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Familie

Wenn Hilfebedürftige Teil der Familie sind




Familie Schad mit Karin Mayländer-Friedrich (re.) vom Hilfsverein
epd-bild/Uta Rohrmann
Der Hilfsverein für psychisch Kranke Rems-Murr vermittelt chronisch psychisch Kranke in Familien. Wenn "die Chemie stimmt", ist es ein Gewinn für alle Beteiligten.

Aspach (epd). Familie Schad hat ein großes Haus, ein großes Herz und einen langen Esstisch. In dritter Generation gehen im Aspacher Karlshof nicht nur viele Gäste ein und aus, sondern haben auch Menschen ein Zuhause gefunden, denen Familienanschluss und Unterstützung in der Tagesstrukturierung gut tut. „Bei uns ist immer was los“, freut sich die 14-jährige Lotte. Sie war damals drei, als der erste Mitbewohner einzog und ihre Schwester Lene ein halbes Jahr. „Unsere Kinder kennen es nicht anders“, sagt Tobias Schad.

Offenes Verhältnis zur Familie

Angefangen hatte alles mit einem neuen Mitbewohner: Als der Langzeitarbeitslose mit einigen körperlichen Einschränkungen seinerzeit aus einer therapeutischen Wohngemeinschaft auszog und zu Schads kam, war er gleich mittendrin im vollen Leben: Lenes Taufe wurde gefeiert und das Haus war voller Gäste. „Wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden“, sagt der gebürtige Rostocker, der sich „der Gemeinschaft wegen“ für das Mitleben bei den Schads entschied. Besonders schätzt er das offene Verhältnis zu der Familie: „Über Probleme wird gesprochen.“ Dass es mitunter turbulent zugeht, macht ihm nichts aus: „Das sind Kinder - ist normal“, sagt er verständnisvoll.

Vor knapp acht Jahren kam noch eine Mitbewohnerin dazu, die wie er durch den Hilfsverein für psychisch Kranke Rems-Murr vermittelt wurde und die ebenfalls ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Auch ihr gefällt das Leben bei Familie Schad sehr gut, obwohl sie als Alleinlebende zuvor an Ruhe gewohnt war und sich Hanne-Rose Schad zuweilen wegen der Schreiphasen ihres Jüngsten Gedanken machte. Doch die ruhige, freundliche Schwäbin wird gerade von dem heute Fünfjährigen sehr geschätzt. „Lorenz will immer mit ihr spielen“, sagt seine Mutter.

Die Chemie stimmt

Gemeinsame Mahlzeiten und der Austausch am großen Esstisch verbinden die Hausgemeinschaft ebenso wie die morgendliche Autofahrt nach Backnang zur Schule und zur Werkstatt der Paulinenpflege. Und beim Tischdecken und anderen Arbeiten, die im und ums Haus anfallen, packt jeder mal mit an. Die Chemie zwischen den Hausbewohnern stimmt. „Wir hatten echt Glück miteinander“, sagt Hanne-Rose Schad, die als studierte Sozialpädagogin früher in einer Einrichtung für psychisch Kranke gearbeitet hat.

Dennoch gibt es auch Rückzugsmöglichkeiten. Die Wohnbereiche verteilen sich auf drei Stockwerke - von der Familie scherzhaft als Oberhaus, Unterhaus und Mittelhaus bezeichnet. Die Bewohner mit Handicap haben beide ein eigenes Zimmer und teilen sich Bad und Küchenzeile. Auch Urlaub und Zeiten, die die Familie ganz für sich allein hat, sind möglich. Während dieser 28 Tage im Jahr gibt es auch für die Gäste Tapetenwechsel - daher seien auch Kurzzeit-Gastgeber gefragt, erklärt Karin Mayländer-Friedrich vom Fachbereich Betreutes Wohnen in Familien des 1975 gegründeten Hilfsvereins.

Fachkenntnisse nicht nötig

„Nicht nur Familien, sondern auch Paare und Einzelpersonen können sich bei uns melden, wenn sie sich vorstellen können, eine Person mit chronisch psychischer Erkrankung, deren akute Krankheitsphase abgeklungen ist, bei sich aufzunehmen“, sagt sie. Dazu brauche es keinerlei Fachkenntnisse, sondern neben einem eigenen Zimmer von mindestens 16 Quadratmetern vor allem Offenheit für die Gäste. „Die Mitbewohner erleben den ganz normalen Alltag ihrer Gastgeber mit und können sich an diese Struktur anlehnen wie an ein Geländer“, sagt Mayländer-Friedrich.

Zu den Vorteilen gegenüber ambulant betreutem Wohnen gehöre auch, dass in der Familie Dinge gleich besprochen werden könnten - man müsse nicht warten, bis ein Sozialarbeiter kommt, der ein offenes Ohr hat. Die „gelebte Inklusion“ sei eine Bereicherung für alle Beteiligten.

Uta Rohrmann