

Frankfurt a.M. (epd). Anders, als viele Vorurteile nahelegen, nehmen Migranten im Vergleich zu Deutschen ohne Migrationshintergrund im Schnitt seltener Gesundheitsleistungen in Anspruch. Dieser Befund ist wissenschaftlich vielfach belegt. Die Forschung spricht von einem „Healthy-migrant-Effekt“ und identifiziert dafür mehrere Gründe.
Altersstruktur: Migranten sind durchschnittlich jünger als die deutsche Mehrheitsbevölkerung. Das Alter hängt in hohem Maß mit der Zahl der Kontakte zum Gesundheitssystem und den dadurch verursachten Kosten zusammen. Die Altersgruppe jenseits der 65 beispielsweise weist in Deutschland laut Zahlen des Statistischen Bundesamts doppelt so viele Krankenhausaufenthalte auf wie die Alterskohorte zwischen 45 und 65. Die Krankenhauskosten der 65- bis 84-Jährigen sind doppelt so hoch wie jene des Bevölkerungsdurchschnitts.
Lebensweise: Hierzulande verbreitete Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes sowie deren Spätfolgen wie Herzinfarkt und Schlaganfall sind die Folgen eines westlichen Lebensstils. Die vorrangigen Risikofaktoren dieses Lebensstils sind Bewegungsmangel, Über- und Fehlernährung, Nikotin- sowie Alkoholkonsum. Diese Risikofaktoren sind in vielen Herkunftsländern von Migranten nicht so stark verbreitet wie in der westlichen Welt. Selbst wenn Migranten hier diesen Lebensstil übernehmen, dauert es einige Jahre bis Jahrzehnte, bis sie an dessen Folgen erkranken, wie Zahlen des Robert Koch-Instituts belegen.
Auslese: Der Gesundheitszustand bestimmt mit, wer migriert. In der Regel machen sich nur gesunde Menschen auf die oft beschwerliche Reise. Hier ankommende Migranten, das zeigen Studien aus Spanien oder Schweden, sind daher überdurchschnittlich gesund.
Barrieren: Selbst wenn sie krank sind, nehmen Migranten das Gesundheitssystem in Deutschland weniger häufig in Anspruch als die Durchschnittsbevölkerung, wie eine Auswertung mehrerer länderübergeifender Studien zeigt. Gründe hierfür sind Sprach- und kulturelle Barrieren, mitunter auch mangelndes Wissen über Krankheitssymptome und das Angebotsspektrum des Gesundheitswesens sowie Angst vor Kosten.
Eingeschränktes Angebot: Asylsuchende im Anerkennungsverfahren dürfen Gesundheitsleistungen gar nicht wie Einheimische in Anspruch nehmen. Sie werden laut Asylbewerberleistungsgesetz nur in Notfällen, bei Schmerzen oder während einer Schwangerschaft behandelt. Vor einer Behandlung müssen sie einen Behandlungsschein beantragen. Die zuständige staatliche Stelle legt den Umfang der Leistungen fest. Eine Arzneimittelverordnung oder eine Krankenhauseinweisung muss sie erst genehmigen. Einige Bundesländer haben eine elektronische Gesundheitskarte, die den Behandlungsschein ersetzt. Erst nach 18 Monaten oder sobald sie einen Schutzstatus erhalten, bekommen Asylsuchende eine Krankenversicherung.
Auch wenn Migranten Gesundheitsdienste insgesamt geringer in Anspruch nehmen als die Durchschnittsbevölkerung, zeigen Daten des Sozio-ökonomischen Panels starke Unterschiede zwischen einzelnen Sektoren. Beispielsweise sind Migranten bei Fachärzten und bei Vorsorgeuntersuchungen besonders selten anzutreffen, in der Notfallversorgung und bei Psychotherapien sind sie hingegen überrepräsentiert.
Für bestimmte Krankheiten haben Migranten ein höheres Risiko als die Durchschnittsbevölkerung, beispielsweise für einige Infektionen, bedingt durch einen im Schnitt schlechteren Impfschutz. Auch ihr durchschnittlich geringer Sozialstatus ist ein Risikofaktor für körperliche und seelische Erkrankungen. Geschätzt 20 Prozent aller Flüchtlinge leiden außerdem an Traumafolgen, etwa einer Posttraumatischen Belastungsstörung.