Buchen (epd). Simon Schneidereit spielt mit seiner elfjährigen Tochter Federball. Die beiden wirken ausgelassen. Lange Zeit war das nicht so. Seit dem Tod seiner Ehefrau vor einem Jahr ist das Familienleben der Schneidereits auf den Kopf gestellt. „Wir mussten unseren Familienalltag neu strukturieren“, sagt der Familienvater.
Die Diagnose Gebärmutterhalskrebs bedeutete für die gesamte Familie einen Einschnitt in ihren Alltag: „Ich pflegte meine Frau selbst. Ich hatte also eine Dreifachbelastung durch Pflege, Vollzeitjob und Haushalt“, erinnert sich der 38-Jährige. Am 31. Mai 2022 starb seine Frau nach dreijähriger Erkrankung.
Für seine Kinder musste Schneidereit weiter funktionieren. Denn die leiden besonders. Sein Sohn Mads hat das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS. Der Neunjährige musste bereits die erste Klasse wiederholen. Tochter Ida erkrankte durch den Verlust ihrer Mutter an einer Angststörung. „Ich habe Angst, dass meinem Papa etwas passiert“, sagt die Elfjährige. Um ihre Verlustangst in den Griff zu bekommen und mehr Zeit mit seinen Kindern zu verbringen, beschloss Schneidereit, eine Vater-Kind-Kur zu beantragen. Doch der Weg dorthin stellte sich als schwierig heraus.
„Viele sind immer noch der Meinung, solche Kuren seien nur für Mütter, Väter bräuchten das nicht“, schildert der Dachdecker im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er hatte rund zehn Gespräche mit verschiedenen Kliniken deutschlandweit geführt - ohne Erfolg. „Es fielen Sätze wie ‚Wir wollen keine sexuellen Handlungen haben. Wir haben nicht die Räume, um Männer und Frauen zu trennen.‘“
Auch die Unterstützung durch seine Krankenkasse hielt er für ungenügend. „Sie hatten mir zwei DINA-4 Seiten gereicht mit möglichen Kuren und wünschten mir viel Glück“, sagt er. Für sie sei es damit erledigt gewesen. Nach langer Suche fand Schneidereit, der in Schleswig-Holstein lebt, schließlich einen Platz - im rund 800 Kilometer entfernten „Gesundheitszentrum an der Höhle“ in Buchen im Odenwald.
Steffen Kreß ist stellvertretender Geschäftsführer der Klinik. Er betont: „Bei uns ist jeder willkommen.“ Eine Quote gibt es nicht. Doch nur neun Prozent der Elternteile, die eine Kur in seiner Klinik machen, sind Väter. „Das Beantragen einer Vater-Kind-Kur ist immer noch schambehaftet. Väter dürfen keine Schwäche zeigen“, sagt Kreß. Beruf und soziale Prägung spielten hier eine große Rolle. „Bei einem Sozialarbeiter ist die Akzeptanz größer als bei einem Bauarbeiter oder einem Metzger.“ Witze und Neckereien der Kollegen seien hier keine Seltenheit.
Schneidereit kann das so nicht bestätigen. Der Dachdecker hat viel Zuspruch von seinen Handwerkerkollegen erhalten. „Sie sagten mir: Nehmt euch die Auszeit, um den Schmerz und die Trauer zu verarbeiten, und kommt gestärkt zurück. Ihr habt euch die Ruhe verdient.“ Auch von den anderen Müttern im Gesundheitszentrum habe er sich als Mann und Vater zu keinem Zeitpunkt unerwünscht gefühlt.
Psychologin Ramona Trautz arbeitet seit fünf Jahren in der Klinik an der Höhle. Dass auch Männer eine Kur machen, hält sie für eine Bereicherung. „Gerade in Gruppentherapien haben Männer oftmals einen anderen, pragmatischeren Blick auf die Dinge“, sagt sie.
Ein Kuraufenthalt dauert drei Wochen. Schneidereit hätte gerne um eine weitere Woche verlängert. „Erst nach zwei Wochen hatte ich das Gefühl, anzukommen und mich zu entspannen“, sagt er. Davor habe er sich noch sehr im „Alltagswahnsinn“ befunden. In zwei Jahren habe er noch einmal die Möglichkeit, eine Kur zu machen. Diese wolle er nutzen. Seine Kinder sind von der Idee begeistert. „Wir wollen unbedingt noch mal hierher“, sind sich die beiden einig.
Schneidereit hofft dann auf eine reibungslose Beantragung. Selbst auf dem Antrag für die Kur, den er bei seiner Kasse einreichen musste, stand groß „Mutter-Kind-Kur“. „Das habe ich demonstrativ durchgestrichen und Vater-Kind-Kur darauf geschrieben.“