sozial-Branche

Kirchen

Gastbeitrag

Wie die Bevölkerung die Diakonie sieht




Petra-Angela Ahrens
epd-bild/SI der EKD
Das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD fragt in größeren zeitlichen Abständen danach, wie die Bevölkerung den evangelischen Wohlfahrtsverband sieht. Kennt sie ihn überhaupt, und schätzt sie ihn? Die jüngsten Studienergebnisse präsentiert Petra-Angela Ahrens in ihrem Gastbeitrag.

Seit Herbst 2016 forscht das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in empirischen Studien zur Wahrnehmung der Diakonie. Die Studie verbindet zwei unterschiedliche Perspektiven in den Ansichten der Bevölkerung. Zum ersten werden durch Vergleiche mit zwei Vorgängerbefragungen aus den Jahren 2001 und 2005 Trends in der Bekanntheit und dem Image der großen Wohlfahrtsorganisation sichtbar. Zum zweiten befasst sich die Studie erstmals mit der Ankopplung der Arbeit von Diakonie und Kirche an die sozialen Themen und an Probleme, die in der Bevölkerung virulent sind.

Das Image hat gelitten

In bisherigen kirchen- und religionssoziologischen Untersuchungen stand die Intensität der (subjektiven) Religiosität und - damit verbunden - die Relevanz religiöser Themen oder religiöser Kommunikation im Zentrum des Interesses. Dabei wird durchgehend ein Bedeutungsverlust der christlich-religiösen Orientierungen in unserer Gesellschaft diagnostiziert. Zugleich haben aber die Erwartungen der Bevölkerung - auch der konfessionell nicht gebundenen - an ein soziales Engagement der Kirche im Allgemeinen höchsten Stellenwert. Das legt die Frage nahe, inwieweit Kirche und Diakonie daran anknüpfen können.

Die aktuelle Studie basiert auf einer telefonischen Repräsentativbefragung der Bevölkerung in Deutschland ab 14 Jahren mit 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Ergebnisse zu Bekanntheit und Image der Diakonie wurden 2018 publiziert. Die Auswertung zur Relevanz sozialer Themen und ihrer Verbindung zur Wahrnehmung diakonischen beziehungsweise kirchlichen Handelns ist gerade erschienen.

Für die Diakonie ergibt sich - wie bei fast allen der insgesamt 19 nachgefragten Hilfsorganisationen, darunter auch die sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege - ein "doppelter Negativeffekt", wenn es um die Bekanntheit und das Image in der Bevölkerung geht: Noch stärker als der Bekanntheitsgrad ist die zugesprochene Unterstützungswürdigkeit zurückgegangen.

Gute Noten für Qualität der Leistungen

Die Ergebnisse lassen auf einen gesellschaftlichen Negativtrend in der Wahrnehmung der unterschiedlichen Organisationen schließen. Dazu könnten auch strukturelle Veränderungen in der Landschaft gemeinnütziger Organisationen beitragen, die sich aus der seit 1995 anhaltenden Zunahme von Vereinen - das ist die häufigste Rechtsform - mit unterschiedlichsten inhaltlichen und räumlichen (häufig auch lokalen) Bezügen ergeben.

Ebenfalls, aber weniger stark gesunken ist der gesellschaftliche Stellenwert, den die Diakonie aus Sicht der Befragten hat: Ihr Ansehen und ihre Wichtigkeit werden geringer als in den Vorgängerbefragungen bewertet. Allerdings überwiegt 2016 noch deutlich die Anerkennung, auch unter Konfessionslosen.

Besondere Relevanz für das Selbstverständnis der Diakonie als soziale Dienstleisterin, deren Handeln zugleich Wesensäußerung der evangelischen Kirche und damit Ausdruck ihrer christlichen Fundierung ist, hat Folgendes: Sie erhält gute Noten für die Qualität ihrer Leistungen. Die Bedeutung des christlichen Hintergrunds ihrer Arbeit wird jedoch geringer als früher veranschlagt.

Auch ihre Wahrnehmung als Anwältin von Hilfebedürftigen hat deutlich nachgelassen, von 73 Prozent auf 59 Prozent. Darüber hinaus sprechen sich weniger Befragte als in den Vorgängerbefragungen dafür aus, dass die kirchlich Beschäftigten den christlichen Hintergrund der Diakonie zu erkennen geben sollen (2001: 53 Prozent, 2016: 41 Prozent). Dies ist vor allem bei den Konfessionslosen der Fall (2001: 41 Prozent, 2016: 20 Prozent), deren Anteil im Zeitvergleich der Befragungen stark gestiegen ist: von 22 auf 35 Prozent.

Vor allem als Pflegedienst bekannt

Im Unterschied zu religiösen Themen oder gar zur religiösen Kommunikation haben soziale Themen in der Bevölkerung eine hohe Bedeutung, und sie sind bei den meisten über Gespräche mit anderen in das eigene Alltagsleben eingebunden: 76 Prozent nennen von sich aus soziale Themen, die ihnen "besonders wichtig" sind, und sie sprechen darüber nicht nur mit der Familie oder mit Freunden, sondern auch mit Kollegen, Nachbarn oder Zufallsbekanntschaften. Soziale Themen könnten sich damit für Diakonie und Kirche als aussichtsreicher Anknüpfungspunkt für eine stärkere Präsenz ihres Wirkens erweisen. Dies darf jedoch nicht im Sinne einer Alternative missverstanden werden. Es sind nämlich zugleich die Kirchenzugehörigen, und unter ihnen die kirchlich-religiös Hochidentifizierten, die sozialen Themen die größte Relevanz einräumen.

Am häufigsten werden die Themen Armut (23 Prozent), Flüchtlinge/Migration/Integration (18 Prozent) und Unterstützung für Bedürftige (elf Prozent) angegeben. Das gesellschaftlich drängende Problem der Pflege erreicht den zehnten Platz in der Rangfolge (sieben Prozent) und genießt damit keine besondere Priorität. Demgegenüber wird die Diakonie in spontanen Assoziationen zuallererst als Pflegedienst (63 Prozent) gesehen.

Zur Frage, inwieweit sich Diakonie und Kirche um die den Befragten jeweils wichtigen sozialen Themen kümmern, schneidet die Diakonie besser ab. An erster Stelle wird ihr für den Bereich der Pflege ein starkes Engagement attestiert (54 Prozent). Einen ähnlich hohen Wert erreichen die Unterstützung für Bedürftige und soziale Hilfen (jeweils 53 Prozent). Im Hinblick auf das Thema Armut, dem die Befragten den höchsten Stellenwert beimessen, ist das erheblich seltener der Fall (39 Prozent); entsprechendes gilt für die Flüchtlingsthematik (36 Prozent).

Genauere Analysen zeigen, dass die Relevanz sozialer Themen und die Bewertung des Engagements von Diakonie und Kirche an die traditional geprägte Religiosität gebunden sind: Kirchenzugehörigkeit, vor allem aber eine stärkere religiös-kirchliche (Ein-)Bindung der Kirchenmitglieder tragen in hohem Maß zu einer intensiveren Kommunikation und Präsenz des Engagements von Diakonie und Kirche im sozialen Themenfeld bei.

Fazit: Gerade für die Diakonie scheint ein Ansetzen bei sozialen Themen aussichtsreich, wenn es gelingt, die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung für die unterschiedlichen Bereiche diakonischen Handelns zu stärken. Derzeit wird die Diakonie vor allem anderen als Pflegedienst wahrgenommen, was wohl nicht zuletzt auf die Entwicklung des sozialen Dienstleistungsmarktes seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 zurückgeführt werden kann, in dem sich die Diakonie erfolgreich behauptet hat. Zugleich muss aber damit gerechnet werden, dass sich die anhaltend nachlassende religiös-kirchliche Bindung der Bevölkerung bemerkbar machen wird, da die Wahrnehmung diakonischen Handelns an die traditional geprägte Religiosität gekoppelt ist.

Oberkirchenrätin Petra-Angela Ahrens, Soziologin, ist wissenschaftliche Referentin für empirische Kirchen- und Religionssoziologie im Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD.