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Sozialwirtschaft

Diakoniepräsidentin: "Die Lage der Einrichtungen ist todernst"




Eine aus Spanien abgeworbene Erzieherin in einer Bremer Kita
epd-bild/Dieter Sell
Die Diakonie in Bayern befürchtet: Der Fachpersonalmangel in sozialen Einrichtungen wird früher oder später alle Menschen betreffen. Wer ein behindertes Kind hat oder pflegender Angehöriger ist, merkt es zuerst.

Nürnberg (epd). „Die Auswirkungen betreffen die ganze Gesellschaft“, sagt Bertram Neumann. Der Leiter des Seniorenzentrums Martha-Maria in Nürnberg erhält täglich 10 bis 15 Anfragen, ob ein Pflegeplatz in seiner Einrichtung frei ist, berichtet er bei einer Pressekonferenz der Diakonie am 30. Mai in Nürnberg. Nur ein- bis zweimal pro Woche kann er ein Anmeldeformular verschicken - weil ihm das Personal fehlt, die neue Kunden betreuen könnten. Wegen der hohen Arbeitsbelastung gehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Heims in Teilzeit. Aber auf Zeitarbeit möchte sich Neumann nicht einlassen, weil ihm die zu teuer kommt. „Die Situation geht an denen raus, die keinen Platz bekommen“, stellt er fest.

Ohne Leiharbeit geht es nicht mehr

Auch die Jugendhilfe fehlen Fachkräfte, beschreibt der Leiter des Martin-Luther-Hauses in Nürnberg, Christian Debebe, die Lage. „Das Problem hat uns überrannt“, stellt er fest. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kündigten wegen der hohen Belastung, viele erreichten in den kommenden Jahren das Rentenalter, es komme zu wenig Nachwuchs nach. Ohne Fachkräfte von Zeitarbeitsfirmen kann Debebe den Normalbetrieb in den Wohngruppen nicht mehr aufrecht erhalten, sagt er. Diese vermittelten Arbeitnehmer würden ihn aber das 1,8-fache des Stammpersonals kosten.

Die Diakonie Bayern prognostiziert, dass soziale Einrichtungen in Bayern schließen müssen. Wenn nicht mehr Fachpersonal gefunden werde, seien davon der Pflegebereich, die Kinder- und Jugendfürsorge und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung betroffen, warnte die Präsidentin der Diakonie Bayern, Sabine Weingärtner: „Die Lage ist im wahrsten Wortsinn todernst.“ Es gehe nicht mehr darum, wie gut die Versorgung ist, sondern darum, „ob es diese Einrichtungen morgen noch geben wird“.

Den Personalmangel spürten alle Anbieter sozialer Dienste, sagte sie. So habe etwa eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung der AWO in Ochsenfurt im September 2022 schließen müssen. Das Katharina-von Bora-Altenheim in Michelau machte ebenfalls zu, weil dort nicht mehr genügend Betten belegt werden konnten.

„Chronisch unterfinanziert“

Gravierend sei das Problem auch in den Erziehungsberatungen, die „nur mit größten Mühen“ von den Trägern aufrechterhalten werden könnten, sagte Weingärtner. Diese Angebote seien „chronisch unterfinanziert“, würden nach Corona aber mehr denn je gebraucht. Daher würden die Träger Eigenmittel aufbringen und so Kosten übernehmen, „die eigentlich der Staat bezahlen sollte“.

„Ein Weiter so wird den Kollaps bedeuten“, schilderte die für das Fachgebiet Altenhilfe zuständige Diakonie-Vorständin Sandra Schuhmann die Situation. Der Personalmangel sorge in Senioreneinrichtungen für leerstehende Betten. Somit würden den Trägern Einnahmen fehlen. Einen der Gründe für wirtschaftliche Schieflagen macht auch Schuhmann bei der Leiharbeit aus. Preiswucher von Vermittlungsunternehmen müssten Grenzen gesetzt werden, forderte sie.

Laut Schuhmann begreift die Politik allmählich „den Ernst der Lage“. Getroffene Maßnahmen würden aber zu spät kommen oder seien „unterdimensioniert“, weil die steigenden Energiekosten und die Inflation die Einrichtungen zusätzlich bedrohten.

Jutta Olschewski