Nürnberg (epd). Bei Frank Nonnenmacher aus Frankfurt am Main war es der Onkel, bei Ines Eichmüller aus Nürnberg der Uropa. Mitglieder der Familie, die unter den Nationalsozialisten als sogenannte „Asoziale“ oder „Gewohnheitsverbrecher“ in die Konzentrationslager gebracht wurden. In vielen betroffenen Familien ein Tabuthema, ebenso wie in der Gesellschaft.
Vor drei Jahren hat der Bundestag beschlossen, diese Menschen endlich als NS-Opfergruppe anzuerkennen. In Nürnberg wurde nun am 21. Januar ein Verband der Angehörigen gegründet. „Wir wollen in der Erinnerungskultur präsent sein“, erklärt der Mitinitiator und emeritierte Hochschulprofessor Nonnenmacher:
Stand der Holocaust an den europäischen Juden am Anfang der Aufarbeitung, erkämpften sich nach und nach auch andere Opfergruppen die Wahrnehmung der Öffentlichkeit: Kommunisten, Christen, Sinti und Roma oder Homosexuelle. Nahezu vollständig ausgeblendet aus Erinnerung, Forschung und Wiedergutmachung aber waren die Träger des sogenannten schwarzen oder grünen Winkels in den KZ: Mit ihnen kennzeichneten die Nazis die „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“.
Dass diese Menschen bisher kaum gesehen wurden, hat auch mit der Einschätzung von Überlebenden der Konzentrationslager zu tun. Eugen Kogon, der das KZ Buchenwald überlebte, schrieb in seinem Buch „Der SS-Staat“, von „üblen, zum Teil übelsten Elementen“, die andere Häftlinge schikanierten. Wer den grünen Winkel trug, stand in der Rangfolge der KZ-Gefangenen ganz unten. „Ein großer Teil dieser Menschen war so, dass man die Umwelt tatsächlich vor ihnen schützen musste“, schrieb die Wiener Ärztin Ella Lingens, selbst Gefangene in Auschwitz.
Erst spät nahm sich die historische Forschung dieses Themas an und begann ein differenziertes Bild von dieser Opfergruppe zu zeichnen. Zum Beispiel von den „Vergessenen Frauen von Aichach“ (siehe Kasten). Aus dem größten bayerischen Frauengefängnis wurden ab 1943 mindestens 326 Frauen nach Auschwitz deportiert, wo die meisten innerhalb weniger Wochen zu Tode kamen. Dabei handelte es sich um Gefangene in Sicherheitsverwahrung - Frauen, die wegen kleiner Diebstähle, Abtreibungen, Prostitution oder Betrugs mehrfach verurteilt waren.
Über die Nachkriegszeit schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages: „Tatsächlich fand die Diskriminierung der ‚Asozialen‘ in den Lagern durch das Aufsichtspersonal und die Mithäftlinge ihre Fortsetzung in der unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Opfergruppen in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften.“ Eine organisierte Interessenvertretung für diese Opfer des Nationalsozialismus habe es nie gegeben. „Die nach Kriegsende rasch gegründeten Opferverbände erkannten ehemalige ‚asoziale‘ und ‚kriminelle‘ Mithäftlinge nicht als Leidensgenossen an und lehnten es ab, diese als Mitglieder aufzunehmen oder deren Interessen wahrzunehmen. Vielmehr wurden sie als lästige Konkurrenten im Kampf um Anerkennung und Entschädigung empfunden.“
Demgegenüber stellte der Bundestag nach 75 Jahren fest: Niemand wurde zurecht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält und ermordet. Das war der Initiative Nonnenmacher zu verdanken, der es über eine Petition auf den Weg gebracht hatte.
„Der Bundestag hat beschlossen, dass die jahrzehntelange Vernachlässigung der Forschung angegangen wird, aber wo bleiben dafür die finanziellen Mittel?“, beschreibt Nonnenmacher die Auslöser für die Gründung des Angehörigenvereins. Als Verband könne man mehr politischen Einfluss geltend machen. Ungeklärt sei auch die Erforschung der Verfolgungsinstanzen, welche Rolle habe dabei etwa die Kriminalpolizei gespielt?
Jetzt hat sich am 21. Januar in Nürnberg der „Verband für die “Erinnerung an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus„ gegründet. “Zum ersten Mal seit über 75 Jahren kamen Angehörige dieser in der deutschen Gesellschaft so lange verschwiegenen und diskriminierten NS-Opfergruppen zusammen„, sagte Frank Nonnenmacher, der Vorsitzende des neuen Verbandes dem Evangelischen Pressedienst (epd. Ines Eichmüller, die Zweite Vorsitzende, sagte: “Wir hoffen, mit der Einführung des Begriffs ‚die Verleugneten‘ auch ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine aktuelle Diffamierung von Menschen als ‚asozial‘ an die Nazisprache anknüpft."