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Gegen Bares wieder Jungfrau




Chirurgische Instrumente in einem Krankenhaus.
epd-bild / Heike Lyding
Eine Hochzeitsnacht ohne Blut auf dem Laken kann auch in Deutschland Frauen in allergrößte Probleme stürzen. Manche lassen deshalb gegen Cash vorher beim Arzt das Jungfernhäutchen rekonstruieren. Folgen eines patriarchalischen Ehrbegriffs.

Um in der Hochzeitsnacht ein blutiges Laken präsentieren zu können, legen sich weltweit Frauen unters Messer. Mit der Angst vor Strafen im Namen der Familienehre sind auch in Deutschland Geschäftsmodelle entstanden: Angeboten werden teure chirurgische Eingriffe oder künstliche Jungfernhäutchen mit Rinderblut aus dem Online-Shop. Ärzte stellen die Anfragen nach den OPs vor ein moralisches Dilemma: Sie helfen Frauen in akuter Not, Jungfräulichkeit vorzutäuschen - sie unterstützen damit aber auch ein System, das Frauen erst in diese Lage bringt.

Sie nennen sich Samira, Hatice oder Nurcan und schreiben von ihrer Hochzeitsnacht: "Ihr habt mir mein Leben gerettet." Ihr Dank geht an einen Online-Shop namens Virginia Care aus Recklinghausen. Neutral verpackt verschickt dieser künstliche Hymen, also eine Jungfernhäutchen-Täuschung zum Preis von 53,50 Euro.

Hymen aus Zellulose

Die Hymen bestehen aus Zellulose mit Rinderblut in zwei Farbtönen. Frauen führen sie vor dem Sex "wie einen Tampon" ein - durch Reibung und Körperflüssigkeiten lösen sie sich auf. "Hierdurch sind Rückstände am Penis und Bettlaken zu sehen, die das Ergebnis hervorbringen, deine Jungfräulichkeit im gewünschten Moment zu bestätigen", steht in der Gebrauchsanweisung.

Wannisa Srikanjanasuan gründete die Firma vor zehn Jahren, verkauft monatlich 200 Häutchen - vor allem an Frauen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es geht um Blut "im entscheidenden Moment". Blut, das Jungfräulichkeit beweisen soll. Es soll Frauen vor Sanktionen durch ihre Familien bewahren, sagt die Geschäftsführerin.

Ein Markt für Rekonstruktionen ist da

In Deutschland gibt es auch einen Markt für eine operative "Hymen-Rekonstruktion" mit Angeboten wie diesem aus einer Münchner Schönheitsklinik: "Es geht darum, die eigene Familie in der Hochzeitsnacht nicht zu blamieren" - für 2.400 Euro. Bis zu 4.000 Euro nehmen plastische Chirurgen. Die Angebote richten sich unverblümt an Mädchen aus "muslimischen Ländern oder Südeuropa", die ihre Jungfräulichkeit in der Hochzeitsnacht beweisen müssen.

Gynäkologen nehmen zwischen 100 und 700 Euro, die Krankenkassen zahlen die OP nicht. "Es ist ja medizinisch auch nicht notwendig", sagt Myria Böhmecke von der Frauenorganisation Terre des Femmes. Eine Hochzeitsnacht ohne Blut kann in Kulturen mit einem patriarchalen Ehrbegriff dazu führen, dass die Ehe annulliert, die Tochter verstoßen, als Hure verschrien wird.

Ehre und Schicksal hängen dabei an elastischem Gewebe, das - medizinisch unstrittig - längst nicht immer beim ersten Geschlechtsverkehr blutet. Anatomisch ist das logisch: Das Hymen ist keine durchgehende Haut, sondern eine Art Kranz und manchmal kaum vorhanden. "Blut als Beweis für Jungfräulichkeit ist ein Mythos", sagt Böhmecke. Allerdings müssten Ärzte Frauen in Not auch helfen können - auch wenn sie dafür eine Jungfräulichkeit simulieren, "deren Mythos Frauen überhaupt erst in die Gefahrenlage bringt". Ein ethischer Spagat.

Bundesweite Zahlen fehlen

Bundesweite Zahlen über die OPs gibt es nicht - und auch keine Qualitätskontrollen. Manche Gynäkologen machen sie, um Frauen vor ihrer Familie zu schützen. Öffentlich machen sie das fast nie, ihre Adressen werden in Foren weitergereicht und sind auch in manchen Frauenberatungsstellen bekannt. Hier kommen immer wieder entsprechende Anfragen von Frauen.

Ins Familienplanungszentrum Balance in Berlin, wo der Eingriff vorgenommen werden kann, kommen etwa 30 Frauen im Jahr mit dem Wunsch nach einer Jungfräulichkeits-OP. "Nach der Beratung entscheidet sich aber nur ein Drittel dafür", sagt Diana Craciun vom Berliner Zentrum.

Auch nach einer OP ist nicht garantiert, dass Frauen bluten. Das zeigt eine klinische Studie aus Amsterdam und wird in den Beratungen stets betont. "Manche wollen die OP auch nicht aus kulturellen Gründen, sondern um nach traumatischen Erlebnissen neu anzufangen." Auch das zeige, mit welchen Bedeutungen das Jungfernhäutchen aufgeladen sei.

Miriam Bunjes

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