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Interview

Paus: "Wenn im Sozialen gekürzt wird, trifft es überwiegend Frauen"




Lisa Paus
epd-bild/Hans Scherhaufer
Bundesfrauenministerin Lisa Paus warnt davor, in Krisenzeiten Kürzungen bei den Sozialausgaben ins Gespräch zu bringen. Anlässlich des Internationalen Frauentags sagte Paus im epd-Interview: "Wir brauchen im Sozialen, gerade aus Sicht von Frauen, nicht mehr Verunsicherung, sondern mehr Sicherheit."

Berlin (epd). Lisa Paus ist in die Politik gegangen, weil sie die Benachteiligung von Frauen geärgert hat: vom Steuerrecht über den Lohn bis zur Rente. Die frühere Finanzexpertin der Grünen ist heute in der Regierung dafür zuständig, die Gleichstellung voranzubringen. Zum Internationalen Frauentag am 8. März sprach Bettina Markmeyer mit der Frauen- und Familienministerin über Gleichberechtigung und Krisenzeiten.

epd sozial: Frau Paus, Ihr Koalitionspartner, die FDP, hat Militärausgaben gegen Sozialleistungen in Stellung gebracht. Angesichts der Krisenkosten sollten die Sozialausgaben für drei Jahre eingefroren werden, schlagen die Liberalen vor. Was sagen Sie als Frauenministerin dazu, die ihr Ressort gern auch als Gesellschaftsministerium bezeichnet?

Lisa Paus: Wir sind gut beraten, diese Diskussion nicht weiterzuführen, weil sie eine unnötige Verunsicherung für die Bevölkerung bedeutet. Wir erleben derzeit, dass sich in der Gesellschaft neue Risse auftun. Gerade in dieser krisenbehafteten Zeit ist es wichtig, dass wir kein Fragezeichen an den sozialen Zusammenhalt machen. Außerdem: Einsparungen im Sozialen haben immer auch eine Geschlechterkomponente.

epd: Das heißt, sie treffen Frauen stärker als Männer?

Paus: Ja. Wir haben erst in der vergangenen Woche vom Statistischen Bundesamt bestätigt bekommen, dass Frauen nach wie vor mehr Sorgearbeit leisten. Sie tragen das Soziale in dieser Gesellschaft, stärker als die Männer - übrigens auch, indem sie die Mehrheit in den sozialen Berufen stellen. Wenn im Sozialen gekürzt wird, trifft es überwiegend Frauen.

Wenn die Kinderbetreuung nicht ausgebaut wird, fehlt die Infrastruktur für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn die Renten nicht erhöht würden, träfe es Frauen stärker, weil ihre Renten niedriger sind - als Folge der unbezahlten Sorgearbeit. Wir brauchen im Sozialen, gerade aus der Sicht von Frauen, nicht mehr Verunsicherung, sondern mehr Sicherheit.

epd: Spüren Sie mehr Gegenwind für die Frauen- und Sozialpolitik, auch durch das Erstarken der Rechten?

Paus: Wir erleben insgesamt massiv zunehmende Angriffe auf unsere Demokratie und auf die Meinungsfreiheit. Wir erleben auch mehr offene Aggressivität. In solchen Zeiten ist es immer so, dass die verletzlichsten Gruppen - die Minderheiten und eben auch die Frauen - die ersten Ziele sind. Gerade Hass und Hetze treffen Frauen in besonderer Weise. Und leider ziehen sich viele dann aus der öffentlichen Auseinandersetzung zurück.

Das Gute ist aber, dass es jetzt eine Mobilisierung dagegen gibt und die schweigende Mehrheit auf die Straße geht. Wir brauchen in allen Bereichen eine Repräsentation von allen Gruppen und Geschlechtern. Das ist mir ein besonderes Anliegen.

epd: Für Häme bis zu Hass sorgen seit einiger Zeit ja auch Versuche zu einer gendergerechten Sprache. Ihr Kollege Lindner hat vor kurzem alle Sonderzeichen, wie beispielsweise den Genderstern, im Schriftverkehr seines Ministeriums verboten. Wie halten Sie es mit der Sprache?

Paus: Ich habe es nicht so mit Verboten, deswegen wird es von mir kein Verbot geben. Wenn man sich mal anschaut, wer das ganze letzte Jahr über das Gendersternchen gesprochen hat, dann war es insbesondere die AfD.

Ich bin in die Politik gegangen, um real etwas zu verändern. Mir geht es um ökonomische Gleichstellung. Mich hat geärgert, dass Frauen allein wegen ihres Geschlechts nicht berücksichtigt werden - und an die sogenannte gläserne Decke stoßen. Ich sehe meine Aufgabe ganz klar darin, dem Artikel 3, Grundgesetz zur Verwirklichung zu verhelfen: gleiche Bezahlung, partnerschaftliche Aufteilung der Sorgearbeit, Gleichheit bei den Renten.

epd: In der kommenden Woche fahren Sie zur 68. Sitzung der UN-Frauenrechtskommission, der größten internationalen Konferenz zur Gleichstellung von Frauen. Was werden Sie aus Deutschland mitbringen?

Paus: Ich werde dort sagen, dass diese Bundesregierung bis 2030 die Gleichstellung schaffen will. Darauf haben wir uns im Koalitionsvertrag verständigt - ein ambitionierter Anspruch, eigentlich aber eine Selbstverständlichkeit. Ich werde zugleich natürlich nicht beschönigen, wie die Situation ist. Und ich werde darstellen, was wir tun. Ich freue mich zudem auf das von meinem Ministerium gemeinsam mit dem Deutschen Frauenrat organisierte Panel zu den besonderen Herausforderungen von Alleinerziehenden.

epd: Finanzminister Lindner hat zuletzt angekündigt, dass die Koalition die Steuerklassen 3 und 5 abschaffen will. Was bewirkt dieser Schritt?

Paus: Die Steuerklasse 5 hält insbesondere Frauen davon ab, mehr zu arbeiten, weil es sich scheinbar nicht lohnt. Sie sehen auf dem Lohnzettel: Oh, da bleibt ja wirklich nicht viel übrig. Das ist aber falsch. Die Wahrheit ist ja, dass Ehepaare gemeinsam veranlagt werden. Das heißt: Am Jahresende gibt es einen Ausgleich dafür, dass der Mann mit Steuerklasse 3 mehr Netto vom Brutto hat und die Frau mit Steuerklasse 5 viel weniger.

epd: Ist diese Änderung dann nicht nur Symbolpolitik?

Paus: Nein. Die allermeisten gucken nur auf den Lohnzettel, außerdem haben nicht alle Paare auch ein gemeinsames Konto. Und den Lohnsteuerjahresausgleich macht ja meistens auch nur eine Person in der Familie. Die Lebenswirklichkeit ist so, dass die allerwenigsten genau wissen, welchen Anteil des Familieneinkommens die Frau und der Mann aufs Jahr gesehen tatsächlich erarbeiten. Es gibt immer wieder Umfragen, die das bestätigen. Darum hat diese Reform eine klare gleichstellungspolitische Signalwirkung.

epd: Eigentlich wollen Sie aber das Ehegattensplitting abschaffen, oder?

Paus: Richtig ist: Auf die Abschaffung der Lohnsteuerklassen 3 und 5 haben wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt, auf die Abschaffung des Ehegattensplittings nicht. Deswegen bleibt das weiterhin eine zentrale Forderung von mir und von meiner Partei. Denn den größten Steuervorteil beim Ehegattensplitting hat man, wenn der Partner oder die Partnerin gar kein Einkommen hat - das behindert die ökonomische Gleichstellung der Frauen.

Ich setze mich schon sehr lange dafür ein, dass wir das endlich überwinden und diese steuerliche Subvention von etwa 25 Milliarden Euro im Jahr in eine familienpolitische Unterstützung überführen. So war das Ehegattensplitting übrigens mal gedacht: als steuerliche Entlastung für Ehepaare mit Kindern. Die Abschaffung der Lohnsteuerklassen 3 und 5 ist nur ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber immerhin.

epd: Jede vierte Mutter würde gern mehr arbeiten, jeder vierte Vater gern weniger. Aber sie tun es nicht. Das hat auch die Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamts gerade wieder bestätigt. Was hindert sie?

Paus: Kulturelle Prägungen - besonders in Westdeutschland -, fehlende Infrastruktur, ungleiche Bezahlung, das Steuerrecht - es ist ein Mix aus Gründen. Wo es keine unterstützende Infrastruktur gibt, kann man auch im Privaten nicht so leben, wie man es gern möchte. Der Staat muss dafür die Rahmenbedingungen schaffen.

Ich bin aber auch mit der Wirtschaft in intensivem Gespräch. Wir hatten eine Debatte beim Thema Fachkräftemangel über die Ausweitung der Wochenarbeitszeit - sprich, dass vielleicht die Männer einfach mehr arbeiten sollen. Ich bin froh, dass wir diese Debatte jetzt nicht mehr haben. Ich glaube, die Arbeitgeber haben festgestellt, dass sie das auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkt - Stichwort Arbeitskräftemangel - nicht durchsetzen können. Sie müssen vielmehr stärker hinschauen: Was sind denn die Bedürfnisse von meinen Beschäftigten?

Ich appelliere an die Arbeitgeber, daran zu arbeiten, dass wir mehr Partnerschaftlichkeit hinbekommen. Wenn tatsächlich Frauen so viel mehr arbeiten können, wie sie wollen, und Männer so viel weniger arbeiten können, wie sie wollen, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass wir beim überwiegenden Teil der Paare am Ende netto mehr Wochenstunden haben. Das wäre eine Win-Win-Situation für alle: für die Familien, die Unternehmen und auch für uns insgesamt als Volkswirtschaft.