut und Demütigung per Gesetz, daran hat sich bis heute wenig geändert. Menschen sind gezwungen, ihren Lebensunterhalt mit 424 Euro im Monat zu bestreiten und jeder angebotene Job ist zumutbar - egal, ob zum Niedriglohn oder in der Leiharbeit. Dabei spielt auch keine Rolle, wie lang jemand in die Sozialversicherung eingezahlt hat. Das ist zutiefst ungerecht und hat prekärer Arbeit den Weg geebnet.

epd: Jetzt kommt noch das "aber"?

Ferschl: Ja. Denn es ist doch klar, dass es für Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht arbeiten können, eine Mindestsicherung geben muss, die armutsfest ist und ein menschenwürdiges Dasein garantiert. In einem reichen Land wie Deutschland sollte das selbstverständlich sein. Als Zwischenschritt dorthin fordern wir die sofortige Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze auf 582 Euro.

epd: Wie sieht die große Linie der Linken aus? Stichwort völlige Neuausrichtung der sozialen Sicherungssysteme und Stärkung des Sozialstaates?

Ferschl: Alle Systeme müssen auf eine solide finanzierte, solidarische und zukunftsfeste Grundlage gestellt werden, um Menschen vernünftig abzusichern: bei Krankheit, Alter, Pflegebedarf und Arbeitslosigkeit. Dieser Schutz ist derzeit nicht mehr gegeben. Menschen fallen in die Altersarmut, obwohl sie ein Leben lang gearbeitet haben. Wer seine Arbeit verliert, fällt in der Regel nach nur zwölf Monaten in das Hartz IV System oder wird in prekäre Beschäftigung gezwungen.

epd: Genau das wollen Sie ändern...

Ferschl: Wir finden, dass es die Aufgabe eines Sozialstaates ist, die sozialen Sicherungssysteme so auszugestalten, dass sie den Menschen Schutz bieten. Die Finanzierung ist dabei wichtig. Der Staat entscheidet, ob er große Vermögen und Erbschaften dazu besteuert oder lieber wie jüngst über weitere Milliarden-Geschenke an Unternehmen durch eine neuerliche Steuerreform nachdenkt. Ein weiterer Aspekt der Finanzierung ist die solidarische Komponente: Alle zahlen in die Renten-, Pflege- und Gesundheitsversicherung ein, auch Abgeordnete, Beamte oder Selbstständige.

epd: Sie wollen ein längeres Arbeitslosengeld I und an dessen verlängerte Bezugsdauer ein sogenanntes Arbeitslosengeld Plus andocken. Bitte erklären Sie den Plan.

Ferschl: Unser Konzept zur Stärkung der Arbeitslosenversicherung ist ebenso einfach wie gerecht: Wer jahrelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, profitiert auch länger von der Schutzfunktion. Das ALG I (Arbeitslosengeld I) muss höher sein, früher greifen und länger gezahlt werden. Im Anschluss daran wird das neue ALG Plus gewährt – in Anlehnung an die frühere Arbeitslosenhilfe.

epd: Ein Beispiel bitte!

Ferschl: Eine Person war 15 Jahre lang beschäftigt. Sie erwirbt nach unseren Vorstellungen einen Anspruch auf 25 Monate ALG I in Höhe von 68 Prozent und 25 Monate ALG Plus in Höhe von 58 Prozent des pauschalierten vorherigen Nettoeinkommens. Das verschafft Beschäftigten die notwendige Zeit und materielle Sicherheit, um sich eine Arbeit zu suchen, die auch tatsächlich ihren Qualifikationen entspricht.

epd: Gibt es noch andere Gruppen, denen eine solche Reform entgegenkommt?

Ferschl: Ja. Aufgrund der verkürzten Anwartschaftszeit werden auch die Rechte jüngerer und oft befristet Beschäftigter gestärkt. Nach bereits vier Monaten beitragspflichtiger Beschäftigung erwerben sie nach unserem Plan Anspruch auf zwei Monate ALG I und zwei Monate ALG Plus.

epd: Nach dreißig Beitragsjahren in der Rentenkasse soll es ALG Plus unbefristet geben. Aber reicht das Geld wirklich aus, um von anderen Sozialtransfers unabhängig zu sein?

Ferschl: Das kommt natürlich darauf an, wie hoch das zuvor erzielte Nettoeinkommen war. Eine Stärkung der Arbeitslosenversicherung allein löst die Probleme am Arbeitsmarkt nicht. Dazu sind weitere Maßnahmen notwendig: Stärkung der Tarifbindung, Erhöhung des Mindestlohnes, Einschränkung von Befristung und Leiharbeit.

epd: Was ist die Grundidee, die Sie verfolgen?

Ferschl: Es geht uns mit dieser Regelung darum, dass langjährig Beschäftigte mehr Zeit haben, sich eine adäquate Beschäftigung zu suchen. Denn oft haben gerade ältere Menschen es schwer, eine neue Arbeit zu finden.

epd: Reden wir über Geld. Was würden diese Veränderungen kosten und wer soll, auch im Lichte der bereits schwächelnden Konjunktur, das bezahlen?

Ferschl: Die Kosten sind abhängig vom Beschäftigungsgrad in der Gesamtwirtschaft, der wiederum maßgeblich von der Konjunktur bestimmt wird. Flankiert werden unsere Vorschläge zur Arbeitslosenversicherung daher von wirtschaftspolitischen Forderungen. Um die Konjunktur anzukurbeln und die Binnennachfrage zu stärken, sind staatliche Investitionen in Bildung, Klima, Infrastruktur, Gesundheit und Soziales nötig. Diese Reihe ließe sich problemlos fortsetzen, denn der Bedarf an Investitionen ist riesig. Unser Konzept zum ALG I und ALG Plus ist jeweils eine beitragsfinanzierte Leistung. Das stellt sicher, dass sich auch Arbeitgeber an der Finanzierung beteiligen. Soziale Sicherheit ist schließlich kein staatliche Almosen, sondern ein erworbener Anspruch.

epd: In der SPD gibt es seit Jahren Stimmen, die Hartz IV hinter sich lassen wollen, aber passiert ist nichts. Wo sehen Sie ihre künftigen Partner, um solche grundlegenden Reformen auch in der Praxis umzusetzen?

Ferschl: Im November 2018 haben sich Parteien und Verbände überschlagen mit Vorschlägen, wie man Hartz IV hinter sich lassen könnte. Die politische Einsicht, Worten Taten folgen zu lassen, ist nach wie vor nicht vorhanden. Wir haben nun Vorschläge vorgelegt, wie dieses Vorhaben solide und einfach umzusetzen ist.

epd: Das mag stimmen, aber ist das Konzept nicht eher eins für die mittlere Zukunft?

Ferschl: Realistisch betrachtet wird es in dieser großen Koalition keine Umsetzung von solchen grundlegenden Reformen geben. Der gesellschaftliche Druck muss steigen. Mit unseren Konzepten stellen wir uns an die Seite von Gewerkschaften, Verbänden und Beschäftigten.



Medizin

Kretschmann: Europa braucht eigene Datenstrategie




Ein dreidimensionales Herz auf einem Monitor des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT)
epd-bild/Thomas Lohnes
Heilung durch bessere Datenverarbeitung? In der Digitalisierung liegen medizinische Chancen, hieß es bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll in Stuttgart. Ministerpräsident Kretschmann erwartet dennoch keine paradiesischen Zeiten.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht Europa in Sachen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz im Hintertreffen. Die USA und China seien weit voraus, sagte Kretschmann am 6. Dezember in Stuttgart. Wenn Europa keinen eigenen Weg entwickle, sei es mit der Freiheit irgendwann vorbei, warnte der Politiker: "Wer nicht mitkocht, der steht am Ende auf der Speisekarte."

Kretschmann warb dafür, einen eigenen europäischen Datenspeicher ("Cloud") zu schaffen. In der Medizin sieht der Politiker durch Künstliche Intelligenz neue Chancen für Diagnostik, Körperprothesen oder Roboter, die operieren. Die Unikliniken in Baden-Württemberg vernetzten bereits Patientendaten, um etwa die Behandlung von Krebskranken zu verbessern.

Ein Computer stellt die Diagnose

Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, berichtete von rasanten Entwicklungen in der Medizin Chinas. So würden dort für Patienten inzwischen telefonzellenähnliche Boxen aufgebaut. Innen sitzt statt einem Arzt ein Computer, der die Diagnose stellt. Angeschlossen ist ein Automat, der die gängigsten Medikamente sofort ausgeben kann.

Ein Mediziner könne sich heute in Fachfragen nicht mehr auf dem neuesten Stand halten, weil sich das Wissen der Forschung alle 73 Tage verdoppele, sagte Baas. Patienten wollten aber nicht aufgrund von veraltetem Wissen therapiert werden - Künstliche Intelligenz könne dieses Problem wahrscheinlich lösen. Der Krankenkassenchef warb für eine Digitalisierung, die den europäischen Datenschutz zum Wettbewerbsvorteil mache.

Der Medizinprofessor Eckhard Nagel von der Universität Bayreuth sieht in Informationstechnologien zwar einen enormen Fortschritt, hält es aber noch für unklar, ob jeder einzelne Patient davon profitieren werde. Studenten müssten künftig lernen, von der Künstlichen Intelligenz vorgeschlagene Diagnosen und Therapien kritisch zu hinterfragen und sich gegebenenfalls auch gegen das System zu entscheiden.

Veranstaltet wurde die Konferenz von der Evangelischen Akademie Bad Boll gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse. Akademie-Direktor Jörg Hübner sprach sich für eine Weiterentwicklung der Digitalisierung unter Beachtung der Menschenrechte aus.

Marcus Mockler


Ruhestand

Bundestag beschließt Beitragsentlastungen für Betriebsrentner



Ab dem nächsten Jahr sollen die Krankenkassenbeiträge auf Betriebsrenten sinken. Der Bundestag beschloss am 12. Dezember in Berlin einen Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), mit dem ein Freibetrag eingeführt wird. Spahn sagte, für etwa ein Drittel der Betriebsrentner würden sich die Beiträge halbieren. Auf kleine Betriebsrenten entfalle weiterhin kein Beitrag, und auch Bezieher höherer Renten würden entlastet.

Union und SPD hatten sich im Rahmen des Grundrenten-Kompromisses auf die Entlastungen verständigt. Sie würden nun zügig umgesetzt, erklärte Spahn. Es gehe um das Vertrauen in die betriebliche Altersvorsorge.

Von Januar an soll künftig ein Freibetrag von 159,25 Euro gelten, bis zu dem gar keine Krankenkassenbeiträge fällig werden. Für den darüber hinausgehenden Rentenanteil wird der volle Krankenkassenbeitrag fällig. Im Bundesdurchschnitt sind das gegenwärtig 15,5 Prozent des Einkommens.

Bisher gilt nur eine Freigrenze von 155,75 Euro, bis zu der keine Beiträge anfallen. Darüber wird auf die gesamte Betriebsrente aber der volle Krankenkassenbeitrag fällig. Betriebsrentner mit mehr als 155,75 Euro und bis zu 320 Euro im Monat profitieren daher am stärksten. Wer eine höhere Rente hat, wird weniger stark entlastet. Den Krankenkassen entgehen dem Gesetz zufolge etwa 1,2 Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr.

Die gesetzlichen Änderungen sollen die sogenannte Doppelverbeitragung abmildern. Sie sorgt seit Jahren für Ärger, weil die Betriebsrenten schlechter gestellt sind als die gesetzlichen Renten. Auf die Altersrente fällt normalerweise nur der halbe Krankenkassenbeitrag an. Die andere Hälfte übernimmt die Rentenversicherung.



Gesundheit

Behindertenbeauftragter Dusel gegen Spahns Intensivpflege-Gesetz



Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, wirft Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor, mit dem geplanten Gesetz zur Intensivpflege Menschen mit Behinderungen schlechter zu stellen als heute. Der Entwurf, der noch innerhalb der Bundesregierung abgestimmt wird, verstoße gegen die UN-Behindertenrechtskonvention und damit gegen geltendes Recht, sagte Dusel dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Es geht bei dem Streit, der auch von Behindertenverbänden geführt wird, hauptsächlich um die künftige Behandlung von Patienten, die beatmet werden müssen. Dusel kritisierte, dass nicht mehr die Betroffenen selbst, sondern die Krankenkassen entscheiden sollen, wo der Patient behandelt wird - ob zu Hause, im Pflegeheim oder in einer speziellen Einrichtung für Intensivpflege. Dem Medizinischen Dienst soll dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Dies widerspreche dem Recht, selbst zu entscheiden, wo man leben wolle, sagte Dusel.

Warnung vor "bevorstehenden Verschlechterungen"

Gesundheitsminister Spahn hatte einen ersten Entwurf des Gesetzes nach Protesten überarbeiten lassen. Es soll nun einen Bestandsschutz für alle Patienten geben, die heute schon beatmet werden. Niemand muss zum jetzigen Zeitpunkt also gegen seinen Willen in ein Pflegeheim umziehen. Dusel bezeichnete den Bestandsschutz aber als "ein Indiz für bevorstehende Verschlechterungen". Denn sonst bräuchte man ihn nicht, argumentierte der Behindertenbeauftragte.

Der Entwurf sieht vor, dass die Kosten für Beatmungspatienten in Pflegeheimen künftig vollständig von den Krankenkassen übernommen werden, auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, wofür Pflegebedürftige normalerweise selbst aufkommen müssen. Damit setzt der Entwurf aus Sicht des Behindertenbeauftragten einen finanziellen Anreiz für eine Pflege im Heim.

Mit dem Gesetzentwurf reagiert Spahn auch auf eine Reihe von Fällen, in denen betrügerische Pflegedienste für Beatmungspatienten mehr abrechneten, als sie an Leistungen erbracht hatten. Die hohen Honorare für die ambulante Betreuung in Wohngemeinschaften oder zu Hause von bis zu 23.600 Euro im Monat lockten auch Betrüger an, die die Not der Betroffenen ausnutzten, hieß es dazu aus dem Ministerium. Um dies zu verhindern, sollen die Kontrollen verschärft werden und strengere Vorgaben für die Qualität der Pflege gemacht werden. Außerdem setzt der Entwurf Anreize für eine Entwöhnung von der Beatmung, wo diese möglich ist.



Bundesländer

Weitreichendes Antidiskriminierungsgesetz in Berlin gefordert



Migrationsverbände und weitere Organisationen haben eine rasche Verabschiedung des geplanten Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) in Berlin gefordert. Solch ein Gesetz sei längst überfällig und im Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Senats vereinbart, sagte Eva Maria Andrades vom Antidiskriminierungsverband Deutschland am 10. Dezember in Berlin. Ziel sei ein besserer Schutz für Menschen, die wegen ihrer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Alter, Geschlecht, Behinderung, chronischer Krankheiten oder ihres sozialen Status von Behörden diskriminiert werden.

Das Berliner LADG würde einen höheren Diskriminierungsschutz bieten und über das bereits bestehende bundesweit geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hinausgehen. Berlin wäre damit das erste Bundesland mit solch einem weitreichenden Gesetz.

Während das AGG einen Diskriminierungsschutz vor allem bei der Erwerbstätigkeit und im Privatrechtsverkehr bietet, soll das LADG auch im Kontakt zur Polizei, zu Finanzbeamten, zu Jugendämtern, zur Ausländerbehörde, im Bildungswesen und allen anderen Behörden greifen. Zudem soll die antidiskriminierungsrechtliche Verbandsklage eingeführt und eine Ombudsstelle geschaffen werden.

Ursprünglich sollte das Gesetz bis Ende des Jahres vom Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedet werden und 2020 in Kraft treten. Der Entwurf war von der Fraktion der Grünen ins Parlament eingebracht worden. Zuletzt hatte es an dem Gesetzesvorhaben heftige Kritik gegeben, unter anderem von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der CDU. Sie fürchten einen höheren Verwaltungsaufwand.



Bundesregierung

Gesetzentwurf für bundesweite Wohnungslosenstatistik vorgelegt



Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Einführung einer bundesweit einheitlichen Wohnungslosenstatistik vorgelegt. Darin schreibt sie, dass Wohnungslosigkeit eng mit gravierender Armut und sozialer Ausgrenzung verbunden sei. Die Einschätzungen über die Größe des Problems und die Frage, wer davon betroffen sei, würden jedoch weit auseinandergehen.

Auf Bundesebene und für die meisten Bundesländer liegen den Angaben zufolge keine belastbaren Zahlen vor. Dies soll mit der Statistik geändert werden. Die Berichterstattung soll jährlich zum Stichtag 31. Januar, erstmals für das Jahr 2022, durchgeführt werden.



Bundesregierung

11 von 81 großen Städten führen keinen Mietspiegel



Unter den 81 Kommunen in Deutschland mit mehr als 100.000 Einwohnern führen 11 Städte keinen Mietspiegel. Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht, sind das Bremen, Göttingen, Gütersloh, Hildesheim, Ingolstadt, Kassel, Magdeburg, Saarbrücken, Salzgitter, Wolfsburg und Würzburg. Einen einfachen Mietspiegel wiesen demnach 25 Großstädte, einen qualifizierten Mietspiegel 45 Großstädte auf.

Ein Mietspiegel muss laut Bundesregierung eine Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete für nicht preisgebundene Mietwohnungen enthalten. Im Mietspiegel abgebildet werden sollten die Arten von Mietwohnungen, die in dem Gebiet, für das der Mietspiegel erstellt wurde, häufig vorkommen. Die ortsübliche Vergleichsmiete werde gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gebildet aus den üblichen Entgelten, die für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich energetischer Ausstattung und Beschaffenheit in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde in den letzten vier Jahren vereinbart oder geändert worden sind. Dabei sei der Einfluss dieser im Gesetz genannten Wohnwertmerkmale auf die Miete zu untersuchen und im Mietspiegel darzustellen.

Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben keine genaue Kenntnis darüber, weshalb Mietspiegel in bestimmten Gemeinden erstellt oder nicht erstellt wurden.




sozial-Branche

Jugend

Suizidprävention: "Nur wegen euch bin ich noch hier"




Aktion gegen Suizid (Archivbild)
epd-bild/Jürgen Blume
Mobbing, Zukunftsangst, Depression - junge Menschen erleben Krisen oft als existenziell. Keine Altersgruppe unternimmt so häufig Suizidversuche wie Menschen unter 25 Jahren. In einem Projekt versuchen Gleichaltrige, ihnen zu helfen - per E-Mail.

"Du bist mir wichtig" steht auf ihrem Pullover. Der Satz ist Programm - für Julia und für ihr Ehrenamt. Die 21-jährige Emsländerin hilft in ihrer Freizeit Gleichaltrigen, die sich mit Suizidgedanken beschäftigen. Sie arbeitet in der E-Mail-Beratung "U25". Das Projekt für junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren existiert in Lingen seit zweieinhalb Jahren.

"Ein 15-jähriger Junge hat mir geschrieben, er fühle sich in der Schule so unter Druck, dass er sich die Haare ausreiße und die Hände blutig schlage", erzählt Julia, die Soziale Arbeit studiert. Eine drogenabhängige junge Frau habe ihr berichtet, dass sie aus der Wohngruppe abgehauen sei und jetzt auf der Straße lebe. "Niemand versteht mich. Niemand will mich haben. Wenn ich mich umbringe, interessiert das ja eh keinen." Das sei der Tenor der Hilferufe. "Mir haben auch schon Jugendliche ihre vorbereiteten Abschiedsbriefe geschickt."

Begleitende Supervision ist Vorschrift

Die junge Studentin kann damit umgehen. Vier bis sechs Monate in wöchentlich ein bis zwei Stunden werden die Ehrenamtlichen ausgebildet. Begleitende Supervision ist verpflichtend. "Meine Antwort ist dann: Doch, mich interessieren deine Suizidgedanken. Aber vielleicht probierst du erst eine Beratung oder Therapie. Du hast doch nichts zu verlieren."

Der Standort im Emsland ist der einzige in Niedersachsen. Das erste von bundesweit inzwischen zehn Beratungsbüros in Trägerschaft des Deutschen Caritasverbandes startete 2001 in Freiburg. Der Bedarf wäre durchaus größer, sagt Katrin Warstat, Leiterin der U25-Beratungsstelle Lingen. Es komme oft vor, dass alle jungen Berater ausgebucht seien.

Jugendlichen in Krisensituationen falle es leichter, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen, also "peer to peer", erläutert die hauptamtliche Koordinatorin. Sie hätten die gleiche Sprache und könnten viele Ängste und Nöte nachvollziehen. "Ich kann mich noch gut an meine Riesenkrise vor der Abi-Prüfung erinnern und an meine Unsicherheit über das, was danach kommen sollte", bestätigt Julia.

Jugendliche haben höchste Suizidversuchsrate

Der Übergang in die Erwachsenenphase sei eine sensible Zeit für Jugendliche, sagt Warstat. "Jugendliche bis 25 haben in Deutschland die höchste Suizidversuchsrate." Prüfungsstress, Zukunftsangst, Liebeskummer, eine schwierige Beziehung zu den Eltern, Ärger mit Freunden oder Mobbing könnten schwere Krisen auslösen. Aber auch der Tod eines Angehörigen, Depressionen und psychische Erkrankungen könnten Ursache für Suizidgedanken sein.

Die Hilfesuchenden können über die Internetseite von "U25" ihre Anfragen unter einem fiktiven Namen an einen der zehn Standorte abschicken. Die Koordinatoren wie Katrin Warstat lesen alle Mails und verteilen sie auf die Peer-Berater. Mehr als 200 sind es in ganz Deutschland. Die Berater haben jeweils bis zu einer Woche Zeit, die Mails zu beantworten. Oft entwickelt sich daraus ein längerer Mailwechsel, sagt Warstat: "Das ist so intim wie eine Brieffreundschaft oder ein Tagebuch, das antwortet."

"Suizid nicht ausreden"

Die Berater sollten nicht versuchen, den Hilfesuchenden den Suizid auszureden, sagt Warstat. Viele seien froh, über ihre Krisen und Gedanken offen schreiben zu können - ohne Angst davor, nicht ernst genommen, stigmatisiert oder in die Psychiatrie eingewiesen zu werden. Julia legt deshalb Wertschätzung und Respekt in ihre Antworten. "Immerhin breiten die ihr ganzes Leben vor mir aus."

Die Studentin erinnert sich noch an ihre erste Mailberatung vor zwei Jahren. Sie sei sehr angespannt gewesen. "Ich dachte: Da setzt ein Mensch seine ganze Hoffnung in mich. Was, wenn ich dem nicht gerecht werden kann?" Die Antwort sei ermutigend gewesen: "Man bekommt so viel Dank und Anerkennung zurück." Die beste Bestätigung habe sie auf einem Bundeskongress für Peerberater bekommen. Da habe eine junge Frau öffentlich bekannt: "Nur wegen euch bin ich heute noch hier."

Martina Schwager


Verbände

AWO-Bundesvorsitzender beklagt immensen Imageschaden




Wolfgang Stadler
epd-bild/AWO
Die Vorfälle bei der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt (AWO) ziehen immer weitere Kreise. Der AWO-Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler rügt das Verhalten der lokalen AWO-Führung. Er fürchte zudem einen bundesweiten Imageschaden, sagte er im Interview.

Überhöhte Gehälter, teure Dienstwagen, Verdacht auf Abrechnung nicht erbrachter Leistungen: Die Arbeiterwohlfahrt Frankfurt am Main steht mächtig unter Druck. Jetzt ist der Geschäftsführer Jürgen Richter nach langem Zögern zurückgetreten. Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt erwarte dennoch die "umfassende und transparente Aufklärung" aller im Raum stehenden Vorwürfe, sagte AWO-Bundesvorsitzender Wolfgang Stadler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Stadler, Sie haben dem "Hessischen Rundfunk" gesagt, der Frankfurter Skandal um zu hohe Gehälter und teure Dienstwagen sei in dieser Dimension einzigartig. Haben Sie da nicht die Vorfälle im Kreisverband AWO Müritz übersehen, die noch immer einen Untersuchungsausschuss des Landtages beschäftigen?

Wolfgang Stadler: Nein. Aber die Vorfälle in Müritz hatten eine andere Dimension. Es ging um die Begünstigung Einzelner. Zudem konnten völlige Aufklärung erreicht sowie Schadensersatzforderungen erfolgreich geltend gemacht werden.

epd: Weshalb haben Sie sich als Bundesvorsitzender der AWO mit klaren Forderungen zum Umgang mit den Vorwürfen zu Wort gemeldet und den Verantwortlichen dringend geraten, ihre Ämter ruhen zu lassen? Halten sie die bisherigen Schritte des Kreisverbandes für nicht ausreichend?

Stadler: Der AWO Bundesverband prüft im Fall des Kreisverbands Frankfurt neben der durch den Bezirksverband Hessen-Süd vorzunehmenden Aufsichtsprüfung die zuwendungsrechtlichen Voraussetzungen. Dabei geht es vor allem auch um eine ordnungsgemäße Geschäftsführung. Weil der Geschäftsführer Jürgen Richter und der Kreisvorsitzende Ansgar Dittmann in die Vorwürfe involviert sind, hat sie der Bundesverband aufgefordert, ihre Mandate bis zum Abschluss der Prüf- und Ermittlungsverfahren ruhen lassen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass ausschließlich Personen die Aufklärung betreiben, die nicht mutmaßlich an den Sachverhalten beteiligt waren. Jetzt ist Jürgen Richter zurückgetreten. Wir nehmen diesen Schritt als Konsequenz aus den bisherigen Entwicklungen zur Kenntnis. Seine Prüfung wird der Bundesverband unverändert fortsetzen.

epd: Sie sagten auch, die Vorwürfe in Frankfurt seien von bundesweiter Relevanz. Fürchten Sie gar einen schwer zu reparierenden Imageschaden, der die Arbeit der AWO auf Dauer beschädigt?

Stadler: Der Imageschaden für die AWO, der durch die Vorfälle in Frankfurt entstanden ist, ist immens und geht weit über Frankfurt hinaus. Das ist besonders tragisch für alle engagierten AWO-Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen, die in den bundesweit 480 Kreisverbänden großartige Arbeit leisten.

epd: Die AWO hat seit Jahren einen Governance-Kodex. Warum reicht der offenbar nicht, solche Auswüchse wie jetzt in Frankfurt zu verhindern? Müssen hier noch schärfere Vorgaben her, die auch nachdrücklich kontrolliert werden?

Stadler: Grundsätzlich ist jede AWO-Gliederung eine eigenständige Körperschaft. Seit 2017 gilt bundesweit der AWO-Governance-Kodex, der unter anderem die Trennung von Führung und Aufsicht beinhaltet. Er ist ein starker Schritt zur Schaffung interner Compliance-Richtlinien. Nun befinden wir uns in der Umsetzungs- und Aufsichtsphase. Im Anschluss an die Aufklärung der Vorfälle in Frankfurt müssen wir unser Compliance-Verfahren erweitern und verbessern. Ziel ist es, eine effektive Compliance-Kultur in der Arbeiterwohlfahrt zu integrieren und die Aufsichtsgremien zu stärken.

epd: Wie bewerten Sie das bisherige Verhalten der AWO-Führung auf Kreisebene? Auf deren Homepage findet sich zwischen dem 25. November und 6. Dezember keine einzige Information zu den Vorgängen? Müsste man hier nicht ein anderes, auch offensives Krisenmanagement betreiben?

Stadler: Die bisherigen Maßnahmen der Verantwortlichen im Kreisverband Frankfurt halten wir bislang für nicht ausreichend. Wir fordern eine offene und transparente Aufklärung aller Sachverhalte als auch die strikte Einhaltung unseres AWO-Governance-Kodex.

epd: Erste Rücktritte aufseiten der örtlichen AWO-Führung sind vollzogen. Auch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wird eingeschaltet, um den Skandal aufzuklären. Dennoch halten Sie Fördergelder des Bundesverbandes zurück. Warum?

Stadler: Es stimmt, dass wir die Fördermittel seit einigen Monaten zurückhalten. Eine Weitergabe soll erst nach Sicherstellung der zuwendungsrechtlichen Voraussetzungen, insbesondere der ordnungsgemäßen Geschäftsführung, erfolgen.

epd: Seitens der lokalen Politik werden Forderungen laut, das ganze Geschäftsgebaren der Frankfurter AWO zu durchleuchten? Haben Sie Angst, dass dabei noch mehr Dinge ans Licht kommen, die dann vielleicht auch die Staatsanwaltschaft beschäftigen?

Stadler: Wir unterstützen alle Forderungen nach Aufklärung und sehen hier die oberste Priorität. Die Arbeiterwohlfahrt hat sich an Recht und Gesetz sowie die internen Compliance-Richtlinien zu halten. Medienberichten zufolge ermitteln aktuell sowohl die Stadt Frankfurt als auch die Staatsanwaltschaft die Sachverhalte in Frankfurt. Eine umfassende Aufklärung soll und muss erfolgen!

epd: Im Januar soll die AWO-Führung in Frankfurt ohnehin neu gewählt werden. Kann dann schon ein Schlussstrich unter die ganze Sache gezogen werden?

Stadler: Nein. Ein Schlussstrich kann erst dann gezogen werden, wenn alle Sachverhalte umfassend und transparent aufgeklärt sind.



Behinderung

Mutter mit Handicap




Eine Mutter hält die Hand ihrer Tochter.
epd-bild/Jens Schulze
Begleitete Elternschaft: Wenn Menschen mit einer Behinderung Kinder bekommen wollen, steht ihnen Unterstützung zu. Doch die wird nach Erfahrung von Experten eher selten in Anspruch genommen.

Für Susan Z. hat sich die Frage, ob sie ein Kind will, nicht lange gestellt. "Das war immer mein Wunsch", sagt die 27-Jährige. Vor vier Jahren wurde sie schwanger. Was nicht alle Menschen in ihrem Umfeld so richtig gut und in Ordnung fanden - denn die junge Würzburgerin hat Lernschwierigkeiten. Doch Susan Z. fand Unterstützung. Heute ist sie glückliche Mutter der quirligen Anastasia.

Behinderte mit Kinderwunsch

In Bayern gibt es zu wenig Unterstützung für Behinderte mit Kinderwunsch, sagt Ingrid Pfreimer, Sprecherin im Landesarbeitskreis "Menschen mit Behinderung" von pro familia Bayern. "Die Situation ist in Bezug auf begleitete Elternschaft noch sehr bescheiden", sagt die Beraterin aus Regensburg. Es gebe zwar Elternassistenzen für Menschen mit Körperbehinderung. Bei Menschen mit geistiger Behinderung sei dies jedoch besonders selten, weil Assistentinnen hier eine spezielle Ausbildung benötigen. Und die werde kaum angeboten.

Mit "casa.solln" existiert in München ein Pilotprojekt. Der Verein "Heilpädagogisch-psychotherapeutische Kinder- und Jugendhilfe" unterstützt Mütter mit geistiger Behinderung in einer inklusiven Wohngruppe. Es bräuchte mehr solcher Projekte, sagt Pfreimer: "Eltern mit geistiger Einschränkung sind gegenüber Menschen mit anderen Behinderungen benachteiligt, ihnen wird das am wenigsten zugetraut." So würden Schwangerschaften durch Langzeitverhütung oftmals verhindert - selbst wenn die Frau einen Partner habe.

Susan Z. hatte das Glück, viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden. Das verlangte ihr allerdings die Bereitschaft ab, sich auf unterschiedliche Menschen und Unterstützungssysteme einzulassen. Schon seit längerem wird Susan Z. gesetzlich betreut. In den ersten sechs Monaten nach Anastasias Geburt half ihr eine Familienhebamme. Im Anschluss erhielt die junge Mutter ein halbes Jahr Familienhilfe. Danach zog sie für ein Jahr in ein Mutter-Kind-Haus ein. Seit knapp zwei Jahren lebt Susan Z. mit ihrer Tochter Anastasia alleine.

Schwierige Jobsuche für die Alleinerziehende

Unterstützt wird sie von drei Mitarbeiterinnen der Würzburger Lebenshilfe. Keine dieser Mitarbeiterinnen hat jene Qualifizierung durchlaufen, die Fachkräfte für "Begleitete Elternschaft" haben sollten. Aber Susan Z. braucht auch keine spezielle Hilfe mehr. Sie kommt mit Anastasia weitestgehend alleine klar. Täglich bis 16 Uhr wird das Mädchen in einer Kita betreut, die vor allem von Kindern aus der Mutter-Kind-Wohngruppe besucht wird, in der Z. ein Jahr gelebt hat. "Danach kochen wir zusammen, spielen, singen oder basteln."

Mit Anastasias Vater war Susan Z. nur kurze Zeit liiert. Seit fast zwei Jahren erzieht sie ihr Kind alleine. Für Alleinerziehende gibt es kaum Jobs, berichtet die gelernte Werkerin im Gartenbau. Bis vor wenigen Monaten arbeitete sie als Küchenhilfe in einer Metzgerei eines Supermarkts: "Doch plötzlich wurden die Arbeitszeiten so geändert, dass ich das nicht mehr mit Anastasias Betreuung vereinbaren konnte." Nun sucht sie einen neuen Job. Ihre Assistentinnen von der Lebenshilfe unterstützen sie dabei.

Wie viele Menschen in welchen Regionen Bayerns aktuell Elternassistenz erhalten, ist laut bayerischem Sozialministerium nicht bekannt. "Leistungen der Elternassistenz werden statistisch lediglich allgemein als 'Leistungen der Eingliederungshilfe' erfasst", sagte ein Ministeriumssprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Kampf gegen Vorurteile

Beantragt werden sollte Elternassistenz, noch bevor die Frau in die Klinik geht, um ihr Kind zu entbinden, raten die "Netzwerkfrauen-Bayern", eine Vereinigung von Frauen und Mädchen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung. "Am besten sollte der Antrag sofort bei Entdeckung der Schwangerschaft gestellt werden, weil der Aufwand, Assistenz zu bekommen, ziemlich hoch ist", erläutert Netzwerkfrau Susanne Böhm.

Auch eine schwerstbehinderte Frau könne sich gut um ihren Säugling kümmern, wenn sie dabei unterstützt wird, sagt Susie Kempa von den "Netzwerkfrauen". Die 52-Jährige mit Muskeldystrophie zog mit Elternassistenz zwei inzwischen erwachsene Kinder groß. Sich als Mutter mit Handicap zu behaupten, sei schwierig gewesen. Immer wieder sei sie mit Vorurteilen von Ärzten und Krankenschwestern konfrontiert worden: "Eine Behinderte, glaubt man, gehört versorgt, Sex und Kinderwunsch stehen nicht zur Debatte." Kommt es zu Schwangerschaft, komme schnell das Thema "Abtreibung" auf.

Die junge Generation habe es inzwischen etwas leichter, beobachtet Kempa. Eltern, die heute ein behindertes Kind haben, stehen, anders als vor 20 Jahren, dem Kinderwunsch ihrer Söhne und Töchter oft aufgeschlossen gegenüber. Auch sei es etwas einfacher geworden, Elternassistenz bei den Ämtern durchzusetzen: "Meiner Meinung nach wird dennoch zu wenig Elternassistenz in Anspruch genommen, und zwar aus Angst." So gebe es noch wie vor eine große Angst davor, dass einem das Kind weggenommen wird.

Pat Christ


Schwangerschaft

"Vertrauliche Geburt ist ein sinnvolles Angebot in Notlagen"




Neugeborenes im Alter von acht Wochen
epd-bild/Detlef Heese
Die Möglichkeit einer vertraulichen Geburt ist nach der Überzeugung der diakonischen Schwangerenberaterin Ursula Kunz in vielen Fällen sehr hilfreich. Dieses Angebot gibt es seit fünf Jahren in Deutschland.

Die Diakonie in Karlsruhe hat nach eigenen Angaben mit der Möglichkeit einer vertraulichen Geburt positive Erfahrungen gemacht. Sie sei ein sinnvolles Unterstützungsangebot für Frauen, die ihre Schwangerschaft geheim halten müssten, sagte Ursula Kunz vom Diakonischen Werk Karlsruhe dem Evangelischen Pressedienst (epd). In Karlsruhe haben sechs, bundesweit mehr als 570 Frauen diese Art der Geburt gewählt, bei der sie zunächst anonym bleiben, weil sie das Kind nicht bei sich aufwachsen lassen wollen oder können.

Jeder Fall sei anders. Auch die Frauen seien ganz unterschiedlich, ebenso wie ihr Alter, Familienstatus oder Beruf. Die meisten Schwangeren, die vertraulich entbinden wollen, kommen erst sehr spät zur Beratung, ist die Erfahrung von Ursula Kunz, die in der Schwangerenberatung der Diakonie arbeitet. Erst wenn sie ihre Schwangerschaft nicht mehr verdrängen und verheimlichen könnten und die Geburt näher rückt, suchten sie Hilfe. Zuvor hätten sie sich bereits im Internet oder über das Hilfetelefon Geburt informiert.

Adoptiveltern nehmen das Kind

Ganz wichtig ist es für die Beraterin, Vertrauen zur Schwangeren aufzubauen, die sich in einer seelischen Ausnahmesituation befinde. Zunächst werde ein Pseudonym festgelegt für Ärzte, Hebammen und Behörden. "Die wahre Identität der Frau kennt nur die Beraterin", betonte Kunz. Dazu gehörten auch Fragen nach dem Verlauf der Schwangerschaft und Vorsorgeuntersuchungen. Darüber hinaus informieren die Beraterinnen aber auch über finanzielle Hilfen und die Möglichkeit der Pflegefamilien oder Adoption.

Bei einer vertraulichen Geburt werden Name und Adresse der Mutter beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben hinterlegt. Im Alter von 16 Jahren kann das Kind dort nach seinen leiblichen Eltern fragen. Die Frau könne auch den Namen des Kindes aussuchen.

Nach der vertraulichen Geburt wird das Neugeborene, das immer die deutsche Staatsbürgerschaft hat, sofort zu Adoptiveltern gebracht. Die Mütter werden nach der Geburt weiter begleitet, wenn sie es wünschen, oft jahrelang, so Kunz. Jeder Fall bedeute auch für die Betreuerinnen ein hohes zeitliches und emotionales Engagement. "Ich wünsche mir mehr finanzielle Unterstützung der Beratungsstellen, damit diese auch an Wochenenden besetzt sein können."

Allerdings würden nicht alle Schwangeren in Notlagen erreicht. Sehr ängstliche Frauen, die befürchteten, dass ihre Schwangerschaft irgendwie doch noch herauskommen könnte, würden nach wie vor alleine entbinden. "Die vertrauliche Geburt ist kein Mittel gegen Kinderaussetzung oder Kindstötungen", ist Kunz überzeugt. Daher gibt es in der zweitgrößten Stadt Baden-Württembergs auch weiterhin die Möglichkeit, das Neugeborene anonym in die Babyklappe zu legen. Den letzten Fall gab es im August 2016.

Christine Süß-Demuth


Verbände

Paritätischer: Armut leicht zurückgegangen




Armenspeisung im Kloster Maria Stern
epd-bild/Annette Zoepf
Der aktuelle Armutsbericht des Paritätischen stellt zum ersten Mal seit Jahren einen leichten Rückgang der Armut fest. Die Spaltung zwischen Regionen und Bundesländern vertieft sich aber weiter. Längst verläuft sie nicht mehr zwischen Ost und West.

Die Armut in Deutschland ist laut dem aktuellen Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes leicht zurückgegangen. Der am 12. Dezember in Berlin veröffentlichte Report zeigt zugleich, dass sich das Land weiter aufspaltet. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider, erklärte, die Kluft zwischen den Wohlstandsregionen und abgehängten Gebieten wachse weiter. Auch der Westen sei tief gespalten und weit entfernt von gleichwertigen Lebensbedingungen. Die Linke und die Grünen warfen der Bundesregierung Versagen bei der Armutsbekämpfung vor.

Bayern hat die niedrigste Armutsquote

Die Armutsquote betrug dem Bericht zufolge 2018 im Bundesdurchschnitt 15,5 Prozent, das waren 0,3 Prozentpunkte weniger als 2017. Rechnerisch mussten damit 210.000 Menschen weniger als im Vorjahr unterhalb der Armutsgrenze leben. Die Quote ging dem Bericht zufolge erstmals seit 2014 zurück, lag aber trotz der jahrelang guten Konjunktur fast einen Prozentpunkt höher als vor zehn Jahren.

Die Armutsquoten teilten Deutschland in vier Regionen, heißt es in dem Bericht. Nach wie vor ist der Osten ärmer als der Westen, andererseits gehört das Ruhrgebiet zu den ärmsten Regionen im ganzen Land. Nordrhein-Westfalen ist deshalb die Region mit der höchsten Armutsquote (18,1 Prozent). Es folgen die ostdeutschen Länder mit 17,5 Prozent und ein Nord-West-Gürtel von Schleswig-Holstein bis zum Saarland mit 15,9 Prozent. Bayern und Baden-Württemberg stehen zusammen mit einer Armutsquote von 11,8 Prozent deutlich besser da als der Rest der Republik.

Der Paritätische stützt sich auf den Mikrozensus des Statistischen Bundesamts. Bei der Berechnung der Armutsquoten zählt dem Bericht zufolge jede Person als einkommensarm, die mit ihrem Einkünften unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Eingerechnet wird das gesamte Nettoeinkommen des Haushalts inklusive Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag oder sonstiger Zuwendungen. Die Armutsschwelle für einen Single betrug 2018 beispielsweise 1.035 Euro, für einen Paarhaushalt mit zwei Kindern unter 14 Jahren 2.174 Euro (Alleinerziehende: 1.656 Euro).

Ruhrgebiet ist "Problemregion Nummer 1"

Anders als andere Untersuchungen, die bei der 60-Prozent-Einkommensschwelle die Begriffe "Armutsgefährdung" oder "Armutsrisikoquote" verwenden, spricht der Paritätische Verband ausdrücklich von Armut: "Unterhalb der 60-Prozent-Schwelle herrscht aus Sicht des Paritätischen Armut", hieß es in dem Bericht. Die Bezeichnung "Armutsgefährdung" sei eine Beschönigung, "angesichts der Einkommen, um die es geht und der sich dahinter real verbergenden massiven Armutsprobleme".

Hauptgrund für den bundesweiten Rückgang der Armut ist laut dem Bericht eine positive Entwicklung in den drei bevölkerungsreichen Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern. Auch in sieben weiteren Bundesländern sank die Armutsquote leicht, sie stieg dagegen in Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Thüringen. Die niedrigste Armutsquote hat Bayern mit 11,7 Prozent, die höchste Bremen mit 22,7 Prozent.

Merklich verbessert hat sich die Situation in den vergangenen zehn Jahren im Osten der Republik. Besonders stark hat sich hingegen die Situation in Hessen verschlechtert. Das Land gehörte vor zehn Jahren noch zum wohlhabenden Süden. Heute liegt die Armutsquote mit 15,8 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Das Ruhrgebiet bleibe mit einer Armutsquote von 21,1 Prozent bei fast sechs Millionen Einwohnern die "Problemregion Nummer 1", stellt der Bericht fest.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, nannte es "erschreckend, wie stark die räumliche Polarisierung zugenommen hat". Die Regierung müsse die armen Regionen endlich stärker unterstützen, forderte sie. Die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Amira Mohamed Ali, verwies darauf, dass Haushalte mit niedrigen Einkommen von der guten Konjunktur nicht profitiert hätten. Es sei unerträglich, dass viele Menschen trotz Arbeit in Armut leben müssten, kritisierte sie.

Bettina Markmeyer


Integration

Ein Schwimmbad nur für Muslime




Schwimmer im Hallenbad
epd-bild/Gustavo Alabiso
Wie die Integration von Einwanderern funktioniert, darüber wird vielerorts diskutiert. Ein Frankfurter Muslim meint: Das gelingt nur, wenn ihre eigenen Bedürfnisse befriedigt werden. Deshalb hat er eine Initiative für ein muslimisches Schwimmbad gestartet.

"Muslime wollen sich integrieren", sagt Abdullah Zeran. "Das geht, wenn ihnen Vertrauen entgegengebracht wird - doch häufig fehlt es daran." Der Angestellte aus Frankfurt am Main vermisst, dass die Stadt auf Wünsche konservativer Muslime eingeht. "Man möchte die Bedürfnisse der Muslime nicht wahrhaben", ist sein Eindruck. Konkret geht es dem in Frankfurt als Sohn eines türkischen Gastarbeiters geborenen Muslim um das Schwimmen.

"Frauen und Männer sollen getrennt schwimmen können", fordert Zeran, der nebenbei eine Seifen-Manufaktur betreibt. Die Wochenstunden für Frauenschwimmen an städtischen Schwimmbädern reichten nicht aus. Auch gebe es muslimische Männer, die nur unter Männern schwimmen wollten. Doch vor allem sollten muslimische Frauen getrennt von Frauen anderer Religionsgemeinschaften schwimmen können. Das sei eine Vorschrift der vier Rechtsschulen des sunnitischen Islams.

Andachtsräume fehlen

Aus diesem Grund sei das Frauenschwimmen an städtischen Schwimmbädern keine Lösung, erklärt Zeran. Das Tragen eines körperbedeckenden Burkinis in öffentlichen Schwimmbädern sei nur eine Lösung für liberale Muslime. Männer hingegen dürften mit Männern anderen Glaubens gemeinsam schwimmen. Schließlich vermisst Zeran in Schwimmbädern Räume für geistliche Bedürfnisse. "Es gibt kein Schwimmbad, das einen Andachtsraum anbietet."

Zerans Idee für eine Lösung: ein privates Schwimmbad für Muslime. Er suche ein Grundstück in den Frankfurter Stadtteilen Griesheim und Nied, es sollte eine Größe von 1.000 bis 3.000 Quadratmetern haben. Die sparsame Gebäudevariante wäre ein Stockwerk groß, die großzügige zwei Stockwerke. Das Schwimmbad solle einen Bereich für Nichtschwimmer und einen für Schwimmer haben, ein Planschbecken, dazu eine Sauna, ein Hamam (Dampfbad), Massageräume, einen Aufenthaltsraum für Halal-Catering sowie einen Gebetsraum.

Zunächst muss ein Investor her

Einen Architektenentwurf gibt es nach den Worten von Zeran noch nicht, zuerst müsse er einen finanzkräftigen Investor finden. Das Grundstück würde zwei bis drei Millionen Euro kosten, das Schwimmbad ein bis 100 Millionen Euro, ist der Initiator offen. Als ersten Schritt hat Zeran eine Unternehmergesellschaft ("Ein-Euro-GmbH") zusammen mit einem zweiten Geschäftsführer gegründet. Eine Crowdfunding-Kampagne solle den Anfang machen, der Einstieg eines Investors sei gewünscht. Es solle aber kein ausländischer sein, sagt Zeran.

Der Dialogbeauftragte des türkisch-islamischen Ditib-Verbands, Rafet Öztürk, verneint eine allgemeine islamische Pflicht zur Geschlechtertrennung beim Schwimmen. Manche Muslime bevorzugten eine Geschlechtertrennung und andere nicht, sagt er. Frauen sollten mit ihrer Badekleidung den gesamten Körper bedecken. Dass Frauen nur unter muslimischen Frauen schwimmen sollten, sei eine "salafistische Sondermeinung".

Für den Liberal-Islamischen Bund gebe es keine Geschlechtertrennung, gibt die stellvertretende Vorsitzende Frederike Güler zur Auskunft. Auch beim Propheten Mohammed habe Geschlechtertrennung keine Rolle gespielt. Hinsichtlich des Schwimmens gebe es keine allgemeingültigen Vorschriften für Muslime. Die historische Erkennungs- und Schutzfunktion von Frauenkleidung brauche es heute nicht mehr. Jede Muslimin dürfe sich frei entscheiden, ob und wie sie ihre religiöse Identität zeigen wolle.

Kritik von der SPD

Auf scharfe Kritik stößt die Initiative beim Frankfurter Landtagsabgeordneten und integrationspolitischen Sprecher der hessischen SPD-Fraktion, Turgut Yüksel. "Herr Zeran spaltet mit seinem Vorschlag die Gesellschaft, polarisiert und schadet der Integration", sagt er. Anhänger aller Religionen sollten die demokratischen Werte und Normen, darunter die Gleichberechtigung von Mann und Frau, uneingeschränkt akzeptieren. "Religiös begründete Partikularinteressen- und Forderungen wie eigene Schwimmbäder dürfen dabei keine Geltung erhalten. Um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu garantieren, sollten wir nicht separieren und selektieren", bekräftigt Yüksel.

Die Frauenschwimmangebote in den Stadtteilen Bergen-Enkheim und Fechenheim würden gut angenommen, berichtet der Sprecher des Frankfurter Integrations- und Bildungsdezernats, Jan Pasternack. Dem Dezernat sei aber kein höherer Bedarf bekannt. Grundsätzlich stünden die städtischen Einrichtungen allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion offen. "Wichtig ist die Akzeptanz und Toleranz von allen Seiten." Selbstverständlich stehe es jedem frei, eine private Initiative zu starten.

Jens Bayer-Gimm


Ehrenamt

Dokumemtation

BAGSO: Engagementstrukturen festigen und erweitern




Ehrenamtlicher Klinikclown auf einer Demenzstation
epd-bild/Andrea Enderlein
Die Bundesregierung errichtet eine "Deutsche Stiftung für Ehrenamt und Engagement". Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen begrüßt den Plan. Zwingend sei es, dabei die kommunale Ebene einzubinden, heißt es in einer Stellungnahme des Verbandes.

Die Bundesregierung will eine "Deutsche Stiftung für Ehrenamt und Engagement" (DSEE) ins Leben rufen - und hat dazu im Oktober einen Gesetzentwurf beschlossen. Die Stiftung ist ein zentrales Ergebnis der Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" und soll freiwilliges Engagement sinnvoll und nachhaltig unterstützen. Sitz der Stiftung soll Neustrelitz sein.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) hat zur geplanten Stiftung jüngst eine Stellungnahme verabschiedet. Sie steht unter dem Titel " Engagementstrukturen müssen gefestigt und erweitert werden - überall in Deutschland". epd sozial dokumentiert das Papier:

1. Demokratie erfordert das Engagement aller. Sie organisiert sich als Staat, aber sie lebt wesentlich auch von dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger im täglichen Miteinander und Füreinander. Ohne das bürgerschaftliche Engagement, individuell oder in mancherlei Form organisiert, wäre eine solidarische Gesellschaft nicht möglich und die Lebensqualität in unserem Land geringer.

Millionen Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen sind engagiert und organisieren sich. Sie übernehmen konkrete Funktionen, packen an und tun damit etwas für andere und auch für sich selbst. Sie tun das freiwillig und ohne Lohn, ehrenamtlich. Bei den anstehenden Diskussionen zur Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt müssen sie das berechtigte Gefühl haben, wertgeschätzt zu sein.

2. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement gibt es aber nicht umsonst. Es braucht Anlaufstellen und Menschen, die den Engagierten hauptamtlich zur Seite stehen. Und es braucht unbürokratische Unterstützung, um auch kleinere Projekte realisieren zu können. Es gibt bereits zahlreiche Organisationen und Initiativen, die in diesem Sinne gute Arbeit leisten. Aber sicher sind auch neue Ansätze sinnvoll. Mit Blick auf das Engagement älterer Menschen halten wir es für wichtig:

+ Strukturen zu fördern, die das Engagement Älterer gezielt unterstützen und als wichtige Anlaufstellen fungieren (z.B. Seniorenbüros)

+ Menschen beim Übergang in den Ruhestand und bei der Aufnahme ehrenamtlicher Aktivitäten zu beraten und zu begleiten

+ passgenaue Angebote und flexible Engagementformate für die starke Generation der Babyboomer zu schaffen

+ Chancen der Digitalisierung (z.B. Möglichkeiten der politischen Beteiligung, des Engagements und der Vernetzung vor Ort wie auch neuer niedrigschwelliger Bildungsformate) sichtbar zu machen

+ die Teilhabe von älteren Menschen, die von Armut betroffen sind, einen niedrigen Bildungsabschluss und/oder einen Migrationshintergrund haben, besonders zu fördern

+ das intergenerative Engagement zu fördern und sichtbar zu machen

+ den internationalen Austausch von Seniorenorganisationen und engagierten Älteren zu fördern

3. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung mit der Idee einer Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) neue Impulse setzen will. Es kommt darauf an, im konstruktiven Miteinander staatlicher und zivilgesellschaftlicher Initiativen zeitgemäße Formen dafür zu finden. Wir sind sicher, dass dabei die kommunale Ebene unbedingt einbezogen werden sollte.

Zentrale Aufgabe der DSEE muss es sein, als Förderstiftung das Engagement vor Ort durch die Bereitstellung finanzieller Mittel zu ermöglichen. Wir weisen noch einmal ausdrücklich auf die Notwendigkeit hin (auch im Sinne des Siebten Altenberichts der Bundesregierung, Nov. 2016), die kommunale Ebene zu stärken und dort Mitverantwortung im Sinne von Teilhabe und Teilnahme zu ermöglichen.

Was sich bewährt hat, muss nachhaltig gesichert werden. In vielen Kommunen gibt es Angebote von Vereinen und Verbänden, deren Finanzierung oder Ko-Finanzierung durch die Kommunen gefährdet oder bereits weggebrochen ist. Gutes Neues muss möglich sein.

Von großer praktischer Bedeutung wird aus unserer Sicht sein, auch Förderungen mit Klein- und Kleinstbeträgen zu ermöglichen. Dabei müssen Antragstellung und Verwendungsnachweis für die Akteure vor Ort möglichst unbürokratisch sein.

Eine Zusammenarbeit der DSEE mit den gewachsenen und bewährten Strukturen der Engagementförderung halten wir im Sinne des Subsidiaritätsgedankens für zwingend. Die Seniorenorganisationen müssen angemessen eingebunden werden.



Gesundheit

Medizinischer Dienst verzeichnet Zunahme von Demenz-Diagnosen



Die Zahl der Demenz-Diagnosen steigt weiter an. Das geht aus neuen Daten hervor, die der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDS) am 5. Dezember in Berlin vorgestellt hat. 2018 hätten die MDS-Gutachter bei über einem Drittel der Versicherten (35,2 Prozent), die erstmals einen Pflegegrad erhalten haben, erhebliche Beeinträchtigungen der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten festgestellt, hieß es. Das waren 320.000 Versicherte, rund 28.000 mehr als 2017.

Bei den Erstantragstellern, die ambulant versorgt wurden, betrug der Anteil der Menschen mit Demenz ein Drittel (33,2 Prozent). Bei den in der stationären Pflege befindlichen Menschen beziehungsweise bei denjenigen, die in ein Pflegeheim umzogen, betrug der Anteil der Demenzpatienten fast zwei Drittel (62,3 Prozent). Demenz und andere gerontopsychiatrische Krankheiten sind demnach die häufigsten Ursachen für den Umzug ins Pflegeheim. "Der Anteil der Heimbewohner mit Demenz liegt inzwischen bei rund 70 Prozent", sagte Geschäftsführer Peter Pick.

"Deutlich besser aufgestellt"

Die Daten finden sich in der überarbeiteten Grundsatzstellungnahme "Menschen mit Demenz - Begleitung, Pflege und Therapie". Darin fasst der MDS die aktuellen fachlichen Standards für die medizinische und pflegerische Versorgung von Menschen mit Demenz zusammen. Der Praxisleitfaden solle Pflegekräfte und alle weiteren Akteuren im Versorgungsalltag beraten und unterstützen, hieß es.

Pick sagte weiter, die umfassende Versorgung von Menschen mit Demenz sei eine zentrale gesundheits- und pflegepolitische Aufgabe. Das Wissen über eine gute Versorgung habe sich erweitert und viele Modelle hätten ihre Praxistauglichkeit gezeigt. "Das medizinische und pflegerische Versorgungssystem hat sich in den vergangenen Jahren deutlich besser aufgestellt. Aber es gilt, die Erfolge zu verbreitern und den Zugang zu der Welt der Menschen mit Demenz zu vertiefen", sagte Pick.

Menschen mit Demenz benötigten häufig mehrere Versorgungsangebote parallel. Demenz müsse deshalb "sektorenübergreifend" gedacht werden, hieß es. Wichtig sei die Koordination und Kooperation in der Diagnostik, Therapie und Pflege. Darauf müssten sich die Pflegeeinrichtungen noch stärker ausrichten. Und: Nicht-medikamentöse Verfahren wie das Training kognitiver Funktionen und von Alltagsaktivitäten sowie die körperlichen Aktivierung sollten "stärker in der Therapie und Begleitung von Menschen mit Demenz verankert werden".



Bundesländer

Wohlfahrt Bremen: Entgeltverhandlungen mit Kassen gescheitert



Die Wohlfahrtsverbände in Bremen haben die Verhandlungen mit den Krankenkassen zur Refinanzierung der gestiegenen Gehälter in der ambulanten Pflege als gescheitert erklärt. Gleichzeitig riefen die Verbände zu einem Schiedsverfahren auf. Ohne zusätzliches Geld, insbesondere für die ab dem 1. Januar 2020 deutlich angehobenen Tariflöhne der Beschäftigten, sei die ambulante Versorgung in Bremen und Bremerhaven in akuter Gefahr, sagte der Vorstandssprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Arnold Knigge, am 10. Dezember.

"Wir bedauern es zutiefst, dass die Krankenkassen bislang nicht bereit waren, die entstehenden Kosten der häuslichen Behandlungspflege auskömmlich zu finanzieren", unterstrich Knigge: "Schon heute arbeiten Pflegedienste am wirtschaftlichen Limit, vielfach schon darunter."

Knigge zufolge haben die Wohlfahrtsverbände mit der Gewerkschaft ver.di Tarifsteigerungen von bis zu acht Prozent ausgehandelt, um die Arbeit in der Pflege attraktiver zu machen. Doch die Verhandlungen mit den Krankenkassen in den vergangenen Wochen seien enttäuschend gewesen. Zuletzt hätten sie lediglich 4,76 Prozent angeboten. Um die steigenden Löhne und Kosten zu decken, seien jedoch mindestens 6,8 Prozent nötig.

In der Landesarbeitsgemeinschaft sind die Arbeiterwohlfahrt, der Caritasverband, der Paritätische, das Deutsche Rote Kreuz, das Diakonische Werk sowie die Jüdische Gemeinde zusammengeschlossenen. Als Arbeitgeber beschäftigen sie zusammen rund 30.000 Menschen im Land Bremen.



Gehälter

Münchner Diakonie-Beschäftigte erhalten höhere Zulage



Viele Beschäftigte der Diakonie im Großraum München bekommen im nächsten Jahr mehr Geld. Die Diakonie reagiere damit auf eine Zulagen-Erhöhung der Stadt München, teilte die Arbeitsrechtliche Kommission (ARK) am 6. Dezember in Nürnberg mit. Die für das kirchlich-diakonische Arbeitsrecht zuständige Kommission habe die bisherige allgemeine Zulage von 75 Euro auf 135 Euro erhöht und eine "erhöhte Ballungsraumzulage" von weiteren 135 Euro beschlossen.

Für die Beschäftigten würden weitere Zulagen von bis zu 50 Euro im Monat pro Kind dazu kommen. Auch für Auszubildende, Praktikanten und Praktikantinnen wurde die Zulage erhöht, sie erhalten zukünftig 60 Euro mehr im Monat.

Die Stadt München habe im Sommer die Ballungsraumzulage für ihre Angestellten verdoppelt, heißt es in der Mitteilung der ARK. Diese Entscheidung sei neben München auch für die Landkreise Dachau, Ebersberg und Fürstenfeldbruck gültig. Die Diakonie sei der erste Verband, der den Schritt der Stadt München für die eigenen Beschäftigten nachvollziehe.

Die Beschäftigten in Kindergärten, Kindertagesstätten sowie anderen Einrichtungen mit kommunaler Förderung profitieren bereits ab dem nächsten Monat von der Erhöhung, hieß es. Die Mitarbeitenden in der stationären Pflege, der stationären Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfe sollen spätestens ab Juli 2020 in den Genuss der angehobenen "allgemeinen Ballungsraumzulage". kommen.

Für die Mitarbeitenden in Einrichtungen, die vom Bund, dem Land oder der Kirche bezuschusst werden, müssten noch Verhandlungen über die Refinanzierung von erhöhten Personalkostenzulagen stattfinden. Sie könnten die Zulagen wohl erst ab 2021 erhalten, teilte die ARK weiter mit.




sozial-Recht

Landessozialgericht

Sozialamt muss Bestattung nach Fehlgeburt nicht bezahlen




Kindergräberfeld auf dem Karlsruher Hauptfriedhof
epd-bild/Gustavo Alabiso
Eine Fehl- oder Totgeburt eines Kindes gehört sicher zu den schlimmsten Ereignissen, die einer Frau zustoßen können. Wenn dann auch noch darüber gestritten wird, wer die Bestattungskosten zu tragen hat, wird der Schicksalsschlag um so härter.

Ein Recht mittelloser Eltern auf Bestattung ihres fehl- oder totgeborenen Kindes führt noch nicht zu einem Anspruch auf Erstattung der Bestattungskosten durch das Sozialamt. Nur wenn eine landesgesetzliche Regelung ausdrücklich die Bestattungspflicht der Eltern festlegt, komme eine Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger infrage, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem am 5. Dezember veröffentlichten Urteil. Bei Fehl- und Totgeburten seien vielmehr die Kliniken zur Kostenübernahme der Bestattung verpflichtet, erklärten die Essener Richter mit Verweis auf die Vorschriften in Nordrhein-Westfalen.

Unterschiedliche Regelungen in den Ländern

Ein Kind gilt als Totgeburt, wenn es mindestens 500 Gramm wiegt und im Mutterleib oder während der Geburt starb. Totgeburten müssen standesamtlich registriert werden. Frauen wird zudem Mutterschutz gewährt, so dass sie bis acht Wochen nach der Geburt nicht arbeiten müssen.

Eine Fehlgeburt liegt dagegen vor, wenn das unter 500 Gramm wiegende Kind vor der 24. Schwangerschaftswoche totgeboren wird. Mutterschutz wird dann für die Frauen nicht gewährt, sie können jedoch unter Umständen krankgeschrieben werden.

Die einzelnen Bundesländer haben für Fehl- und Totgeburten, den sogenannten Sternenkindern, unterschiedliche Bestattungsregeln festgelegt. In mehreren Ländern wie Bayern, Hessen oder auch Niedersachsen haben Eltern die Bestattungspflicht, wenn das Kind totgeboren wurde und ein Geburtsgewicht von mindestens 500 Gramm hatte. Berlin sieht dagegen eine Pflicht erst ab einem Geburtsgewicht von 1.000 Gramm vor.

Bestattungspflicht der Klinik

In jedem Fall haben die Eltern sowohl bei Tot- als auch bei Fehlgeburten zumindest ab der zwölften Schwangerschaftswoche ein Bestattungsrecht. Nehmen sie dieses nicht in Anspruch, ist häufig die Klinik, in der das Kind geboren wurde, zur Bestattung verpflichtet.

Im Streit ging es um ein im Hartz-IV-Bezug befindliches muslimisches Paar, bei der die Frau in der 21. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erlitten hatte. Das Paar nahm sein in NRW gewährtes Bestattungsrecht bei Fehlgeburten in Anspruch und ließ ihre Tochter in einem Reihengrab für muslimische Verstorbene bestatten. Die Kosten für Kindersarg, Überführung, Tücher und Gebühren in Höhe von 1.567 Euro machte es beim Sozialamt geltend.

Es verwies auf die sozialhilferechtlichen Vorschriften. Danach werden die erforderlichen Bestattungskosten übernommen, "soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen".

"Würdige Bedingungen"

Das Sozialamt lehnte den Antrag ab. Das Paar habe zwar in NRW bei einer Fehlgeburt ein Bestattungsrecht, aber keine Bestattungspflicht. Vielmehr habe hier die Klinik die Pflicht, "unter würdigen Bedingungen" Tot- und Fehlgeburten zu sammeln und diese zu bestatten.

Dem folgte auch das LSG in seinem Urteil. Weder ergebe sich aus erb- und unterhaltsrechtlichen noch aus öffentlich-rechtlichen Bestattungspflichten ein Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten. So sei die Tochter als Fehlgeburt nie rechtsfähig geworden. Es gebe damit auch keine Erben, die zur Übernahme der Bestattungskosten verpflichtet gewesen wären. Dies sei nur bei einer späteren Lebendgeburt der Fall.

Doch auch nach den NRW-Bestattungsregelungen seien die Kläger nicht zur Bestattung der Fehlgeburt verpflichtet gewesen. Dies sei vielmehr die Klinikeinrichtung, in der das Kind geboren wurde. Nur weil die Eltern ihr Bestattungsrecht in Anspruch nehmen, gehe damit nicht auch die Bestattungspflicht auf sie über.

Sammelbestattung ist die Regel

Ohne eine Bestattungspflicht lasse sich ein Leistungsanspruch gegen den Staat aber nicht ableiten, urteilte das LSG. NRW habe zudem durch die Bestattungs- und Kostentragungspflicht durch den Einrichtungsträger "eine Bestattung unter würdigen Bedingungen ohne Kostenlast für die Eltern ermöglicht". 85 bis 90 Prozent der betroffenen - auch muslimischen - Eltern würden zudem die Sammelbestattung in Anspruch nehmen.

Bei der Sammelbestattung der Fehl- und Totgeburten in der maßgeblichen Klinik hätte zudem auch ein muslimischer Geistlicher anwesend sein und muslimische Riten berücksichtigt werden können.

Das LSG ließ die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zu. Normalerweise sei das BSG als Bundesgericht zwar zur Prüfung einzelner landesrechtlicher Bestattungsregelungen nicht zuständig. Da sich aber in allen Bundesländern die Frage eines Anspruchs auf Übernahme der Bestattungskosten bei Fehlgeburten stellt, sei hier die Revision möglich.

Az.: L 20 SO 219/16

Frank Leth


Bundessozialgericht

Keine Arbeitslosengeld-Kürzung nach nicht gemeldetem Umzug



Arbeitslose in einer geförderten Umschulungsmaßnahme müssen nicht ständig für Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur bereitstehen. Haben sie etwa vergessen, der Behörde einen Wohnortwechsel mitzuteilen, darf diese wegen dieses Versäumnisses nicht gleich das Arbeitslosengeld I streichen, urteilte am 10. Dezember das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen müssen Arbeitslose der Arbeitsagentur für Vermittlungsbemühungen "zeit- und ortsnah" zur Verfügung stehen. Anderenfalls droht die Streichung des Arbeitslosengeldes I.

Im Streitfall hatte der Kläger ab September 2014 an einer von der Arbeitsagentur geförderten Umschulungsmaßnahme zum Kfz-Mechatroniker teilgenommen. Während der Weiterbildungsmaßnahme erhielt er Arbeitslosengeld I. Als er knapp ein Jahr später von Schweich an der Mosel nach Trier umzog, teilte er den Wohnortwechsel der Arbeitsagentur nicht mit.

8.750 Euro zurückgefordert

Die Behörde erfuhr erst über den Weiterbildungsträger die neue Adresse des Arbeitslosen. Da der Mann wegen des nicht mitgeteilten Umzuges acht Monate für Vermittlungsbemühungen nicht zur Verfügung stand, forderte sie das in dieser Zeit gezahlte Arbeitslosengeld I sowie die gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zurück, insgesamt rund 8.750 Euro.

Doch das BSG urteilte, dass der Arbeitslose nichts zurückzahlen muss. Grundsätzlich müssten zwar Erwerbslose für Vermittlungsbemühungen zeit- und ortsnah zur Verfügung stehen. Hier habe der Arbeitslose jedoch an einer geförderten Weitbildungsmaßnahme teilgenommen. Eine ständige Kommunikation zwischen Arbeitsagentur und Arbeitslosen zur Vermittlung in den Arbeitsmarkt sei während der Weiterbildung gar nicht erforderlich. Schließlich solle der Arbeitslose erst einmal die Umschulungsmaßnahme erfolgreich abschließen, entschied das BSG. Außerdem habe die Behörde über den Bildungsträger leicht Kontakt zu ihm aufnehmen können.

Az.: B 11 AL 4/19 R



Bundessozialgericht

Keine abschlagsfreie Rente mit 62



Versicherte, die vorzeitig in Rente gehen, dürfen sich zur Vermeidung von Rentenabschlägen nicht die für sie günstigsten Fristenregelungen herauspicken. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in zwei am 11. Dezember verkündeten Urteilen entschieden.

In den beiden Streitfällen hatten die Kläger mit ihrem Arbeitgeber eine Altersteilzeitvereinbarung getroffen. Nach dem Ende der Freistellungsphase gingen sie im Alter von 62 Jahren vorzeitig in Rente. Da die Kläger nicht bis zu dem für sie geltenden regulären Renteneintrittsalter von 65 Jahren gewartet haben, ermittelte die Deutsche Rentenversicherung Rheinland für 36 Monate einen Rentenabschlag.

Als der Gesetzgeber jedoch zum Juli 2014 für besonders langjährig Versicherte ab dem 63. Lebensjahr eine abschlagsfreie Rente einführte, wollten die Kläger davon auch profitieren. Sie hätten die Voraussetzung von 45 Beitragsjahren erfüllt. Sie seien nur nicht mit 63, sondern schon mit 62 Jahren vorzeitig in Rente gegangen. Die Berechnung ihrer Rentenabschläge müsse sich daher auf das 63. Lebensjahr und nicht auf das 65. Lebensjahr beziehen.

Das BSG urteilte jedoch, dass die Kläger nicht die für sie günstigeren Fristen der Rente für besonders langjährige Versicherte beanspruchen können. Sie hätten sich für eine reguläre Altersrente für langjährige Versicherte und für die damit einhergehenden Rentenabschläge entschieden. Dies verstoße wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Az.: B 13 R 7/19 R und B 13 6/19 R



Bundesarbeitsgericht

Entgeltfortzahlung bei erneuter Krankheit eingeschränkt



Arbeitsunfähige Beschäftigte, bei denen eine neue Krankheit eintritt, können von ihrem Arbeitgeber keine weitere Entgeltfortzahlung verlangen. Nur wenn die erste Arbeitsunfähigkeit beim Auftreten der neuen Erkrankung schon beendet war, kann ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstehen, urteilte am 11. Dezember das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen muss das Unternehmen für krankgeschriebene Beschäftigte bis zu sechs Wochen den regulären Lohn weiterbezahlen. Dauert der Ausfall länger an, springt die gesetzliche Krankenkasse mit der Zahlung von Krankengeld ein. Das Krankengeld beträgt 70 Prozent des Bruttoverdienstes, aber nicht mehr als 90 Prozent des Nettoeinkommens.

Im jetzt vom BAG entschiedenen Fall ging es um eine angestellte Pflegefachkraft in einem diakonischen Heim. Die Frau war wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig. Als die Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers nach sechs Wochen auslief, zahlte die Krankenkasse wegen Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit Krankengeld.

Entgeltfortzahlung oder Krankengeld

Wegen einer seit längerem geplanten gynäkologischen Operation wurde die Frau ebenfalls krankgeschrieben. Ihre Frauenärztin stellte ihr eine "Erstbescheinigung" für diese Arbeitsunfähigkeit aus. Die Krankenkasse meinte, dass damit der Arbeitgeber wieder sechs Wochen zur Entgeltfortzahlung verpflichtet sei, und verweigerte die Krankengeldzahlung.

Der Arbeitgeber lehnte die Zahlung ab, weil die psychische Erkrankung der Frau auch weiterhin fortbestehe und der sich daraus ergebende Anspruch auf Entgeltfortzahlung ausgelaufen sei.

Das BAG urteilte nun, dass der Arbeitgeber nicht bezahlen muss. Für einen erneuten Anspruch auf Entgeltfortzahlung müsse die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung beendet werden. Schließe sich eine Folgeerkrankung in engem zeitlichen Zusammenhang an, müsse der Arbeitnehmer beweisen, dass die Arbeitsunfähigkeit wegen der Ersterkrankung geendet hat. Dieser Nachweis sei der Klägerin aber nicht gelungen, befand das Gericht. Die Klägerin hat nun noch die Möglichkeit, das nicht erhaltene Krankengeld von ihrer Krankenkasse einzufordern.

Az.: 5 AZR 505/18



Bundesgerichtshof

Gutachter muss im Betreuungsverfahren freien Willen prüfen



Bei der Einrichtung einer Betreuung für eine psychisch kranke Person muss die mangelnde Fähigkeit des Betroffenen zur freien Willensbildung belegt sein. Wenn ein Gutachter nicht ausdrücklich festgestellt hat, dass der psychisch Kranke keinen freien Willen bilden kann, ist das Betreuungsverfahren fehlerhaft und muss wiederholt werden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 5. Dezember veröffentlichten Beschluss. Die Karlsruher Richter betonten zudem, dass im Betreuungsverfahren grundsätzlich ein Verfahrenspfleger dem Betroffenen zur Seite stehen muss.

Im entschiedenen Rechtsstreit war die Verlängerung einer Betreuung für den psychisch kranken Mann aus dem Raum Jever im Streit. Bei dem Mann wurde eine paranoid-querulatorische Persönlichkeitsstörung festgestellt. Für alle wesentlichen Lebensbereiche wurde eine Betreuung angeordnet.

Leben in verwahrlostem Zustand

Das Landgericht hatte die Betreuung unter anderem damit begründet, dass der Mann in seinem von Zwangsversteigerung bedrohten landwirtschaftlichen Hof ohne Strom und Wasser in verwahrlostem Zustand lebt. Da der Betroffene seinen Willen nicht unbeeinflusst von seiner Erkrankung bilden könne, könne die Betreuung auch gegen seinen Willen fortgeführt werden. Ein Gutachter hatte zudem "Realitätsbezugsstörungen" festgestellt und erklärt: "Wir sehen die Fortführung der Betreuung auch gegen seinen Willen als gerechtfertigt an."

Doch dieses Vorgehen ist fehlerhaft und verletzt den Mann in seinen Rechten, entschied der BGH. Nach dem Gesetz dürfe gegen den freien Willen eines Erwachsenen kein Betreuer bestellt werden. Daher müsse in einem Betreuungsverfahren immer auch ein Gutachten belegen, dass wegen der Erkrankung kein freier Wille gebildet werden könne. Die fehlende Willensbildung sei hier aber nicht ausdrücklich festgestellt worden.

Auch habe es das Landgericht fehlerhaft unterlassen, einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Dies sei aber erforderlich, wenn eine Betreuung in den wesentlichen Lebensbereichen infrage kommt. Das Verfahren wurde an das Landgericht Oldenburg daher zurückverwiesen.

Az.: XII ZB 144/19



Landessozialgericht

Monatliche Umsatzbeteiligung führt zu mehr Elterngeld



Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat die Rechte von Müttern gestärkt, die neben ihrem Angestelltengehalt von ihrem Unternehmen monatliche Umsatzbeteiligungen erhalten. Weil es sich dabei um einen laufenden Arbeitslohn handele, müssten diese bei der Bemessung des Elterngeldes berücksichtigt werden, entschied das Gericht in Celle. Das Urteil wurde am 9. Dezember bekanntmacht.

Klägerin war eine angestellte Zahnärztin aus dem Umland von Bremen. Sie erhielt von ihrem Arbeitsgeber eine Grundvergütung von 3.500 Euro pro Monat sowie Umsatzbeteiligungen, die zwischen 140 und 2.300 Euro im Monat schwankten. Nach der Geburt ihres Kindes beantragte sie Elterngeld bei der Stadt Bremen.

Die Behörde ließ dabei die Umsatzbeteiligungen unberücksichtigt. Diese würden steuerlich als "sonstige Bezüge" behandelt und erhöhten das Elterngeld somit nicht, argumentierte sie. Als laufende Bezüge könnten sie auch deshalb nicht betrachtet werden, da sie nur gezahlt würden, wenn sie bestimmte Mindestbeträge überschritten.

Dem widersprach nun das Gericht. Die Beteiligungen würden nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen jeweils für einen Monat berechnet und seien damit ähnlich der Vergütung von Überstunden als laufender Arbeitslohn zu bewerten. Entscheidend seien auch nicht die Einzelheiten der Berechnung, sondern allein der Zahlungszeitraum. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls ließ das Landessozialgericht eine Revision beim Bundesarbeitsgericht zu.

Az.: L 2 EG 7/19



Verwaltungsgerichtshof

Schutz für Afghanen: Verwaltungsgerichtshof ruft EuGH an



Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat sich an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gewandt zur Klärung der Voraussetzungen für subsidiären Schutz für Flüchtlinge. Dabei gehe es um zwei Fälle von Personen aus Afghanistan, die nicht als Asylbewerber anerkannt worden seien und zurück müssten in die Provinz Nangarhar, wie das Gericht in Mannheim am 9. Dezember mitteilte. Dort würden jedoch seit Jahren viele Zivilisten bei unberechenbaren Kampfhandlungen getötet.

Der Verwaltungsgerichtshof möchte vom EuGH nun wissen, unter welchen Bedingungen die Flüchtlinge sogenannten subsidiären Schutz in Anspruch nehmen können. Bislang lege die deutsche Rechtsprechung in solchen Fällen Opferzahlen in den betroffenen Regionen zugrunde, die einen bestimmten Schwellenwert erreicht haben müssten. Dies sei in der Region Nangarhar nicht der Fall.

Unbeachtet blieben dabei andere Umstände wie die Natur des Konflikts, wie verbreitet die Gefahr für Leib und Leben sei oder auch die Zahl der bereits Vertriebenen, erläuterten die Mannheimer Richter den Klärungsbedarf. Nach welchen Kriterien zu entscheiden sei, ob nach den EU-weiten rechtlichen Vorgaben eine relevante Bedrohung der Zivilbevölkerung herrsche, die wiederum subsidiären Schutz rechtfertige, müsse der EuGH festlegen.

Az.: A 11 S 2374/19, A 11 S 2375/19



Landgericht

Werbeverbot für Abtreibungen: Hänel erneut zu Geldstrafe verurteilt




Allgemeinärztin Kristina Hänel im Landgericht Gießen
epd-bild/Salome Rössler
Das juristische Tauziehen um die Auslegung des Werbeverbots für Abtreibungen geht weiter. Nach einer erneuten Niederlage vor Gericht will die Ärztin Hänel vor die nächste Instanz ziehen. Am Ende könnte das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Wegen Verstoßes gegen das Werbeverbot für Abtreibungen ist die Gießener Ärztin Kristina Hänel erneut verurteilt worden. Das Landgericht Gießen verwarf am 12. Dezember Hänels Berufung, milderte das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts aber ab und verurteilte sie zu einer Geldstrafe von 2.500 Euro. Die Medizinerin kündigte anschließend an, Revision beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt einzulegen.

Die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze äußerte in der Urteilsbegründung Bedenken gegen den reformierten Paragrafen 219a. Die Reform sei nicht gelungen, sie sei im "Schnellstrickverfahren" entstanden und widersprüchlich. Hänels Anwalt hatte zuvor in seinem Plädoyer gefordert, den Fall dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.

Bundestag lockerte Paragraf

Hänel war im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Das Landgericht verhandelte bereits zum zweiten Mal über den Fall: Vor gut einem Jahr hatte es das Amtsgerichtsurteil gegen Hänel bestätigt. Die Ärztin legte daraufhin Revision beim OLG Frankfurt ein. Dieses verwies im Frühjahr die Auseinandersetzung um den Strafrechtsparagrafen 219a an das Landgericht zurück, weil seit einer Gesetzesänderung eine neue Fassung gilt.

Nach bundesweiten Protesten und einer langen politischen Debatte hatte der Bundestag im Februar eine Lockerung des Paragrafen 219a beschlossen: Ärzte dürfen nun darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, aber weiterhin nicht darüber, welche Methoden sie anwenden. Der neu formulierte Paragraf 219a verbietet Werbung für Abtreibungen aus finanziellem Eigeninteresse oder "in grob anstößiger Weise".

Die Frage gehöre vor ein "oberstes Gericht", sagte Hänels Anwalt Karlheinz Merkel. Es liefen in Deutschland aufgrund dieses Paragrafen mehr als 100 Ermittlungsverfahren. Es gebe eine "aufgeladene, ideologische Sicht auf die Dinge", sagte der Anwalt.

Anfragen aus ganz Deutschland

Das Gericht begutachtete die Informationen, die Hänel im Jahr 2015, als sie angezeigt wurde, auf ihrer Internetseite zur Verfügung gestellt hatte. Sie habe den Frauen eine medizinische Aufklärung ermöglichen wollen, "damit sie sich vorbereiten können", erklärte Hänel. Auch derzeit informiert sie auf der Internetseite ihrer Praxis ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche. "Ich habe nicht vor, die Informationen von meiner Homepage zu nehmen", sagte Hänel vor Gericht. Bereits mehrfach hat sie betont, bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen zu wollen.

In ihrem Schlusswort schilderte Hänel den Fall einer 30-jährigen Frau, die sich an sie gewendet hat. Sie sei 22 Jahre lang Opfer von sexueller Gewalt und Folter und fünfmal schwanger gewesen. Im Internet fand sie bei Frauenärzten keine Informationen und stieß bei der Suche nur auf sogenannte "Babycaust"-Seiten radikaler Abtreibungsgegner. "Die Verhinderung von Informationen ist eine Gefahr für Leib und Leben der Frau", sagte Hänel. Sie bekomme Anfragen aus ganz Deutschland, weil Frauen anderswo die Informationen nicht erhielten.

Vor Prozessbeginn hielten rund 80 Unterstützer Hänels eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude ab. Sie trugen Plakate mit Aufschriften wie "219a nicht zeitgemäß" und "Frauenrechte sind Menschenrechte" bei sich.

Az.: 4 Ns - 406 Js 15031/15




sozial-Köpfe

Verbände

Carsten Tag ist neuer Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen




Carsten Tag
epd-bild/Diakonie Hessen/Arno F. Kehrer
Pfarrer Carsten Tag (55) führt künftig die Diakonie Hessen. Der evangelische Dekan aus Rodgau ist vom Aufsichtsrat des Wohlfahrtsverbandes zum Vorstandsvorsitzenden ernannt worden.

Carsten Tag tritt das Amt des Vorstandsvorsitzenden der Diakonie Hessen voraussichtlich Anfang März nächsten Jahres an. Bis dahin führen weiterhin die beiden Vorstandsmitglieder Wilfried Knapp und Harald Clausen die Geschäfte. Die Position des Verbandsvorsitzenden war nach dem Ausscheiden von Pfarrer Horst Rühl im Oktober 2018 vakant gewesen.

"Es ist mir ein Herzensanliegen, dazu beizutragen, die Stimme der Diakonie zu stärken, um unsere Gesellschaft menschenwürdig zu gestalten und die Nähe Gottes für Menschen in Not und Bedrängnis erfahrbar und spürbar werden zu lassen", sagte Tag zu seiner Berufung. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Diakonie Hessen, Pfarrer Joachim Bertelmann, sprach dem Dekan das "vollste Vertrauen" aus, "die Weiterentwicklung der Diakonie Hessen federführend positiv zu gestalten".

Der in Gladbeck geborene Tag machte den Angaben zufolge Zivildienst in einer Sonderschule für geistig behinderte Kinder und Jugendliche und studierte evangelische Theologie in Frankfurt und Heidelberg. Das Vikariat leistete er in der St. Petersgemeinde in Frankfurt, ein halbjähriges Spezialvikariat absolvierte er in der Suchtkrankenberatungsstelle des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt.

Ab 1998 arbeitete Carsten Tag in Hofheim als Leiter der Fachstelle für Suchtprävention des Main-Taunus-Kreises beim Verein "Jugendhilfe & Jugendberatung". Von 2000 bis 2003 war er als Gemeindepfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Nieder-Weisel in Butzbach tätig. Seit Anfang 2008 ist Carsten Tag Dekan im Evangelischen Dekanat Rodgau. Daneben ist er auch Gemeinde- und Organisationsberater sowie Gestalttherapeut. Zudem ist er Ehrenritter der Johanniter.

Die Diakonie Hessen ist 2013 aus der Fusion des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau und des Diakonischen Werks in Kurhessen-Waldeck hervorgegangen. Der Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege ist in Hessen, Rheinland-Pfalz und im thüringischen Schmalkalden tätig.

Als Träger diakonischer Arbeit beschäftigt die Diakonie Hessen knapp 1.700 Mitarbeiter, dazu kommen 664 Freiwillige in einem Sozialen Jahr oder Bundesfreiwilligendienst. Als Mitgliederverband gehören der Diakonie Hessen zurzeit 446 Rechtsträger an. Die Diakonie Hessen und ihre Mitglieder beschäftigen zusammen rund 42.000 Mitarbeitende und erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2018 einen Gesamtumsatz von knapp zwei Milliarden Euro.



Weitere Personalien



Gertrud Stöcker, acht Jahre lang Vizepräsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), ist mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet worden. Bundespräsident Walter Steinmeier übergab den Orden bei einer Feierstunde im Schloss am Tag des Ehrenamtes. Stöcker wurde für ihren mehr als 30-jährigen Einsatz für die Aufwertung des Pflegeberufes insbesondere im Bereich der Pflegebildung ausgezeichnet. Sie war bis 2016 langjähriges Mitglied des DBfK-Bundesvorstandes. Zudem ist sie Gründungsmitglied und Ehrenpräsidentin des Deutschen Pflegerates und Gründungsmitglied sowie in mehreren Amtsperioden auch Vorsitzende des Deutschen Bildungsrates für Pflegeberufe. 1999 wurde sie mit dem Verdienstkreuz am Bande geehrt.

Bernhard Petry (55) wird verantwortlicher Vorstand für Bildung beim diakonischen Träger Diakoneo. Der Aufsichtsrat berief den Pfarrer in das Amt. Derzeit leitet Petry die Evangelische Schulstiftung in Bayern. "Seine vielfältigen Qualifikationen passen hervorragend in unseren Vorstand, der damit auch wieder komplett ist", sagte Mathias Hartmann, Vorstandsvorsitzender von Diakoneo. Vor seinem Wechsel zur Schulstiftung war Petry unter anderem Leiter der Diakonischen Akademie Rummelsberg. Als Vorstand Bildung ist er bei Diakoneo für über 30 Schulen verantwortlich, die von mehr als 4.000 Schülerinnen und Schülern besucht werden. Diakoneo ist mit rund 10.000 Mitarbeitenden in den Geschäftsfeldern Bildung, Gesundheit und Dienste für Menschen das größte diakonische Unternehmen in Süddeutschland.

Bettina Wulff (46), Deutschlands ehemalige First Lady, arbeitet hauptamtlich für den "Notruf Mirjam", der Schwangere und Mütter in Notsituationen unterstützt. Als PR-Expertin soll sie über die sozialen Netzwerke neue Kommunikationswege zu den betroffenen Frauen aufbauen. Träger des Projekts ist der diakonische Landesverein für Innere Mission Hannover. Wulff ist bereits seit 2013 ehrenamtlich für das Projekt tätig. Die hauptamtliche Stelle mit einem Umfang von zehn Wochenstunden hat sie im November angetreten. Der "Notruf Mirjam" bietet in den Regionen Hannover, Göttingen und Bremen-Weser-Ems drei Telefon-Hotlines für werdende Mütter und Frauen in Notsituationen, die das ganze Jahr kostenlos rund um die Uhr erreichbar sind. "Notruf Mirjam" hat nach den Angaben seit seiner Gründung im Jahr 2001 durch die ehemalige evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann bereits mehreren Tausend Frauen geholfen.

Andrea Asch, frühere nordrhein-westfälische Grünen-Politikerin, ist als neues Mitglied in den Vorstand des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO) gewählt worden. Sie tritt ihr Amt am 1. März an. Asch wird neben Diakonie-Direktorin Barbara Eschen das Diakonische Werk leiten und als eine von zwei hauptamtlichen Vorständen die Themen der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik in die Landespolitik Berlins und Brandenburgs hinein vertreten, teilte das Werk mit. Die 60-Jährige ist diplomierte Psychologin und derzeit als Bereichsleiterin eines Trägers von Kindertagesstätten in Köln tätig. Von 2005 bis 2017 war sie Grünen-Abgeordnete im Landtag Nordrhein-Westfalens und vornehmlich in der Sozial- und Jugendpolitik tätig.

David Matrai (39) ist bei der Gewerkschaft ver.di im Bundesverband ab sofort für den Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen zuständig. Er löst Joachim Lüddecke (60) ab. Bildung, Wissenschaft und Forschung wird von Ulrike Schilling (39) geleitet. Sie tritt in die Fußstapfen von Brigitte Schütt (64). Mit Schütt und Lüddecke verabschieden sich zwei Führungspersonen, die mit Gründung von ver.di vor 17 Jahren diese beiden Fachbereiche aufgebaut und entwickelt haben.

Manfred Bockhorst ist nach etwas mehr als 20 Jahren in den Ruhestand verabschiedet worden. Es sei das Verdienst des Referenten für Altenhilfe des Landes-Caritasverbandes für Oldenburg, dass sich die Einrichtungen derzeit in einer wirtschaftlich stabilen Lage befänden, sagte Caritasvorstand Martin Pohlmann. Vor seiner Verbandstätigkeit war Bockhorst 13 Jahre als Verwaltungsleiter des Vechtaer Hedwigstiftes tätig. Weitere berufliche Stationen des gelernten Kaufmanns waren das Krankenhaus Dinklage sowie die Sozialstation Dinklage-Steinfeld-Mühlen.

Günther Jesumann, Kommunikationsfachmann, ist zum Unabhängigen Beauftragten beim Sozialministerium Schleswig-Holstein für Menschen berufen worden, die in Heimen Unrecht erlitten haben. Er wurde von Sozialminister Heiner Garg (FDP) berufen und wird ab Januar neben der Anlauf- und Beratungsstelle unabhängiger Ansprechpartner für Betroffene in Schleswig-Holstein sein. Jesumann wird ehrenamtlich tätig und eine Aufwandsentschädigung erhalten.

Ingo Rebmann übernimmt zum 1. Januar die Leitung der Klinik Augustinum München. Er ist Diplom-Psychologe und hat einen Master in Healthcare Management. In den vergangenen sechs Jahren war er für eine private Klinikgruppe in verschiedenen Führungspositionen tätig. Angela Benne, langjährige Verwaltungsdirektorin und seit 2017 Geschäftsführerin der Augustinum Klinik, gibt ihre Funktion aus persönlichen Gründen zum Jahresende auf.

Jörn Wessel ist für die beiden kommenden Jahre zum ersten Vorsitzenden der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft (HKG) gewählt worden. Er übernimmt das Amt im Januar. Wessel ist langjähriges Mitglied im Vorstand der HKG und vertritt bislang als Vorsitzender den Verband der FREIEN. Im Hauptamt ist er Geschäftsführer des Agaplesion Diakonie Klinikums Hamburg. Zweiter Vorsitzender wird Joachim Gemmel. Er war in der endenden Amtsperiode erster Vorsitzender der Dachorganisation der Kliniken. Gemmel ist im Hauptamt Sprecher der Geschäftsführung der Asklepios Kliniken Hamburg GmbH.

Tanja Legenbauer hat den Christina Barz-Forschungspreis für ihre Arbeiten im Bereich der Behandlung von Essstörungen erhalten. Sie forscht als Professorin in der LWL-Universitätsklinik Hamm. Der Preis ist mit 30.000 Euro dotiert und wurde ihr auf dem europaweit größten Fachkongress für psychische Gesundheit in Berlin übergeben. Legenbauer ist seit 2014 Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Mit ihren Forschungsarbeiten trägt sie zu einem besseren Verständnis von Essstörungen und somit zur Verbesserung der Behandlung bei.

Brita Bartels und Sandra Hille werden auch in den kommenden acht Jahren als Seelsorgerinnen am Universitätsklinikum Greifswald arbeiten. Die evangelischen Pastorinnen wurden mit einem Gottesdienst in ihr Amt eingeführt. Zudem wurde der frisch renovierte "Raum der Stille" der Klinik wieder eingeweiht. Bartels und Hille waren an der Uniklinik bereits zuvor als Krankenhausseelsorgerinnen tätig.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Februar



Januar

13.1. Moritzburg:

Seminar "Kommunikation mit 'schwierigen" Angehörigen'"

der Diakonischen Akademie für Fort- und Weiterbildung

Tel.: 030/82097-117

15.1. Köln:

Seminar "Interkulturelle Kompetenz. Vorurteilsbewusstheit in Zusammenarbeit mit Kindern und Familien"

des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln

Tel.: 0221/2010-284

20.-21.1. Wennigsen:

Fortbildung "Umgang mit Trauma-Folgen: Traumaspezifische Handlungskompetenz in der psychosozialen Arbeit"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

21.1. Berlin:

Tagung "Gesundheit und Wohlbefinden von Männern im digitalen Zeitalter"

der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin

Tel.: 0511/3881189-0

21.1. Moritzburg:

Seminar "Gewalt in der Pflege"

der Diakonischen Akademie für Fort- und Weiterbildung

Tel.: 035207/843-50

23.-25.1. Kassel:

Christlicher Gesundheitskongress "Du bist es wert - Menschen. Würde. Achten"

des Vereins Christen im Gesundheitswesen

Tel.: 04104/91709-34

28.1. Berlin:

Seminar "Chancen- und Risikomanagement in Einrichtungen der Sozialwirtschaft"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356-160

29.1. Berlin:

Seminar: "Umsetzung Bundesteilhabegesetz: Wirksamkeit plausibel machen - aber wie?"

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-0

29.1. Moritzburg:

Seminar "Mitarbeiterjahresgespräch als Führungsinstrument"

der Diakonischen Akademie für Fort- und Weiterbildung

Tel.: 035207/843-50

Februar

4.2. München

Symposium "Kassensturz in der Pflege"

des Kuratoriums Wohnen im Alter gAG

Tel.: 089/66558-565

12.-14.2. Tutzing

Tagung "Die Rentenpolitik vor Zukunftsentscheidungen"

der Evangelischen Akademie Tutzing

Tel.: 08158/251-128