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Diakonie Berlin warnt vor Kollaps für soziale Infrastruktur




Andrea Asch
epd-bild/Diakonie
Die Chefin der Berliner Diakonie, Andrea Asch, hat den neuen Senat zur Fairness gegenüber der Wohlfahrt aufgefordert. Während laut Koalitionsvertrag die Bezahlung der Staatsbediensteten angehoben werden soll, seien die freien Träger "für Lohnsteigerungen auf die Gnade der Verwaltung angewiesen".

Berlin (epd). Die Berliner Diakonie sieht den neuen Senat vor großen Aufgaben. Eine weitere Spaltung der Gesellschaft müsse verhindert werden. Dies gelte auch für bezahlbaren Wohnraum: „Wohnen darf kein Luxus sein“, sagte die Vorständin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Andrea Asch, im epd-Interview. Die Fragen stellte Lukas Philippi.

epd sozial: Vor welchen sozialpolitischen Herausforderungen steht der neue Berliner Senat, was sind die drei größten „Baustellen“?

Andrea Asch: Eine krisenfeste soziale Infrastruktur geht in der größten Metropole Deutschlands nur Hand in Hand mit den Wohlfahrtsverbänden. Der Koalitionsvertrag lässt dieses Verständnis an einigen Stellen erkennen. Umso mehr irritieren die zahlreichen Maßnahmen zur Bevorzugung öffentlicher Einrichtungen und ihrer Mitarbeitenden. Ein Beispiel: Die Bezahlung der Landes- und Bezirksbediensteten soll auf Bundesniveau angehoben und weiterhin um eine Hauptstadtzulage aufgestockt werden, während wir für Lohnsteigerungen für unsere Mitarbeitenden auf die Gnade der Verwaltung angewiesen sind. Als einer der größten Anbieter sozialer Hilfen in der Stadt sagen wir: Es braucht einen sinnvollen, gemeinsamen Fahrplan zur Fachkräftesicherung.

Außerdem müssen wir jetzt mit vereinten Kräften Spaltungstendenzen in unserer Stadtgesellschaft stoppen. Die Unterstützung der Schwächsten darf nicht an wirtschaftlichen Interessen oder Law-and-Order-Politik scheitern. Für eine zukunftsfeste Stadt muss die Politik Kindern und Jugendlichen ein klares Signal geben: In Berlin hat jeder und jede eine soziale Perspektive, Ihr dürft mitmachen, egal, wo Ihr herkommt: Eure Migrationsgeschichte ist eine Chance, keine Bedrohung, wir helfen euch, nicht durchs Netz zu fallen.

Das gilt auch für unsere Mitbürger, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Wohnung bezahlen sollen. Wohnen darf kein Luxus sein! Es braucht ganz konkrete und wirksame Maßnahmen für Mieterschutz, sozialen Wohnungsbau und gemeinwohlorientierten Neubau. Und jetzt ist es an der Zeit, dass die gute Vorarbeit von Wohlfahrtsverbänden und Senat zur Beendigung der Wohnungslosigkeit Früchte trägt: Dieser Marathon muss noch in der laufenden Regierungsperiode in die Zielgerade einbiegen.

epd: Unter dem rot-rot-grünen Senat war die bisherige Sozialsenatorin Katja Kipping in der Öffentlichkeit sehr präsent: Was erwarten Sie von Ihrer Nachfolgerin Cansel Kiziltepe?

Asch: Die Zusammenarbeit unserer Diakonie mit Senatorin Kipping war von großer Offenheit, Vertrauen und einem kontinuierlichen fachlichen Austausch geprägt. Wir gehen davon aus, dass Frau Kiziltepe den Bedarfen der diakonischen Träger und ihren zehntausenden Fachkräften und Ehrenamtlichen mit der gleichen Wertschätzung begegnen wird. Sie ist in unserer Stadt aufgewachsen, kennt die sozialpolitischen Herausforderungen seit ihrer Jugend und hat in landes- und bundespolitischen Ämtern ein großes Verständnis für gesellschaftliche Fragen gezeigt. Ihre Expertise in arbeits- und wohnungspolitischen Fragen und ihre Verbindungen in die Freie Wohlfahrtspflege sind eine gute Basis für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Wir freuen uns darauf, Frau Kiziltepe aus der aktiven Bundespolitik in die Themen der Landespolitik fachlich zu begleiten und ihre anpackende Art zu unterstützen.

epd: Was ist im alten Senat nicht gut gelaufen?

Asch: Die Haushaltsentscheidungen des letzten Senats tragen eine eindeutig soziale Handschrift. Viele gute Pläne konnten allerdings nicht umgesetzt werden. Zum Teil nachvollziehbar: Die Amtszeit war extrem kurz, Krise um Krise musste akut bewältigt werden. Allerdings kritisieren wir als Diakonie deutlich, dass den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege keine Gleichbehandlung mit öffentlichen Einrichtungen in Aussicht gestellt wurde: Wir übernehmen zentrale sozialstaatliche Aufgaben, ziehen aber weiterhin den Kürzeren bei wichtigen Investitionen in unsere Gebäude wie Krankenhäuser und Kitas und Mitarbeitende. Wir fordern gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Wenn unsere Träger das auf Dauer alleine stemmen müssen, kann das den Kollaps für die soziale Infrastruktur in unserer Hauptstadt bedeuten.