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Erwerbslosigkeit

Experten: Arbeitslosigkeit macht auf Dauer krank



Fördern und Fordern funktioniert am Arbeitsmarkt nicht immer. Langzeitarbeitslose brauchen oft dauerhaft Unterstützung, um einer Arbeit nachzugehen. Darauf verweisen Sozialverbände und fordern einen "sozialen Arbeitsmarkt".

Stuttgart, Lahr (epd). Der Fachverband Arbeitslosenhilfe der Diakonie Württemberg fordert einen „sozialen Arbeitsmarkt“ für Langzeitarbeitslose. Der Grund dafür ist, dass bereits zum Ende vergangenen Jahres 20 Prozent der Maßnahmen zur Arbeitslosenhilfe beendet wurden. Weitere Streichungen werden befürchtet, denn nach den Aussagen im Sondierungspapier von Union und SPD steht auch das Bürgergeld auf der Kippe und soll durch eine neue Form der Grundsicherung ersetzt werden. „Ein sozialer Arbeitsmarkt wäre sozialer und ehrlicher“, sagt Holger Fuhrmann vom Fachverband Arbeitslosenhilfe.

Nach seinen Vorstellungen sollten geförderte Arbeitsgelegenheiten nicht mehr befristet laufen, erläutert er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vielmehr sollten sie auf Dauer, etwa in diakonischer Trägerschaft, angelegt sein. Mögliche Stellen sieht Fuhrmann bei Second-Hand-Kaufhäusern, im Umweltschutz oder der Grünpflege. Etwa ein Drittel der Beschäftigten in Ein-Euro-Jobs schaffe den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt nicht. Hier sei ein geschützter Rahmen gefordert, um „Leistungsminderungen“ dieser Menschen aufzufangen.

Vielfältige Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit

Formal fällt unter Langzeitarbeitslosigkeit jeder, der länger als zwölf Monate ohne Arbeit war und Unterstützung vom Staat erhält. Wer sechs Jahre am Stück ohne Arbeit war, sei trotz Förderung nicht in den ersten Arbeitsmarkt integrierbar, weiß der Experte: „Das sind Leute, die mit diesen Jobangeboten nichts anfangen können.“ Die Gründe seien vielfältig. Sie reichen von dauerhaften gesundheitlichen und psychischen Einschränkungen über ein höheres Alter - ab 50 Jahren - bis zu sozialen und persönlichen Problemlagen wie Suchterkrankungen oder Überschuldung.

Nähmen Betroffene unter Druck eine Arbeit auf, überstünden sie oft die Probezeit nicht, so die Erfahrung. Bereits nach einem halben Jahr hätten viele verlernt, sich in die Arbeitswelt einzufinden, betont Djahan Salar, Geschäftsführer des Sozialunternehmens „Neue Arbeit Lahr“ im badischen Ortenaukreis. Es falle dann schwer, regelmäßig zur Arbeit zu gehen, mit Kollegen oder Vorgesetzten zu kommunizieren, sich Arbeitsabläufe zu merken.

Die Beschäftigungsgesellschaft wurde 1984 vom Caritasverband Lahr und der Evangelischen Kirchengemeinde Lahr als gemeinnützige Hilfe für Arbeitslose gegründet. Sie bietet Arbeitsgelegenheiten als Maler, Maurer oder in Speditionen für Langzeitarbeitslose und Migranten. Außerdem setzt sie auf Berufsvorbereitung in Schulen.

Falsche Vorstellungen von Berufen

Beim Übergang von der Schule in den Beruf spricht der Fachmann von einer „systematischen Desillusionierung“ der Jugendlichen. „Das Coaching am Küchentisch können viele Eltern nicht mehr leisten, weil Ausbildungsberufe zu komplex geworden sind.“ Es gehe darum, „Arbeit erlebbar“ zu machen. Viele Jugendliche hätten eine falsche Vorstellung von einem Beruf, der zu ihnen passt. Insofern fange der Kampf gegen Arbeitslosigkeit „im Prinzip im Kindergarten an“, ist Salar überzeugt.

Er verweist auch auf den strukturgebenden, stabilisierenden Faktor von Arbeit. „Menschen bauen ab, wenn sie nicht rauskommen“, sagt er. Arbeit habe auch einen therapeutischen Aspekt. Gerade Menschen über 55 Jahre, ohne Ausbildung, könnten körperlich schwere Arbeit oft nicht mehr leisten. Viele könnten auch keine acht Stunden am Tag mehr arbeiten. Von der Politik wünscht sich Salar, dass man „nicht an der falschen Schraube dreht“. Arbeitslosigkeit mache krank und belaste die Gemeinschaft mehr als ein staatlich gestützter sozialer Arbeitsmarkt.

Susanne Lohse


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