sozial-Politik

Bundesregierung

Große Unterschiede bei Teilhabechancen von Älteren




Seniorenpaar auf dem Deichweg vor dem Strand in Otterndorf an der Nordsee
epd-bild/Jens Schulze
Die Gruppe der älteren Menschen in Deutschland wird größer - und zugleich vielfältiger. Das bringt auch Ungerechtigkeiten mit sich, wie der neue Altersbericht der Bundesregierung zeigt.

Berlin (epd). Die Möglichkeiten zur selbstbestimmten Gestaltung des eigenen Lebens sind laut dem am 8. Januar veröffentlichten neunten Altersbericht der Bundesregierung in der älteren Generation „sozial ungleich verteilt“. Ob es um eine bezahlbare barrierefreie Wohnung gehe, um die passende Ärztin oder den Gang ins Theater: Was für manche Ältere selbstverständlich sei, stelle andere Senioren vor große finanzielle Hürden. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte bei der Vorstellung des Berichts, dass insbesondere Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte sowie homosexuelle und trans- oder intergeschlechtliche Menschen oft im Nachteil seien. Auch Altersarmut sei ein großes Problem.

Es geht um eine große - und weiter wachsende - Bevölkerungsgruppe: Menschen über 65 machten inzwischen fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus, sagte Paus in Berlin. Derzeit gebe es hierzulande doppelt so häufig 60. wie erste Geburtstage. Deutschland sei zu einer „Gesellschaft des langen Lebens“ geworden.

Altersarmut steigt trotz höherer Einkommen

Damit einhergehend seien die Lebensverhältnisse älterer Menschen sehr vielfältig, sagte die Vorsitzende der Altersberichtskommission, Martina Brandt, auf der Pressekonferenz mit Paus. Dies zeige sich etwa daran, dass jüngst einerseits die durchschnittlichen Alterseinkommen gestiegen seien. Andererseits sei aber auch die Altersarmut gestiegen und liege nun über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung - „das ist neu“. In der Gruppe der Menschen über 65 ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind dem Altersbericht zufolge vier von zehn Frauen von Einkommensarmut betroffen.

„Wenn wir nichts tun, wird die Ungleichheit weiter steigen“, warnte Brandt, die als Soziologin an der TU Dortmund forscht. Alle Maßnahmen, die auf eine Verbesserung der Lebenssituation alter Menschen zielten, müssten an die verschiedenen Gruppen und ihre Bedürfnisse angepasst werden.

Brandt forderte unter anderem, die Inanspruchnahme von Grundsicherung im Alter zu erleichtern. „Dringend nötig“ sei auch eine bessere Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und der Pflege von Angehörigen.

Fachleute legen 31 Empfehlungen vor

In dem Altersbericht formulieren Brandt und die anderen zehn Kommissionsmitglieder insgesamt 31 Empfehlungen. Dazu gehören etwa ein Ausbau der Schuldnerberatung speziell für ältere Menschen und besondere Kulturangebote für benachteiligte Senioren. Nötig seien auch mehr bezahlbare und zugleich barrierefreie Wohnungen sowie leicht nutzbare Angebote für Gesundheitsförderung und Prävention.

Am Geld sollte all das aus Sicht der Kommission nicht scheitern: Die Empfehlungen würden „nicht vorauseilend die Knappheit der finanziellen Ressourcen zur Begrenzung nehmen“, heißt es in dem 300 Seiten langen Bericht. Vielmehr solle deutlich gemacht werden, „was für die Teilhabe Älterer notwendig ist - um letztlich Potenziale auszuschöpfen und möglicherweise langfristig sogar Mittel einsparen zu können“.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) in Niedersachsen rief die Politik zu größeren Anstrengungen gegen Altersmut auf. Die Zahlen des Altersberichts der Bundesregierung seien erschreckend, teilte der Verband mit. Demnach gelten 17 bis 19 Prozent der über 65-Jährigen als armutsgefährdet, in Niedersachsen sind es fast 18 Prozent. Die Quote liege damit über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.

SoVD: „Alarmsignale überhört“

„Die Politik hat bislang alle Alarmsignale überhört und viel zu wenig gegen Altersarmut getan“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Verbandes, Dirk Swinke. Nötig seien nicht nur bundespolitische Maßnahmen wie eine grundlegende Rentenreform. Auch das Land sei gefragt. „Niedrige Renten kommen von niedrigen Löhnen. Die Landesregierung muss deshalb endlich effektiv etwas gegen den Niedriglohnsektor tun.“ Dabei gehe es zum Beispiel um die Begrenzung von Leiharbeit, Minijobs und Befristungen.

Aber auch die Kommunen sieht der SoVD in der Verantwortung. „Sie müssen mit ihren Angeboten ganz konkret das Leben der Betroffenen verbessern“, betonte Swinke. Es müsse vor Ort eine viel bessere Beratungsstruktur zu den Themen Grundsicherung und Schulden geben, die Gesundheitsförderung müsse ausgebaut und Menschen stärker finanziell unterstützt werden - etwa mit Blick auf die Nutzung von Bussen und Bahnen.

Seit 1993 wird je Legislaturperiode ein Bericht zu einem seniorenpolitischen Schwerpunktthema erarbeitet. Der jetzt vorgelegte 9. Altersbericht hat als Schwerpunkt die Vielfalt der Lebenssituationen und die Teilhabemöglichkeiten von älteren Menschen in Deutschland. Der Bericht beleuchtet die Lebensbereiche materielle Sicherheit, Erwerbsarbeit, Sorgearbeit, Gesundheit, Wohnen, Engagement, politische Beteiligung und soziale Beziehungen.

Christina Neuhaus