

München (epd). In „Momo“, einem Roman des Schriftstellers Michael Ende, rettet ein kleines Mädchen - Momo - die Menschen vor den „grauen Herren“, weil es die Gabe hat, besonders gut zuhören zu können. Von dieser Geschichte ließ sich Michael Spitzenberger zur Gründung des gemeinnützigen Vereins „momo hört zu“ und zu seinem Zuhörraum anregen. Der kleine Holzbau ist grün angestrichen, steht auf dem Münchner Stephansplatz und jeder kann eintreten und seine Probleme, sein Leben oder seine Wünsche erzählen.
„Manchmal dauert ein Gespräch eine Stunde lang“, sagt Spitzenberger. Der Zuhörraum steht vor der kleinen Kirche St. Stephan neben dem Eingang zum Alten Südfriedhof. Er sieht aus wie ein Kiosk, hat ein großes und ein kleines Fenster und eine Tür. Drinnen steht eine Espressomaschine, draußen steht in großen Buchstaben „Zuhörraum“.
Von Montag bis Freitag, jeweils von 12 bis 18 Uhr, kann jede und jeder einfach hineingehen, sich in dem kleinen Raum auf die Holzbank setzen und dem anwesenden Gegenüber - dem Zuhörer oder der Zuhörerin - etwas Persönliches erzählen. Oder auch nur ein bisschen plaudern und einen Kaffee dazu trinken. Von diesem Angebot machen etliche Menschen Gebrauch: „Hierher kommen 80 bis 100 Leute in der Woche“, sagt Initiator Spitzenberger.
Barbara Weber ist eine der ehrenamtlichen Zuhörerinnen. Einmal in der Woche sitzt sie drei Stunden im Holzkiosk und hört sich die Geschichten der Menschen an. „Einmal kam ein junger Mann“, erzählt die Zuhörerin, „der hatte Angst, seinen Führerschein zu verlieren, weil in seiner WG Drogen gefunden wurden.“ Er hat dann sein Leben erzählt und sich am Schluss bedankt.
Einmal sei ein zwölfjähriger Junge von seiner einkaufenden Mutter im Zuhörraum quasi geparkt worden. „Wir haben uns dann über seine Leidenschaft für Basketball unterhalten“, erinnert sich Weber. Für sie selbst bedeutet ihr Engagement ein „Ankämpfen gegen das Verstummen in der Gesellschaft“. Seit der Corona-Krise seien ja Freundschaften auseinandergegangen, manche sprächen nicht mehr miteinander. Es gehe um ein „offenes Ohr“ für andere Menschen und darum, ihnen „Zeit zu geben“.
Wie ist Initiator Michael Spitzenberger auf die Idee gekommen, einen „geschützten Ort des Zuhörens, in dem Zeit, Wertschätzung und Gemeinsamkeit geschenkt wird“, einzurichten? „Vielleicht weil mir in meiner Kindheit nicht zugehört wurde“, sagt der 56-jährige Münchner. Irgendwann sei er auf Christoph Busch mit seinem Hamburger Zuhörkiosk in einer U-Bahnstation gestoßen: Dort hört sich der Drehbuchautor seit 2018 die Geschichten der Passanten an. Als Spitzenberger von dieser Idee erfuhr, ist sein „Herz aufgegangen“, wie er sagt. Und er hat das Projekt Zuhörraum angepackt.
Entworfen haben den Holzbau die Studierenden der Technischen Universität München im Rahmen einer Projektarbeit. Die Vorgaben: Ein Rauminhalt von 75 Kubikmeter, in dem sich zwei Personen in einer Gesprächssituation aufhalten können. Außerdem sollte noch eine Kaffeemaschine untergebracht werden und das Ganze mit einem Gefühl der Geborgenheit verbunden werden. Aus vier Entwürfen wurde einer ausgewählt und realisiert. So steht der Zuhörraum seit Oktober 2023 auf dem Stephansplatz.
Unter der Woche ist er jeden Nachmittag von zwei Zuhörern und Zuhörerinnen wie Barbara Weber besetzt. Sie sind ein Team von 35 Leuten. 45 stehen laut Spitzenberger auf der Warteliste. Die Zuhörer können auch an einem Workshop teilnehmen, das sogenannte „Momotraining“. Dabei geht es um das „bewertungsfreie Zuhören“. Dabei sind zwar Verständnisfragen erlaubt, aber die Zuhörer geben weder Bewertungen ab noch geben sie Tipps oder Ratschläge. Wenn Leute Hilfe brauchen, werden sie an Hilfsorganisationen weitergeleitet.