Ansbach, Berlin (epd). Dunkelheit. Schmerzen. Fast 24 Stunden am Tag im Bett. So sieht Sarah Buckels Leben seit ihrer Ansteckung mit Covid-19 im Januar 2022 aus. Davor hatte die junge Frau ein erfülltes Leben geführt. „Ich war lebensfroh, habe gerne genäht und gekocht und meinen Beruf als Kinderpflegerin sehr genossen“, erinnert sich die 28-Jährige. Heute kann die Ansbacherin weder arbeiten, noch Hobbys nachgehen. „Ich kann mich kaum ablenken. Die Symptome quälen mich.“ Sie leidet an Herzrasen, Atemnot, Schüttelfrost und Panikattacken.
Trotz dreifacher Impfung hatte sich Buckel vor einem Jahr mit dem Coronavirus infiziert. „Es fühlte sich wie eine leichte Erkältung an“, sagt sie. Obwohl sie einen milden Verlauf hatte, leidet sie heute an Post Covid und dem Chronischen Erschöpfungssyndrom. Post Covid beschreibt anhaltende Beschwerden, die auch viele Wochen nach einer Ansteckung mit dem Coronavirus nicht verschwinden. „Die Diagnose ME/CFS kam Ende April 2022 hinzu“, berichtet sie.
Die Abkürzung ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom. Die Krankheit ist weitgehend unerforscht. Nach Zahlen der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS gab es vor der Corona-Pandemie weltweit etwa 17 Millionen Betroffene, in Deutschland um die 250.000. Die weitere Entwicklung der Zahlen durch Corona ist noch nicht erfasst.
Bhupesh Prusty vom Lehrstuhl für Virologie an der Universität Würzburg erforscht das Syndrom seit Jahren. Er sagt, die Pandemie habe ihm geholfen, die Entstehung von ME/CFS besser zu verstehen. „Wir glauben, dass es nach einer SARS-CoV-2-Infektion zu einer Reaktivierung vieler ruhender Viren kommt, die normalerweise im Körper inaktiv sind.“ Prusty hält diese Viren für den eigentlichen Treiber von Long Covid und ME/CFS.
Buckel kann seit ihrer Erkrankung ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen. „Mein Papa wohnt seit einem halben Jahr bei mir. Er übernimmt alles, vom Einkauf, über Kochen und Waschen bis hin zu meiner Pflege“, sagt die junge Frau, die nun Pflegegrad 2 hat.
Die Heidelberger Psychotherapeutin Bettina Grande behandelt viele Post-Covid- und ME/CFS-Betroffene. Sie betont: „Nicht die Erschöpfung, sondern das Post Exertional Malaise (PEM) ist das Kardinal-Symptom von ME/CFS.“ PEM beschreibt eine zeitverzögerte Verschlechterung des Zustands nach bereits geringer Anstrengung. „Es ist wichtig, PEM, auch 'Crashs' genannt, zu verhindern“, sagt Grande.
„Erkrankte müssen ihren Alltag so gestalten, dass sie unterhalb ihrer Belastungsgrenze bleiben“, rät sie. Eine Überschreitung dieser Grenzen könne zu einer dauerhaften Verschlechterung des Zustands führen. „Ich rate jedem, der sich mit Corona infiziert hat, sich sechs Wochen lang konsequent zu schonen.“
Auch Jan Niklas Lehmann leidet unter ME/CFS. „Es hat mein Leben zerstört. Ich bin arbeitsunfähig und bettlägerig“, sagt der 30-Jährige. Er hatte sich im Oktober 2020 mit dem Coronavirus infiziert. „Es war wie eine milde Erkältung“, erinnert er sich. Im Januar 2021 folgte dann der Crash. „Ich hatte extreme Kopf- und Muskelschmerzen und war unglaublich erschöpft. Selbst Staubsaugen kostete mich die Energie eines ganzen Tages“, sagt der Berliner.
Seit zwei Jahren ist Lehmann krankgeschrieben. Verlässt er das Haus, benötigt er Schutzkopfhörer, um einer akustischen Reizüberflutung entgegenzuwirken. Er habe bereits rund 16.000 Euro für Therapien aus eigener Tasche bezahlt, darunter 50 Sauerstofftherapien und fünf Blutwäschen. „Man hat das Gefühl, man ist als kranker Mensch nichts mehr wert. Wir vegetieren vor uns hin und niemand hilft uns“, klagt er.
„Ich habe keine Depressionen oder Angststörungen. Das ist nicht psychisch“, betont er. Sein Rückblick auf das Jahr 2022 ist ernüchternd. „Ich war kein einziges Mal im Kino oder beim Sport, habe jeden Tag Schmerzen. Ich will mein altes Leben zurück.“