Mainz, Büchenbeuren (epd). Es müssen dramatische Szenen gewesen sein in einer von der evangelischen Kirche angemieteten Wohnung im Hunsrück: Als Polizeibeamte bei einem nächtlichen Einsatz einen syrischen Kurden im Kirchenasyl festnehmen wollten, habe der Mann verzweifelt Widerstand geleistet und sei im Gerangel die Treppe hinuntergestürzt, berichtet die Büchenbeurer Pfarrerin Sandra Menzel. Schließlich habe der Flüchtling sich selbst verletzt, um nur nicht nach Dänemark abgeschoben zu werden. Zwei Monate sind seit der Räumung des Kirchenasyls vergangen, aber erst jetzt hat die evangelische Kirche den Fall öffentlich gemacht - weil die Ereignisse für den Syrer verheerende Folgen hatten. Er sitzt inzwischen im Gefängnis.
Der Kirchenkreis sei besonders überrascht gewesen, dass das Kirchenasyl bei einem nächtlichen Polizeieinsatz ohne jedwede vorhergehende Kontaktaufnahme geräumt worden sei, ärgert sich der Superintendent des Kirchenkreises Simmern-Trarbach, Markus Risch: „Das entspricht nicht den Absprachen mit den Landeskirchen.“ Obwohl den Kirchen keine gesetzlichen Sonderrechte zustehen, wird das Kirchenasyl meist respektiert. Auch die in Sachen Kirchenasyl erfahrenen Verantwortlichen in Büchenbeuren sind erschüttert. Pfarrerin Menzel spricht von einem Skandal.
Dänemark zeichnet sich in der Flüchtlingspolitik seit Jahren durch eine beispiellose Härte aus: Die Regierung verfolgt das erklärte Ziel, die Anzahl der Asylanträge „auf null“ zu reduzieren. Noch dazu ließ das Königreich in jüngster Vergangenheit systematisch den Schutzstatus von Syrern widerrufen und versucht, die Menschen zu einer sogenannten freiwilligen Ausreise in das Bürgerkriegsland zu zwingen. Wer nicht „freiwillig“ ausreist, kann auf unbefristete Dauer in gefängnisartigen Lagern einquartiert werden, solange eine Abschiebung nicht möglich ist. Auch der aus Büchenbeuren abgeholte syrische Kurde, der nach Kirchenangaben zuvor jahrelang unauffällig in Dänemark gelebt, gearbeitet und Steuern gezahlt hatte, stand urplötzlich vor dem Nichts.
Die Zahl der Kirchenasyle ist 2023 weiter gestiegen. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden im vergangenen Jahr 1.514 Fälle gemeldet, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger vom März dieses Jahres hervorgeht. Im Jahr davor lag die Zahl der gemeldeten Kirchenasyle demnach bei 1.243, 2021 gab es 822 Fälle.
Weil immer mehr verzweifelte Asylbewerber um Aufnahme ins Kirchenasyl bitten, müsse mittlerweile vielen Hilfesuchenden abgesagt werden, berichtet Superintendent Risch: „Wir prüfen sehr streng.“ Im Fall des kurdischen Kriegsdienstverweigerers habe der Kirchenkreis sich aufgrund der außergewöhnlichen Umstände für eine Aufnahme entschlossen. Durch das Kirchenasyl sollte Zeit gewonnen werden, die Situation des Mannes nochmals durch die deutschen Behörden prüfen zu lassen. Und eigentlich waren sich die verantwortlichen Kirchenleute sicher, dass sich zumindest in diesem Fall das detaillierte Falldossier nicht einfach mit Textbausteinen beantwortet werden würde. Immerhin hätte der Flüchtling - wären für seinen Fall die deutschen statt die dänischen Behörden zuständig - sein Leben völlig unbehelligt weiterführen können, da niemand in Deutschland den Schutzstatus von Syrern infrage stellt und der Mann nichts getan habe, was in Deutschland eine Straftat darstellen würde.
Die Kreisverwaltung Neuwied wirft ihrerseits dem Kirchenkreis vor, sich nicht an die Regeln für das Kirchenasyl gehalten zu haben: „Der Betroffene war vollziehbar ausreisepflichtig und ist dessen Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen, sodass diese zwangsweise durchgesetzt werden musste.“ Zum Ablauf der Räumung will sich der Kreis auf Nachfrage nicht äußern.
In Rheinland-Pfalz, wo sich die Landesregierung öffentlich weiter zu einer „humanitär ausgerichteten Flüchtlingspolitik“ bekennt, gab es in den vergangenen Jahren wiederholt Polizeieinsätze gegen Kirchenasyle, vereinzelt strebten Kommunalbehörden sogar eine Strafverfolgung von Pfarrerinnen und Pfarrern an. In jüngster Zeit konnten die meisten Fälle einvernehmlich geregelt werden.
Das Mainzer Integrationsministerium räumt auf Nachfrage ein, vorab über das Vorgehen des Kreises informiert worden zu sein: „Nachdem die zuständige Ausländerbehörde bereits einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss für das von der Kirche genutzte Wohnhaus erlangt hatte, bestand hier kein Anlass mehr, das gerichtlich bereits als rechtmäßig erkannte Vorgehen der Behörde fachaufsichtlich anders zu bewerten.“
Nach dem Polizeieinsatz kam es immerhin zu Krisengesprächen zwischen Landesregierung, kommunalen Spitzenverbänden und Kirchen. „Alle Beteiligten stimmten darin überein, dass dazu eine frühzeitige und vertrauensvolle Kommunikation zwischen der asylgewährenden Kirchengemeinde und der zuständigen Ausländerbehörde von entscheidender Bedeutung ist“, heißt es dazu aus dem Integrationsministerium.
Im Fall des Syrers hilft das Versprechen, besser zu kommunizieren, nicht mehr. Wie Okka Senst vom Unterstützerkreis aus Büchenbeuren berichtet, kam der Mann nach der aus Behördensicht erfolgreichen „Rücküberstellung“ in Dänemark vor Gericht. Weil er das Ausreiselager unerlaubt verlassen habe, sei er zu zehn Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft habe mittlerweile Revision gegen das Urteil eingelegt, weil es zu milde sei.