

Frankfurt a.M. (epd). Nach der Bundestagswahl heben Verbände die hohe Bedeutung der Sozialpolitik hervor. Besonders die Organisation und Finanzierung von Pflege und andere Themen aus der Gesundheitspolitik müssten ganz nach vorn auf die Agenda, betonen gleich mehrere Verbände. Diese Bereiche seien im Wahlkampf leider oft kaum vorgekommen. Andere Organisationen blicken besonders auf die Bereiche Armut oder Rente.
Die Vorsitzende des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagte am 25. Februar: „Nach dem Wahlkampfgetöse muss es jetzt um stabile Renten, bezahlbares Leben, würdige Pflege, gute Gesundheitsversorgung und effektive Armutsbekämpfung gehen.“ Ein verlässlicher Sozialstaat sei das Fundament für eine starke Demokratie. Er ist zudem die Basis für Wirtschaftswachstum und eine gute Klima- und Energiepolitik. „Wir brauchen jetzt vor allem eins: Vertrauen in einen zukunftsfähigen Sozialstaat, der für die da ist, die ihre Angehörigen pflegen, und in dem man nach dem Arbeitsleben auf eine gute Rente vertrauen kann.“
Der Präsident des Bundesverbands der Arbeiterwohlfahrt, Michael Groß, bezeichnete es als logisch, dass die Vernachlässigung sozialer Themen im Wahlkampf zu dem starken Ergebnis der in Teilen rechtsextremen AfD beigetragen habe. „Die einzig richtige Antwort auf das Erstarken der AfD ist es, das zu stärken, was uns zusammenhält: den Sozialstaat und damit das Versprechen, dass niemand allein gelassen, niemand zurückgelassen wird“, sagte Groß.
Die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, Ulla Schmidt, verwies darauf, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderung im Wahlkampf kaum sichtbar geworden seien. Ulf Hartmann, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg, erklärte, zur künftigen Sozialpolitik gehörten ein Kurswechsel bei der Bekämpfung von Kinder- und Altersarmut, ein Rentenreformkonzept, der Ausbau der Pflegeversicherung zu einer Bürgerversicherung und eine soziale Wohnungspolitik.
Mit Blick auf die kommenden wirtschaftlichen Herausforderungen in der Bundesrepublik mahnte Beate von Miquel für den Deutschen Frauenrat: „Wir bekräftigen unsere Warnung vor Sozialabbau und Einsparungen bei Gleichstellungspolitik. Wer weiter kürzt, erlebt bei der nächsten Bundestagswahl ein 'blaues Wunder'“. Menschlichkeit müsse dringend den Weg zurück in den politischen Diskurs finden. „Für die Zivilgesellschaft heißt es, zusammenzurücken und neue Allianzen zu bilden“, so die Verbandschefin. Sie verwies darauf, dass der Frauenanteil im Bundestag erneut gesunken ist. Dort seien noch 31,4 Prozent der Abgeordneten Frauen, nachdem ihr Anteil nach der letzten Wahl bereits auf rund 34 Prozent zurückgegangen war.
Der Arbeiter-Samariter-Bund drang darauf, „soziale Sicherung als Priorität in die Koalitionsverhandlungen aufzunehmen“. Insbesondere das Thema Pflege dränge. Mit der Einführung der Pflegeversicherung sei 1994 ein historischer Schritt gewagt worden. Ähnlichen Mut wie damals brauche es heute, um Pflege gerecht, finanzierbar und nachhaltig zu gestalten. Es brauche eine solidarische Bürgerversicherung, die alle Bürgerinnen und Bürger absichere, Eigenanteile wirksam begrenze und die Einnahmen stabilisiere.
Auch Stimmen aus der Diakonie betonten die Rolle der Pflegepolitik. Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe teilte mit, vor allem das Thema Pflege müsse in Koalitionsverhandlungen eine zentrale Rolle spielen. Die neue Bundesregierung müsse bessere Rahmenbedingungen für die Arbeit der stationären Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegedienste schaffen und den Pflegeberuf noch attraktiver machen.
Der sächsische Diakonie-Vorstandsvorsitzende Dietrich Bauer erklärte, Kinder, Junge und Alte, Familien und Menschen mit Behinderungen erwarteten Lösungen. Dabei müsse es um soziale Gerechtigkeit, Bekämpfung von Wohnungsnot und die Überwindung der Pflegekrise gehen. Der Vorstandssprecher der Diakonie Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, hob die Finanzierung der Pflegeversicherung und Pflege als Armutsrisiko hervor. Zudem sei eine Weiterentwicklung der Krankenhausreform nötig.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft mahnte, eine Klinikreform sei „der erste gesundheitspolitische Arbeitsauftrag der neuen Bundesregierung“. Ein Bündnis von Pflegeverbänden verwies auf die Bedeutung von organisatorischen Reformen in der Pflege. Zur Sicherstellung einer guten Versorgung seien vier Maßnahmen als dringend angezeigt: der Ausbau pflegerischer Kompetenzen, eine zukunftsorientierte Personal- und Ausbildungspolitik, die institutionelle Stärkung der Profession Pflege mittels Stärkung der beruflichen Vertretung und Selbstverwaltung, der sowie eine sichere Finanzierung der Gesundheitsversorgung, teilten der Bundesverband Pflegemanagement, der Deutsche Pflegeverband, der Katholische Pflegeverband und der Verband der Pflegedirektoren der Unikliniken mit.
Deutscher Gewerkschaftsbund, Arbeiterwohlfahrt und Bund für Umwelt- und Naturschutz forderten gemeinsam eine Reform der Schuldenbremse. Investitionen in eine soziale, ökologische und resiliente Wirtschaft müssten ermöglicht werden, hieß es.
Aus den Wirtschaftswissenschaften kamen Warnungen vor einem Ausspielen der Sozialpolitik gegen andere notwendige Ausgaben. Der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien, hält ein solches Ausspielen angesichts der stärker werdenden politischen Ränder gefährlich. Die Sicherungssysteme seien weiter bezahlbar, wenn es gelinge, „auf einen stabilen Wachstumspfad zurückzukehren“, sagte Dullien. Das erfordere eine Investitionsoffensive, werde hingegen mit Kürzungen bei Sozialleistungen nicht gelingen. Daher sei eine Reform der Schuldenbremse notwendig. Das Ausscheiden der FDP aus Bundestag und Bundesregierung biete hier jetzt die Chance einer weniger ideologischen Debatte, sagte der Forscher.
Soziale Einschnitte forderte hingegen die Vorsitzende des Sachverständigenrats Wirtschaft, Monika Schnitzer. Sie plädierte für die Anhebung des Renteneintrittsalters, die Begrenzung des Rentenanstiegs sowie eine ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorge. Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, beklagte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, den Parteien fehlten überzeugende Konzepte zur Reform der sozialen Sicherungssysteme.