

Sehr geehrte Kultusministerinnen und Kultusminister,
wir jungen Geflüchteten von „Jugendliche ohne Grenzen“ wenden uns heute mit einem dringenden Appell an Sie. Als Verantwortliche für Bildung in unserem Land tragen Sie eine Verantwortung dafür, Chancengleichheit und Zugang zu Bildung für alle jungen Menschen zu gewährleisten. Aber das ist im Moment nicht der Fall. Uns werden Bildungschancen genommen und wir stehen unter enormem Druck und können nie durchatmen. Gemeinsam fordern wir, dass junge Geflüchtete das gleiche Recht auf Bildung und Bildungspausen erhalten wie alle anderen Menschen in Deutschland. Bitte setzen Sie sich in Ihrem Zuständigkeitsbereich aber auch bei den InnenpolitikerInnen auf Bundes- und Landesebene für uns ein!
Wer Angst vor einer Abschiebung hat, kann schlecht lernen. Schulen und Ausbildungsstätten müssen sichere Orte für uns sein, aus denen nicht abgeschoben werden darf. Es wurden zwar in den letzten Jahren Verbesserungen geschaffen, aber es gibt so viele Hindernisse - wie Vorduldungszeiten beim Bleiberecht (§ 25a AufenthG), der erforderlichen Lebensunterhaltssicherung bei der neuen Aufenthaltserlaubnis für die Ausbildung (§ 16g AufenthG n.F.), die für uns eine schulische Berufsausbildung jetzt praktisch unmöglich macht, und viele Hürden mehr - dass wir immer noch in Angst leben müssen.
Außerdem werden SchülerInnen und Studierende bei den Regelungen oft vergessen und es wird vor allem an Menschen in betrieblicher Ausbildung gedacht. So entsteht indirekt ein Zwang zu einer betrieblichen Berufsausbildung, statt freier Wahl des Bildungsweges. Wir fordern, dass Bildung - egal ob durch Schule, Ausbildung oder Studium - zu einem sicheren Aufenthalt führt. Arbeitsverbote, die auch eine betriebliche Ausbildung verhindern, müssen abgeschafft werden (§§ 60a Abs. 6; 60b Abs. 5 S. 2 AufenthG; § 61 AsylG).
Es braucht außerdem Erleichterungen bei der Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltsrechts, der Niederlassungserlaubnis auch für volljährig eingereiste SchülerInnen, Auszubildende in einer schulischen Berufsausbildung und Studierende. Wie sollen wir Rentenversicherungsbeiträge für 60 Monate nachweisen, wenn wir uns für Bildung statt Niedriglohn-Arbeit entscheiden? Die Bildungszeit sollte daher genauso wie Rentenversicherungsbeiträge berücksichtigt werden (§ 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AufenthG ändern).
Wir können auch nicht immer nur Integrationsmaschinen sein. Auch wir brauchen mal eine Pause - wie alle jungen Menschen. Derzeit wird aber vielen Menschen die Aufenthaltserlaubnis entzogen, wenn sie den Bildungsweg wechseln oder mal eine Pause einlegen. So wird zum Beispiel die Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG für „gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige“ nur dann unabhängig von der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung erteilt, wenn sie sich in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung oder einem Hochschulstudium befinden (§ 25a Abs. 1 S. 2 AufenthG). Auch die neue Ausbildungsaufenthaltserlaubnis wird entzogen werden, wenn die Ausbildung unterbrochen wird (vgl. § 60c Abs. 4 AufenthG; § 16g Abs. 7 AufenthG n.F.). Dies erzeugt einen enormen Druck, sich keine Pause „leisten“ zu dürfen. Jeder junge Mensch sollte die Möglichkeit haben, eine Bildungspause einzulegen, vergleichbar mit dem „Work & Travel“ für deutsche Jugendliche. Daher fordern wir, dass eine Unterbrechung von bis zu einem Jahr ohne negative Folgen für den Aufenthaltsstatus möglich sein muss (§§ 25a Abs. 1 S. 2; 25b Abs. 1 S. 3; 16g Abs. 7 AufenthG ändern).
Aktuell endet die Schulpflicht in den meisten Bundesländern mit dem 18. Lebensjahr. Dies bedeutet, dass Menschen, die mit mehr als 16 Jahren einreisen, meist keine Möglichkeit auf weiterführende Bildung haben oder überhaupt keinen Schulabschluss machen können. Wir fordern ein Recht auf Schulbesuch für alle Jugendlichen und Heranwachsenden!
Ein weiteres Problem ist, dass ankommenden geflüchteten Kindern und Jugendlichen, solange sie noch in Aufnahmeeinrichtungen leben, in vielen Bundesländern kein Zugang zum regulären Schulsystem gewährt wird. Wir fordern eine Regelbeschulung ab Anfang an anstatt Ersatzunterricht! Wenn wir dann in Regelschule dürfen, müssen wir uns oft selbst um Schulplätze kümmern. Das alles kurz nach der Ankunft zu machen ist sehr schwer und darum funktioniert es oft nicht. Es ist Aufgabe der Behörden, sich schnell um Schulplätze zu kümmern, nicht der Jugendlichen selbst. Die Kommunen und das Land müssen sicherstellen, dass Informationen über das Schulangebot zugänglich sind und die zuständigen Behörden überall in Deutschland jungen Menschen helfen, Regelschulplätze zu finden. Zudem fordern wir eine systematische Erfassung des Beschulungsbedarfs von neuankommenden Kindern und Jugendlichen und deren Eltern durch die zuständigen Behörden und eine bedarfsgerechte Unterstützung bei der Suche nach Schulplätzen.
Wenn wir nach Deutschland kommen, haben wir bereits Bildungserfahrung, sprechen oft mehrere Sprachen und besitzen fachliche Fähigkeiten. Leider werden diese Fähigkeiten aufgrund von sprachlichen Barrieren nicht ausreichend anerkannt. Das demotiviert, schmerzt und führt dazu, dass Fähigkeiten verlernt statt ausgebaut werden.
Wir fordern daher die Berücksichtigung von individuellen Bildungsbiographien, Bildungsmotivation, Familien- und Lebenssituation z.B. durch muttersprachliche Eingangstest, leichtere und fairere Anerkennung von Zeugnissen oder durch die Möglichkeit der Herkunftssprachenanerkennung als zweite Fremdsprache zu jedem Zeitpunkt im Schuljahr.
Bei Prüfungen in Ausbildung und Schule muss außerdem unbedingt sichergestellt werden, dass ausreichend Zeit für Nicht-MuttersprachlerInnen zur Verfügung steht und Prüfungen sprachsensibel gestaltet werden. Wenn ich sehr gut in Mathe bin aber die Textaufgaben nicht verstehe, kann ich meine Fähigkeiten nicht zeigen. Das ist ungerecht und führt zu schlechten Abschlüssen oder im schlimmsten Fall dazu, dass Schule oder Ausbildung ohne Abschluss beendet werden.
Es liegen zahlreiche Konzepte dafür vor, Texte so zu gestalten, dass sie leichter zu verstehen sind, ohne dass Sinn verloren geht. Der Nachteilsausgleich muss für nicht deutsche MuttersprachlerInnen gelten, allen bekannt und leicht zugänglich sein. Der Sprachstand, nicht das Einreisedatum sollten dabei entscheidend sein. Wir rufen Sie dazu auf, unsere Forderungen ernst zu nehmen und uns zu unterstützen. Bildung ist der Schlüssel zur Integration und Teilhabe und es ist Ihre Verantwortung, sicherzustellen, dass dieser Schlüssel für alle gleichermaßen zugänglich ist. Bitte setzen Sie sich für ein gleiches Recht auf Bildung und Bildungspausen für alle ein!