

Berlin, Frankfurt a.M. (epd). Robert Habeck hatte angeregt, Kapitaleinkünfte für die Sozialversicherung heranzuziehen - und eine heftige Debatte ausgelöst. Der Vorschlag sei gut, aber noch zu unkonkret, sagte die Expertin des Netzwerks Steuergerechtigkeit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Fragen stellte Nils Sandrisser.
epd sozial: Frau Jirmann Halten Sie Robert Habecks Vorschlag, Sozialversicherungsbeiträge auf Kapitaleinkünfte zu erheben, grundsätzlich für sinnvoll?
Julia Jirmann: Ich halte die Debatte darüber für sinnvoll, sogar notwendig. Habeck erkennt ein Problem, wo tatsächlich eines ist. Im Prinzip wollen die Grünen die Bemessungsgrundlage für Sozialbeiträge beziehungsweise insbesondere der Krankenversicherung ausweiten, und dem würde ich zustimmen. Aber ab dann wird der Vorschlag sehr unkonkret: Was soll genau belastet werden? Das könnte auch Sparer der Mitte treffen, die über den Sparerpauschbetrag kommen. Je nachdem, ob die Beitragsbemessungsgrenze für die Kapitaleinkommen entfallen soll, wären auch hohe Einkommen betroffen. Aber die ganz großen Dividenden der Superreichen würde wohl auch das nicht treffen, denn die werden in Beteiligungsgesellschaften angespart und unterliegen auch weitgehend nicht der Einkommensteuer.
epd: Habeck wird vorgeworfen, sein Vorschlag träfe vor allem die kleinen Sparer.
Jirmann: Wen es konkret betreffen würde, wissen wir noch nicht. Das hängt davon ab, wie hoch die Freibeträge wären und ob die Beitragsbemessungsgrenze angehoben würde. Wenn wir aber nichts tun, dann treffen die steigenden Abgaben schon jetzt vor allem die Mitte und Geringverdiener. In der Zukunft werden die Beiträge weiter steigen, und wenn wir nicht wollen, dass das vor allem die Mitte und Geringverdiener trifft, dann müssen wir die Bemessungsgrundlage erweitern.
epd: Die Tatsache, dass Kapitaleinkünfte weniger belastet werden als Arbeitseinkommen, wird oft gerechtfertigt dadurch, dass der Staat ja nicht das Risiko der Anlage trägt und daher sein Anteil auch nicht so hoch sein kann. Wie bewerten Sie diese Argumentation?
Jirmann: Sehr hohe Vermögenseinkommen werden tatsächlich häufig niedriger besteuert als Arbeitseinkommen. Dabei sind jedoch nicht unbedingt Aktieneinkünfte von Anlegern gemeint, auf die pauschal 25 Prozent Kapitalertragsteuer erhoben werden. Die unterliegen zusätzlich vor der Ausschüttung noch der Besteuerung beim Unternehmen. Aber für besonders hohe Vermögenseinkommen gibt es verschiedene Privilegien und Gestaltungsmöglichkeiten, die dazu führen, dass beispielsweise die Kapitalertragsteuer weitgehend entfällt oder Immobilieneinkünfte besonders niedrig besteuert werden. Diese Vermögenseinkommen wären von der Reform, wie sie von den Grünen vorgeschlagen wird, aber wahrscheinlich auch nicht betroffen.
epd: Gibt es denn Berechnungen, wie viel Geld eine Heranziehung von Kapitaleinkünften den Sozialkassen bringen könnte?
Jirmann: Solange die Vorschläge noch so unkonkret sind, kann man dazu nichts Konkretes sagen.
epd: Welche Alternativen gäbe es denn zu Habecks Vorschlag?
Jirmann: Die Beitragsbemessungsgrenze muss deutlich steigen. Wenn wir die nicht anheben, dann ist alles, was darüber liegt, ohnehin abgabenfrei, es sei denn, es wird explizit von der Grenze ausgenommen. Aber selbst wenn wir diese Grenze anheben, sind alle privat Versicherten und damit die meisten Besserverdiener nicht mit drin. Es braucht daher eine Bürgerversicherung, in die alle gleichermaßen einzahlen: Arbeitnehmer, Selbstständige, Beamte. Eine Studie aus dem Jahr 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass bei einer solchen Bürgerversicherung sowie einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze die oberen zehn Prozent der Bevölkerung mehr beitragen würden, und die breite Mitte durch geringere Beitragssätze sogar entlastet werden könnte.
epd: Welche Maßnahmen zur Stabilisierung der Sozialversicherungen sind noch drängend?
Jirmann: Man muss sicherstellen, dass die gemeinschaftlichen Ausgaben, zum Beispiel die Mütterrente oder die kostenlose Mitversicherung, ausreichend aus Steuermitteln finanziert werden, damit den Versicherungen nicht darüber Geld wieder entzogen wird. Wir haben ja aktuell die Situation, dass der Haushalt durch Kürzung der Steuermittel für die Sozialversicherung saniert wird. Ein Beispiel dafür ist die Krankenhausreform. Ein Großteil der Krankenhausfinanzierung kommt aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung.