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Müttergenesungswerk: Sorgearbeit verdient mehr Aufmerksamkeit




Rebekka Rupprecht
epd-bild/Farbtonwerk/Bernhardt Link
Mütter arbeiten immer noch zu viel im Schatten, beklagt Rebekka Rupprecht, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks. Aber auch die Sorgearbeit der Väter könnten ihr zufolge durchaus mehr im Fokus stehen.

Berlin (epd). Das Müttergenesungswerk (MGW) feiert in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen. Seit Anfang Januar ist Rebekka Rupprecht Geschäftsführerin der Stiftung, zu der rund 900 Beratungsstellen und mehr als 70 Kurkliniken bundesweit gehören. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) wünscht sich die studierte Verwaltungswissenschaftlerin mehr Aufmerksamkeit für die Situation von Müttern und Vätern - auch von der Politik. Die Fragen stellte Christina Neuhaus.

epd: Was hat Sie motiviert, die Geschäftsführung des MGW zu übernehmen?

Rebekka Rupprecht: Eines der wichtigsten gesellschaftlichen Themen, die wir in Deutschland haben, ist unbezahlte Sorgearbeit. Das ist ein Riesenthema, das uns alle angeht, aber es bekommt keinen großen Stellenwert in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Für mich ist das eine große Motivation, mich in diesem Bereich zu engagieren. Mit dem MGW bin ich außerdem schon lange verbunden. Ich bin in der Nähe von Stein bei Nürnberg aufgewachsen, wo es gegründet wurde. So habe ich zum Beispiel als Schülerin für das MGW Spenden gesammelt. Mir liegt die Organisation sehr nah am Herzen. Vor einigen Jahren habe ich dann die Kommunikationsabteilung hier in der Geschäftsstelle geleitet und die tagtägliche Arbeit des MGW mitbekommen. Jetzt habe ich die Möglichkeit, diesen Einsatz für Mütter, Väter und Pflegende ein Stück weit mitzugestalten und etwas zu bewegen.

epd: Was sehen Sie als Ihre ersten Schwerpunkte?

Rupprecht: Im Mittelpunkt steht bei uns natürlich immer, die Gesundheit von Müttern und inzwischen ja auch von Vätern und pflegenden Angehörigen zu stärken, das ist unser Ziel. Das tun wir innerhalb des Müttergenesungswerks durch die Kurmaßnahmen und Beratungen vor Ort, aber eben auch durch Aufklärungsarbeit und Informationsarbeit in Politik und Gesellschaft. Es ist zum einen wichtig, dass die Menschen wissen, dass es diese Angebote gibt und dass sie darauf auch einen Anspruch haben. Zum anderen, dass auch Ärztinnen und Ärzte das wissen und ihren Patientinnen und Patienten eine Kur empfehlen können. Gleichzeitig geht es darum, Druck aufzubauen und klar zu sagen, wir brauchen gute Rahmenbedingungen, wir brauchen gute Strukturen. Leider zählen wir zu einem Bereich, der immer noch sehr stiefmütterlich behandelt wird.

epd: Wie meinen Sie das?

Rupprecht: Wir machen zum Beispiel nur einen ganz kleinen Teil der Gesundheitsausgaben aus, obwohl wir eine ganz wichtige Arbeit leisten. Eine gute Versorgung kann nur gewährleistet werden, wenn wir die entsprechenden Strukturen haben. Wir brauchen genug Plätze in den Kurkliniken. Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums sind 24 Prozent der Mütter und 14 Prozent der Väter in Deutschland kurbedürftig. Innerhalb des MGW haben wir Plätze für etwa 50.000 Mütter, 3.000 Väter und 71.000 Kinder. Das reicht also bei Weitem nicht. Wir brauchen auch gute Tagessätze, damit die Kliniken stabil arbeiten können. Momentan liegen die Tagessätze weit unter denen für Reha-Maßnahmen der Rentenversicherungsträger. Die Situation ist natürlich nicht einfach, die Finanzlage der Krankenkassen ist angespannt. Aber die Belastungssituation für Eltern und pflegende Angehörige ist hoch, das können wir nicht auf die lange Bank schieben.

epd: Was wünschen Sie sich noch von der Politik?

Rupprecht: Die nächste Bundesregierung sollte ein nationales Gesundheitsziel formulieren für Mütter, Väter und pflegende Angehörige. Dann würden zum einen Daten gesammelt und ausgewertet, dementsprechend dann Empfehlungen gegeben, und es gäbe zum anderen auch klare Verpflichtungen. Mit Blick auf das MGW denke ich außerdem an die Beratungsstellen in unserem Verbund, die von den Wohlfahrtsverbänden getragen werden, aber keine langfristige finanzielle Absicherung haben. Wir brauchen einen niedrigschwelligen Zugang für alle Mütter, Väter und pflegenden Angehörige. Gerade in einer Phase, in der man total erschöpft ist und nicht mehr weiterkann, ist der Prozess einer Kur-Beantragung oft schon zu viel. Da braucht man eine Person an der Seite, die einen berät und erklärt, wie dieser Prozess funktioniert. Gerade für vulnerable Gruppen sind diese Anlaufstellen eine ganz wichtige Sache.

epd: Die Politik und das Geld sind das eine - aber wie sieht es mit dem gesellschaftlichen Bewusstsein aus?

Rupprecht: Wenn wir uns mal vorstellen, Mütter, Väter und Pflegende würden ihre Leistung an Sorgearbeit nicht mehr erbringen - was würde dann passieren? Ich will mir das gar nicht vorstellen, weil ich glaube, dass das nicht gut ausgeht. Sorgearbeit ist systemrelevant und ein Fundament unserer Gesellschaft. Aber der Stellenwert entspricht dem oft nicht. Das muss eine größere Brisanz und einen größeren Fokus haben in unserer Gesellschaft.

epd: Was ist mit der Arbeitswelt?

Rupprecht: Das Schöne ist, dass wir mittlerweile durchaus Beispiele haben von Unternehmen, die sich Familienfreundlichkeit, Flexibilität und auch Gesundheit zum Thema und zum Aushängeschild machen. Das ist mittlerweile ja ein wichtiger Attraktivitätsfaktor für Arbeitnehmende. Aber es gibt sicherlich auch viele Unternehmen, wo es noch Aufholbedarf gibt. Firmen sollten eine Kultur schaffen, in der es Anerkennung und Akzeptanz dafür gibt, dass viele Menschen sozusagen noch einen bedeutungsvollen Job haben neben dem Job - nur dass der nicht bezahlt wird. Und was die Akzeptanz etwa von Kurmaßnahmen angeht: Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern muss klar sein, dass eine dreiwöchige Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme ein besseres Investment ist, als Mitarbeitende zu haben, die durch den Spagat zwischen Beruf und Sorgearbeit zu stark belastet sind und krank werden.

epd: Inwiefern spielen traditionelle Rollenbilder bei der Belastung durch Sorgearbeit eine Rolle?

Rupprecht: Es gibt inzwischen ganz viele Paare, die den Anspruch haben, gleichberechtigt zu leben und die Sorgearbeit hälftig aufzuteilen. Da hat sich viel bewegt. Es gibt generell eine größere Beschäftigung mit dem Thema und zum Beispiel auch einen veränderten Blick auf Väter. Trotzdem müssen wir feststellen, dass wir besonders in Krisen zurückfallen in traditionelle Rollenbilder - das hat die Corona-Pandemie gezeigt. Wenn das System nicht mehr funktioniert, Kita und Schule zusammenbrechen, dann sind es eben wieder die Mütter, die das hauptsächlich auffangen. Auch unabhängig davon zeigen uns die Daten, dass insgesamt weiterhin die Mütter die Hauptsorgelast tragen. Das hat auch mit Begleitumständen zu tun: Wenn zum Beispiel Frauen weiterhin schlechter bezahlt werden als Männer, dann ist aus ökonomischen Gründen oft klar, wer nach der Geburt eines Kindes länger zu Hause bleibt, wer Teilzeit arbeitet. Mütter ziehen den Kürzeren. Was unter anderem auch heißt, dass sie später weniger Rente haben. Also haben wir in der Gesellschaft noch ganz viel zu tun.

epd: Zum Abschluss noch die Frage nach dem Namen - „Müttergenesungswerk“ klingt für manche Ohren doch eher altbacken. Wie empfinden Sie das?

Rupprecht: Der Name wurde ja ganz bewusst selbst gewählt von der Stiftungsgründerin Elly Heuss-Knapp, weil er den Stiftungszweck, nämlich die Gesundheit von Müttern, erkennen ließ. Doch selbstverständlich reflektieren wir uns immer wieder selbst und lassen uns auch beraten. Das Ergebnis ist, dass unser Name immer noch Durchschlagskraft hat, wenn wir uns für die Gesundheit von Sorgearbeit Leistenden einsetzen. Eine Änderung steht also aktuell nicht an. Und wir können auch ganz selbstbewusst sagen: Wir sind nicht verstaubt, wir sind eine moderne Stiftung und waren immer ganz vorne dabei, wenn es darum ging, neue Wege zu bereiten und Rechte einzufordern für unsere Zielgruppe. Da sind wir am Puls der Zeit.