Ausgabe 17/2018 - 27.04.2018
Berlin, Bremen (epd). Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist es bei der Erteilung von Asylanerkennungen möglicherweise zu einem schweren Fall von Korruption gekommen. Die Bundesregierung bestätigte am 20. April in Berlin Ermittlungen gegen eine Bremer Beamtin. Über den Fall hatten als erste der NDR, Radio Bremen und die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kündigte eine unabhängige Untersuchungskommission an.
"Die Kommission könnte ein hoher ehemaliger Richter oder der Bundesrechnungshof leiten", sagte Seehofer der am 22. April erschienenen "Bild am Sonntag". Die Kommission solle klären, ob es organisatorische Mängel durch das Fehlverhalten Einzelner gebe. Der Fall in Bremen müsse von Polizei und Justiz aufgeklärt werden.
"Aber es ist Sache der Bundesregierung, bei den Asylverfahren für Recht und Ordnung zu sorgen, so dass mögliche Fehler in der Gegenwart und Zukunft nicht passieren", sagte Seehofer. Kommunalpolitiker könnten sich in Zukunft bei Ungereimtheiten in Asylverfahren auch direkt an ihn wenden, so der Minister.
Nach jüngsten Informationen sollen in der Bremer Außenstelle des Bundesamts zwischen 2013 und 2017 bis zu 2.000 Asylanträge ohne rechtliche Grundlage positiv beschieden worden sein. Politiker von SPD, Grünen und AfD forderten Aufklärung. Das Bundesamt für Migration war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte in Berlin, das Bundesamt für Migration habe gegen die leitende Mitarbeiterin selbst Strafanzeige erstattet. Das Amt arbeite eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen. Die Beamtin sei von ihren Dienstpflichten entbunden worden. Weitere Einzelheiten wollte die Sprecherin unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen zunächst nicht nennen.
Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von "erheblichen Verdachtsmomenten". Zunächst müsse man die Ermittlungen der Justiz abwarten. Über mögliche politische Konsequenzen könne erst danach gesprochen werden.
Nach Angaben der Bremer Staatsanwaltschaft geht es um "den Vorwurf der bandenmäßigen Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragsstellung sowie um Bestechung und Bestechlichkeit". Ermittelt werde gegen die Beamtin, drei Rechtsanwälte aus Bremen, Oldenburg und Hildesheim und einen Dolmetscher, mit denen die Frau offenbar zusammengearbeitet habe, erläuterte eine Sprecherin. Die Ermittlungen liefen bereits seit längerem. Verhaftungen habe es noch nicht gegeben.
Der Sprecherin zufolge wurden acht Objekte in Bremen und Niedersachsen durchsucht, darunter auch zwei Rechtsanwaltskanzleien. Die Bremer Beamtin habe offenbar mit drei Anwälten zusammengearbeitet, die ihr systematisch Asylsuchende zugeführt hätten. Dabei seien die Asylsuchenden, meist Jesiden, nicht aus Bremen gekommen, sondern aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die Jesiden sind eine kurdische religiöse Minderheit, die vor allem im nördlichen Irak und in Nordsyrien lebt.
Die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge war nach Informationen der Bremer Staatsanwaltschaft formal für die Asylsuchenden gar nicht zuständig. Die Leiterin habe in Eigenregie entschieden und die Anträge durchgewunken, hieß es.
Noch sei nicht klar, ob und wie die Beamtin oder die Anwälte mit der Sache Geld verdient hätten. Die ehemalige Mitarbeiterin soll zumindest Zuwendungen, etwa in Form von Restaurant-Einladungen, erhalten haben.
SPD und Grüne forderten von der Bundesregierung Aufklärung. Die Glaubwürdigkeit von Asylentscheidungen gerate durch die schlechte interne Organisation des Bundesamts in Misskredit, kritisierte die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Luise Amtsberg. Demgegenüber erklärte die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag, Alice Weidel, es müsse überprüft werden, ob es auch woanders Fälle wie in Bremen gäbe. Die Asylanträge müssten neu geprüft werden. Wer dann womöglich ausreisepflichtig sei, müsse sofort ausgewiesen werden.
Unterdessen meldete sich auch der Zentralrat der Jesiden zu Wort. Dessen Vorsitzender Irfan Ortac wies die Anschuldigungen gegen Jesiden zurück. Die in Medien aufgestellte Behauptung, Jesiden seien von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen nach Bremen gebracht worden, um leichter anerkannt zu werden, sei nicht plausibel, sagte er am 23. April in Bielefeld dem Evangelischen Pressedienst (epd).
In den vergangenen Jahren hätten Jesiden aus Syrien generell in Deutschland einen asylrechtlichen Schutz erhalten: "Insofern kann bei Jesiden aus Syrien eine manipulative Asylentscheidung kaum stattgefunden haben." Weder Asylbewerber noch die Außenstellen des Bundesamtes könnten durch den Ort der Antragstellung den künftigen Wohnort beeinflussen, sagte Ortac. Dafür seien die zentralen Ausländerbehörden der Bundesländer zuständig.