Frankfurt a. M. (epd). Ein Baby zu haben, das strampelt, lächelt, gluckst und jauchzt, stellen sich viele werdende Eltern wunderschön vor. Doch haben Frauen in Deutschland im vergangenen Jahr nur 739.000 Kinder zur Welt gebracht - 56.500 oder 7,1 Prozent weniger als 2021. Die negative Entwicklung setzt sich weiter fort: Von Januar bis Mai 2023 kamen 5,9 Prozent weniger Kinder auf die Welt als im entsprechenden Vorjahreszeitraum.
Dabei waren in den 2010er Jahren die Geburtenraten sogar leicht angestiegen. Nachdem Deutschland seit vier Jahrzehnten zwischen 1,2 und 1,4 Kindern pro Frau hin- und herpendelte, waren es unmittelbar vor Corona rund 1,5. Deutschland hatte sich damit von einem der Schlusslichter in Europa ins Mittelfeld vorgearbeitet. 2022 waren es dann nur noch 1,46.
In der Corona-Pandemie sieht der Familiensoziologe Martin Bujard, stellvertretender Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden, einen der Gründe für den aktuellen Rückgang. Inflation und Krieg könnten hinzukommen. „Ökonomische Krisen wirken sich in der Regel auf die Geburtenrate aus“, sagt Bujard. Insofern sei die aktuelle Entwicklung nicht unbedingt eine Überraschung.
Neben solchen kurzfristig wirksamen Faktoren, die den aktuellen Rückgang der Geburtenziffern erklären, gibt es weitere Gründe, die langfristig wirken. Die Studie „Faktoren der Kinderlosigkeit in Ostdeutschland“ des ifo Instituts Dresden hat sogenannte subjektive Faktoren, die Einfluss auf die Geburtenentwicklung haben, untersucht. Das Ergebnis: Ostdeutsche Paare bleiben vor allem deshalb oft kinderlos, weil sie ausreichend Zeit haben wollen für ihre Hobbys, ihre Freunde und ihren Beruf.
In einer weiteren Studie des Marktforschungsinstituts Splendid Research wurden mehr als 1.000 Frauen ohne Kinderwunsch zwischen 18 und 50 Jahren befragt, warum sie kein Kind wollen. Hier gab fast ein Drittel (31 Prozent) an, dass für sie hohe Kosten ein Grund seien, auf Kinder zu verzichten.
Dabei sind die Kinderlosen nach Bujards Auskunft gar nicht der Hauptgrund für sinkende Geburtenraten. „Zu 70 Prozent beruht der Rückgang darauf, dass es weniger Kinderreiche gibt“, sagt er. Also jene, die früher drei oder mehr Kinder bekommen hätten, das aber heute nicht mehr tun. Denn der durchschnittliche Kinderwunsch in Deutschland liegt dem Familiendemografischen Panel (FReDA) zufolge bei 1,9. Etwa 32 Prozent der jungen und mittleren Generation halten drei oder mehr Kinder für ideal.
Warum viele ihrem Wunsch nicht folgen, habe wiederum mehrere Gründe. „Der Wunsch von Frauen, berufstätig und unabhängig zu sein, hat seit Jahrzehnten zugenommen“, nennt er einen. Einerseits wollten Frauen also arbeiten und Geld verdienen. Andererseits müssten viele es auch. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten lassen eine klassische Alleinverdiener-Partnerschaft, in der einer der Partner sich nur um die Kinder kümmert, kaum mehr zu.
Hier kommt die Rolle der Kinderbetreuung ins Spiel, die eine Berufstätigkeit ermöglichen würde. Aber die Nachfrage nach Betreuungsplätzen übersteigt - vor allem in westlichen Bundesländern - das Angebot. „Es gibt teilweise eine Unsicherheit bei Eltern, ob sie für ihre Kinder einen Platz finden“, erklärt Bujard. „Und Unsicherheit ist Gift für die Familienplanung.“
Es gebe weitere Faktoren, die Menschen davon abhalten, eine größere Familie zu gründen, sagt Bujard. Er nennt die „Zwei-Kinder-Norm“: Autos oder Wohnungen seien heute oft auf die klassische Zweikinderfamilie zugeschnitten.
Aus Befragungen wisse man, dass es heute kaum noch als „asozial“ gilt, viele Kinder zu haben, berichtet der Forscher. Aber auch wenn viele heute nicht mehr selber so dächten, erwarteten sie, dass andere es täten und sie schief anguckten, wenn sie mehr als zwei Kinder hätten. „Allein die Annahme von kultureller Stigmatisierung kann hemmend wirken“, erklärt er.
Will man die Geburtenrate steigern, sollte sich der erste Blick auf die Kinderbetreuung richten. Welche Rolle die spielt, macht Bujard am Anstieg der Zahlen in den 2010er Jahren fest. Die macht er neben der Einführung des Elterngelds vor allem an dem Ausbau der Betreuungsplätze fest.
Wunder sind davon aber nicht zu erwarten. Denn nach Auskunft des Statistischen Bundesamts ist eine der wichtigsten langfristigen Ursachen für die sinkende Geburtenzahl die rückläufige Zahl der Frauen im Alter von Ende 20 bis Ende 30, also der Altersspanne, in der die meisten Kinder geboren werden. Und daran würden auch mehr Kita-Plätze nichts ändern.