Berlin (epd). Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, sieht eine „Zeitenwende“ beim Thema Antidiskriminierung in Deutschland. Die Haltung in der Bevölkerung habe sich in den vergangenen Jahren „grundlegend geändert“, sagte Ataman am 25. April in Berlin. Sie bezog sich auf eine kurz zuvor veröffentlichte repräsentative Studie der Bertelsmann Stiftung über die Einstellung verschiedener gesellschaftlicher Milieus zum Thema Diskriminierungsschutz und zu Diskriminierungserfahrungen.
Danach geben drei Viertel der Befragten an, sich für Benachteiligungen bestimmter Gruppen in der Gesellschaft zu interessieren, und 88 Prozent sehen Antidiskriminierung als eine wichtige politische Aufgabe. „Antidiskriminierung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, folgerte Ataman.
Die aktuelle Studie unter dem Titel „Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft“ dokumentiert den Wandel in der Einstellung und Wahrnehmung des Themas in den vergangenen 15 Jahren. Im Vergleich zu einer ähnlich ausgerichteten Befragung von 2008 hat sich die Aufmerksamkeit für Benachteiligungen in fast allen gesellschaftlichen Milieus deutlich erhöht. Zugleich berichten Menschen sehr viel häufiger von eigenen Diskriminierungserfahrungen. Die meisten sehen die Politik in der Pflicht, die Probleme anzugehen.
Ataman kritisierte, dass die Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP die versprochene Reform des Antidiskriminierungsrechts noch immer nicht in die Wege geleitet habe. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) habe bisher weder Eckpunkte noch einen Gesetzentwurf vorgelegt, sagte sie. Die Gesellschaft fordere dies inzwischen aber von der Politik ein, sagte Ataman mit Blick auf die Umfrageergebnisse. Der Studie zufolge sieht eine Mehrheit von 56 Prozent vorrangig die Politik in der Verantwortung, 44 Prozent sehen diese Aufgabe bei den Ämtern und Behörden.
Die Umfrage zeigt auch, wie Diskriminierungserfahrungen verteilt sind. 35 Prozent der Menschen mit Einwanderungshintergrund äußerten in der Befragung, sie seien in den vergangenen zwölf Monaten sehr oft oder manchmal wegen ihrer Herkunft oder aus rassistischen Motiven diskriminiert worden. Gut ein Viertel dieser Gruppe gab an, wegen ihrer Religion oder Weltanschauung herabgesetzt worden zu sein.
In der Gesamtbevölkerung sind die Zahlen niedriger, haben sich aber in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt - was die Forscherinnen und Forscher der Bertelsmann Stiftung vor allem mit dem wachsenden Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland und einer allgemein stärkeren Sensibilisierung für Benachteiligungen erklären.
Demnach gaben 13 Prozent der aktuellen Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer an, dass sie sich wegen ihrer ethnischen Herkunft, beispielsweise aufgrund ihrer Sprache, des Namens oder ihrer Kultur, aus rassistischen oder antisemitischen Gründen oder wegen ihrer Herkunft aus einem anderen Land diskriminiert fühlen. 2008 hatten den Angaben zufolge nur sechs Prozent wegen ihres „fremdländischen Aussehens“ und sieben Prozent als „Ausländer“ oder „Ausländerin“ Benachteiligung empfunden. Von Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung hatten 2008 sechs Prozent der Befragten berichtet, 2022 waren es 13 Prozent.
Besonders sensibel für das Thema Diskriminierung und die Beurteilung eigener Erfahrungen sind der Studie zufolge junge Menschen unter 30. Besonders wenig können Menschen mit dem Thema anfangen, die sehr konservativ geprägt sind oder unter schwierigen Umständen leben. Sie glauben auch nicht, dass Antidiskriminierungspolitik langfristig dazu führt, dass es allen in der Gesellschaft besser geht.
Für die Umfrage wurden den Angaben zufolge vom Sinus-Institut im Auftrag der Bertelsmann Stiftung rund 2.000 Menschen der deutschsprachigen Wohnbevölkerung ab 18 Jahren repräsentativ im Herbst 2022 online und telefonisch befragt. Für den Vergleich zu 2008 wurden Fragen aus der vom Sinus-Institut 2008 erstellten Studie „Diskriminierung im Alltag“ aufgegriffen.