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Armut

Studie: Ausgrenzung macht Langzeitarbeitslose zu Nichtwählern




Jobcenter Berlin-Neukölln
epd-bild/Jürgen Blume
Hartz-IV-Bezieher fühlen sich laut einer Studie gesellschaftlich so stark ausgegrenzt, dass sie sich dem politischen System verweigern. Dies zeige sich auch darin, dass viele Langzeitarbeitslose nicht wählen gingen.

Langzeitarbeitslose sind einer Studie zufolge häufig Nichtwähler, weil sie sich vom politischen System missachtet fühlen. Durch nicht eingehaltene Wahlversprechen und eine fehlende Berücksichtigung eigener politischer Interessen hätten Langzeitarbeitslose das Vertrauen in die Politik verloren, geht aus einer am 11. September in Nürnberg vorgestellten Untersuchung hervor. "Es ist eine Totalverweigerung gegenüber dem politischen System, das die Menschen in dieser Lage belässt", sagte der Studienleiter und Professor für Soziologie an der Universität St. Gallen, Franz Schultheis.

In der qualitativen Studie des Evangelischen Fachverbandes für Arbeit und soziale Integration (EFAS) und des Diakonischen Werkes Bayern mit dem Titel "Unerhört! Langzeitarbeitlose Nichtwähler melden sich zu Wort" wurden Interviews analysiert, die Langzeitarbeitslose mit 70 anderen Langzeitarbeitslosen unter wissenschaftlicher Begleitung geführt haben. Die Forscher kommen darin zu dem Ergebnis, dass sich die Befragten so stark sozial, ökonomisch, kulturell und politisch ausgeschlossen fühlen, dass sie sich nicht mehr an politischen Wahlen beteiligen wollten. Der Soziologe Schultheis sprach sogar von einer "Totalverweigerung gegenüber dem politischen System".

"Keine menschenwürdige Existenz"

Als Ursache nennen die Forscher die aus ihrer Sicht zu niedrigen Hartz-IV-Sätze. "Das, was man das Existenzminimum nennt, erlaubt in Wirklichkeit keine menschenwürdige Existenz", kritisierte Schultheis. Nach Ansicht des Soziologen ist unter den Bedingungen ist Hartz-IVBeziehern gesellschaftliche nicht möglich. "Menschen werden nicht integriert, sondern in Wirklichkeit sozial verwaltet und ausgegrenzt - mit allen Folgen für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt."

Der Präsident der Diakonie Bayern, Michael Bammessel, nannte die Studie ein Alarmsignal und sagte, mit den Hartz-IV-Reformen sei das Gegenteil dessen erreicht, was eigentlich intendiert gewesen sei: "Menschen sollten aktiviert werden. Statt dessen fühlen sich aber erschreckend viele Menschen durch die Regelungen gegängelt, missachtet und ihrer Chancen beraubt." Der bayerische Diakoniechef befürchtet, dass Unfrieden und Risse in der Gesellschaft größer werden. Die Folgen träfen wiederum die Schwächeren in der Gesellschaft.

In der Studie stellten die Forscher auch fest, dass die befragten Langzeitarbeitslosen politisches und soziales Engagement schätzen und direktdemokratische Elemente gutheißen. Als politisches System mit einer sozial gerechten Gesellschaft lobten die Teilnehmer demnach die "Bonner Republik", also die Bundesrepublik Deutschland nach ihrer Gründung 1949 und vor der Wiedervereinigung 1989. Die heutige Gesellschaft nähmen die Befragten hingegen als gespalten und ungerecht wahr.

Patricia Averesch